Der Gründer von Wikileaks sitzt schon seit drei Jahren in einem britischen Hochsicherheitsgefängnis. Die Entscheidung über seine Auslieferung in die USA könnte bereits in einem Monat fallen.
von Tessa Szyszkowitz
Julian Assange bleibt ein Unfreier. Selbst zu seinem eigenen Verfahren in London durfte der 50-jährige Gründer der Aufdecker-Plattform Wikileaks nicht persönlich erscheinen. Der australische Aktivist wurde per Video aus dem britischen Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh zugeschaltet. In Hemd und Krawatte bestätigte er bloß seinen Namen und sein Geburtsdatum. Dann war er wieder weg.
Das Westminister Magistratsgericht hat nach sieben Minuten am 20. April den Ball an Innenministerin Priti Patel zurückgespielt: Bis zum 18. Mai soll sie entscheiden, ob sie den Australier an die USA ausliefert oder nicht. Die Konservative Priti Patel gilt als Hardlinerin in Boris Johnsons konservativem Kabinett. Sie ist eine glühende Brexit-Anhängerin. Seit dem Austritt aus der EU ist die von England so bezeichnete „Special Relationship“ zu den USA von noch größerer Bedeutung. Deshalb spricht einiges dafür, dass Patel der Auslieferung zustimmen könnte.
Seit Julian Assange 2006 Wikileaks gegründet hat, ist er nicht mehr Herr über sein eigenes Leben. 2010 publizierte der Australier eine Serie von Dokumenten, die von einem US-Soldaten - Bradley Manning, seit einer Geschlechtsumwandlung 2013 Chelsea Manning - aus der US-Armee an ihn geleakt worden waren. Die Videos und Protokolle zeigten amerikanische Kriegsverbrechen im Irak und Afghanistan. Seitdem jagt die amerikanische Justiz den sendungsbewussten Aufdecker. Ihr Argument: Die Wikileaks-Veröffentlichungen hätten das Leben von Geheimdienstmitarbeitern gefährdet.
Assange und seine Anhänger dagegen sehen Meinungs- und Medienfreiheit bedroht. „Assange ist einer der bedeutendsten Journalisten unserer Zeit. Was hier passiert ist ein Angriff auf die Freiheit der Medien“, sagte der unabhängige Journalist Richard Medhurst nach der Verhandlung vor dem Gerichtsgebäude. Assange habe Kriegsverbrechen aufgedeckt und die Tatsache, dass jetzt er ohne Urteil im Gefängnis säße und nicht jene westliche Politiker wie George W. Bush oder Tony Blair, die diese Kriegsverbrechen im Irak und Afghanistan zu verantworten hätten, spräche Bände: „Alles, was er getan hat, waren Akte von Anti-Imperialismus.“
Das sieht auch Reporter ohne Grenzen so. Eine soeben gestartete Petition fordert: „#FreeAssange“ (https://rsf.org/en/free-assange-petition-april-2022). Zur Zeit liegen die Unterschriften noch weit unter dem Ziel von 50.000.
Assanges Team – vertreten wird er von der Anwaltskanzlei Birnberg Peirce Solicitors - schießt jetzt mit allem, was es hat, zurück. Die Anwälte werden Patels Büro in den kommenden Wochen eine Stellungsnahme übermitteln, in der sein Fall und die Konsequenzen einer Auslieferung noch einmal detailliert aufgelistet werden sollen.
Um den menschlichen Aspekt einer Auslieferung in den Vordergrund zu rücken, hat Assange vor drei Wochen medienwirksam geheiratet. Er ehelichte Stella Moris, eine 38-jährige südafrikanische Anwältin, die er seit 2011 kennt.
Die Hochzeit fand mit Zeugen im Belmarsh-Gefängnis statt. Die Braut wiederum sorgte nicht nur für ein eigens von Vivienne Westwood angefertigtes Hochzeitkleid. Sie lud auch ein australisches Fernsehteam zu den Hochzeitsvorbereitungen zu sich nach Hause ein. Man sieht den 3-jährigen Max und den 4-jährigen Gabriel aufgeregt auf der Wohnzimmercouch herumhüpfen. Die beiden Söhne wurden bei heimlichen Besuchen in der ecuadorischen Botschaft, in der Assange sich sieben Jahre aufhielt, gezeugt. Moris sagt über die Gefängnishochzeit: „Wir wollen damit unsere Liebe besiegeln.“
Was aber heißt „glücklich bis ans Lebensende?“ für einen Mann, dem im Falle seiner Auslieferung 175 Jahre Haft drohen?...
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