König Charles III. möchte gerne die Firma Windsor reformieren - eine Gratwanderung zwischen Tradition und Moderne TESSA SZYSZKOWITZ POLITIK, FALTER 37/22 VOM 14.09.2022
Der neue König betritt die Bühne als alter Mann. Sieben Jahrzehnte hat seine Mutter Elizabeth II. ihre Landsleute und ihre Familie durch private Kalamitäten und politische Katastrophen gesteuert. Die tiefe Trauer, die das Vereinigte Königreich nach Elisabeths Ableben am 8. September erfasste, ist ein Zeugnis ihrer erfolgreichen Regentschaft. Ihr Sohn tritt schon deshalb keine leichte Nachfolge an - dem 73-jährigen Karl schlägt längst nicht so viel Sympathie entgegen wie seiner Mutter.
Außerdem wirkt die britische Monarchie wie aus der Zeit gefallen. Schon die Queen war die Königin der Abwicklung, die den Verfall der royalen Macht nach dem Ende des britischen Empire mit ewigem Lächeln begleitete.
Die Queen übergibt dem King den Vorsitz in der Nachfolgeorganisation des Empire, dem Commonwealth of Nations. 56 Nationen haben sich hier zusammengeschlossen. Charles wird nicht nur automatisch König von Großbritannien und Nordirland. In 14 weiteren Nationen sitzt er nominell auf dem Thron - in Kanada und Australien zum Beispiel. Wie lange das noch so bleibt in einer Zeit, in der der Kolonialismus zunehmend kritisch gesehen wird? Der Karibikstaat Barbados hat schon 2021 die Queen ab- und eine Präsidentin eingesetzt. Jamaika fordert Reparationszahlungen für die Sklaverei - auch vom Königshaus.
Selbst im Vereinigten Königreich drohen dem neuen König Auflösungstendenzen. Schotten und Nordiren murren seit dem Brexit wieder lauter gegen England. Charles III. wird versuchen, sein Vereinigtes Königreich zu erhalten und auf die Schotten mäßigend einzuwirken. Die wollen 2023 ein Unabhängigkeitsreferendum abhalten, um danach als selbstständiges Schottland wieder in die EU einzutreten.
Die Regentschaft von König Karl beginnt inmitten dieser Krisen. Und ohne Schonfrist. Die Trauer um seine Mutter ist ihm anzusehen, gleichzeitig muss er ihre Geschäfte sofort übernehmen. Seine Krönung findet erst nächstes Jahr statt. König wurde Charles aber gleich nach dem letzten Atemzug der alten Königin. Obwohl er in seiner konstitutionellen Monarchie keine reale Macht hat, ist das ein Fulltimejob.
Das gekrönte Staatsoberhaupt ist auch das weltliche Oberhaupt der anglikanischen Staatskirche Church of England und Oberbefehlshaber der britischen Streitkräfte. Diese Jobs bedeuten vor allem eines: eine Unzahl an repräsentativen und zeremoniellen Aufgaben.
Queen Elizabeth II. hat ihrem Sohn mit Bravour vorgelebt, wie es sich im 21. Jahrhundert am besten regieren lässt: mit Güte. Dass er diese Tugend besitzt, hat Charles bisher nicht zu erkennen gegeben. Er gilt eher als Snob.
Er lässt sich mitunter sogar von einem seiner vielen Diener die Schuhe zubinden; zum Frühstück müssen fünf unterschiedlich gekochte Eier bereitstehen, damit er das für ihn perfekt gekochte Ei auswählen kann. Diese Anekdoten sind vielleicht nur gemeine Gerüchte, gestreut von der Skandalpresse. Manches aber ist belegt: Man kann auf Twitter nachsehen, wie Charles bei seiner Bestellung am vorigen Samstag mit einer kleinen, arroganten Handbewegung unwillig seine Diener wegwedelte, weil sie nicht schnell genug ein Tintenfass wegräumten.
Früher galt er überhaupt als Exzentriker. 1986 gab er bekannt, dass er mit seinen Pflanzen spreche, weil sie dann besser gediehen. Der Prinz umarme außerdem lieber Bäume als Menschen, hieß es. 2019 erklärte er, dass er jedem Baum, den er pflanze, die Hand - respektive einen Ast - schüttle und ihm viel Glück beim Wachsen wünsche.
Heutzutage gilt das allerdings nicht mehr als verhaltensauffällig. Der grüne Vater der britischen Nation, Fernsehlegende David Attenborough, stellte Anfang des Jahres fest, Charles habe recht gehabt: "Wir sollten uns mehr mit unseren Pflanzen beschäftigen." Umweltschutz und der Kampf gegen den Klimawandel sind das Gebot der Stunde geworden. Der Zeitgeist hat Charles eingeholt.
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