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TESSA SZYSZKOWITZ FALTER & MEINUNG, FALTER 40/22 VOM 05.10.2022
Der Faschismus ist auch nicht mehr das, was er einmal war. Auf dem Roten Platz hielt einer von Putins Propagandisten knapp nach der Annexionszeremonie im Kreml vor wenigen Tagen eine einpeitschende Rede: "Es gibt ein altes russisches Wort, eine Aufforderung zur Aktion: Goida! Das ist unser Kampfschrei!"
Das Ganze wirkte wie eine schlechte Satire auf eine faschistische Inszenierung. Und sie war es auch. Der russische Schauspieler Iwan Ochlobystin, der in einem rot-schwarzen Kostüm auf der Bühne herumsprang, ist auch Komiker. Er rief aber nicht etwa nach dem berühmten holländischen Käse Gouda, der seit den westlichen Sanktionen nicht mehr importiert wird. Goida ist vielmehr jener Schlachtruf, den die Leibgarde von Iwan dem Schrecklichen vor ihren Gräueltaten losließ. Die Hände in schwarzen Lederhandschuhen, umklammerte Ochlobystin geradezu verzweifelt das Mikrofon, als sei ihm das jammervolle Pathos seiner Darbietung voll bewusst: "Goida! Wir kommen!"
Knapp danach eroberten die Ukrainer Lyman zurück. Gerade noch hatte Wladimir Putin am Freitag die Annexion der vier ukrainischen Regionen Donezk, Cherson, Luhansk und Saporischschja verkündet, da fiel die Kleinstadt an die Ukrainer. Ausgerechnet Lyman. Die Stadt liegt in der Region Donezk. Lyman war seit dem Frühling von russischen Truppen besetzt gewesen. Sie baten jetzt, als die ukrainischen Soldaten zur Gegenoffensive ansetzten, ihre Generäle um Erlaubnis zur Kapitulation. Moskau verweigerte.
Unter Kremlologen wird jetzt erstmals ernsthaft über eine Ablöse Putins spekuliert. Aber auch über eine weitere Eskalation. Einige der wichtigsten Putin-Kenner Europas diskutierten darüber am Wochenende beim Vienna Humanities Festival, das vom Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) in Wien veranstaltet wurde. "So schnell wird es nicht gehen", sagt Andrei Soldatow, ein ausgewiesener Kenner der russischen Sicherheitsdienste. "Putin wechselt die Generäle so schnell, dass sich keiner namentlich profilieren kann. Damit es niemanden in der Armeespitze gibt, der ihm als Nachfolger gefährlich werden kann." Die Schlappen auf dem Schlachtfeld heißen aber auch: Die russischen Feldstrategen beginnen sich gegenseitig öffentlich zu kritisieren. ...
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TESSA SZYSZKOWITZ FALTER & MEINUNG, FALTER 40/22 VOM 05.10.2022
Der Faschismus ist auch nicht mehr das, was er einmal war. Auf dem Roten Platz hielt einer von Putins Propagandisten knapp nach der Annexionszeremonie im Kreml vor wenigen Tagen eine einpeitschende Rede: "Es gibt ein altes russisches Wort, eine Aufforderung zur Aktion: Goida! Das ist unser Kampfschrei!"
Das Ganze wirkte wie eine schlechte Satire auf eine faschistische Inszenierung. Und sie war es auch. Der russische Schauspieler Iwan Ochlobystin, der in einem rot-schwarzen Kostüm auf der Bühne herumsprang, ist auch Komiker. Er rief aber nicht etwa nach dem berühmten holländischen Käse Gouda, der seit den westlichen Sanktionen nicht mehr importiert wird. Goida ist vielmehr jener Schlachtruf, den die Leibgarde von Iwan dem Schrecklichen vor ihren Gräueltaten losließ. Die Hände in schwarzen Lederhandschuhen, umklammerte Ochlobystin geradezu verzweifelt das Mikrofon, als sei ihm das jammervolle Pathos seiner Darbietung voll bewusst: "Goida! Wir kommen!"
Knapp danach eroberten die Ukrainer Lyman zurück. Gerade noch hatte Wladimir Putin am Freitag die Annexion der vier ukrainischen Regionen Donezk, Cherson, Luhansk und Saporischschja verkündet, da fiel die Kleinstadt an die Ukrainer. Ausgerechnet Lyman. Die Stadt liegt in der Region Donezk. Lyman war seit dem Frühling von russischen Truppen besetzt gewesen. Sie baten jetzt, als die ukrainischen Soldaten zur Gegenoffensive ansetzten, ihre Generäle um Erlaubnis zur Kapitulation. Moskau verweigerte.
Unter Kremlologen wird jetzt erstmals ernsthaft über eine Ablöse Putins spekuliert. Aber auch über eine weitere Eskalation. Einige der wichtigsten Putin-Kenner Europas diskutierten darüber am Wochenende beim Vienna Humanities Festival, das vom Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) in Wien veranstaltet wurde. "So schnell wird es nicht gehen", sagt Andrei Soldatow, ein ausgewiesener Kenner der russischen Sicherheitsdienste. "Putin wechselt die Generäle so schnell, dass sich keiner namentlich profilieren kann. Damit es niemanden in der Armeespitze gibt, der ihm als Nachfolger gefährlich werden kann." Die Schlappen auf dem Schlachtfeld heißen aber auch: Die russischen Feldstrategen beginnen sich gegenseitig öffentlich zu kritisieren. ...
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