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Mister McMafias Rückkehr nach Wien

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Das erste Mal zog Misha Glenny im Jänner 1986 nach Wien. Martin Woollacott, damals Auslandschef des britischen Guardian, war nicht überzeugt, dass der junge Engländer sich damit das beste Sprungbrett für eine journalistische Karriere ausgesucht hatte: "Schau, Misha, Österreich ist langweilig." Ein paar Wochen später brach die Waldheim-Affäre aus; im April 1986 explodierte der Atomreaktor in Tschernobyl; 1989 fiel der Eiserne Vorhang direkt hinter Wien; knapp danach begann der Balkankrieg. Glenny coverte all das für den Guardian und für die BBC als Zentraleuropa-Korrespondent. Wien sei "der einzige Ort" gewesen, "wo ich mich ausruhen konnte". Er wohnte im fünften Stock über dem Café Bräunerhof. Wenn er dort durch die Tür kam, servierte ihm der Kellner wortlos eine Melange und ein weiches Ei mit Buttersemmel.

Jetzt steht Glenny in seinem Londoner Büro in der Gartenhütte seines Hauses in Westlondon und packt wieder die Kisten für Wien. Das „Institut für die Wissenschaften vom Menschen“ hat den 63-jährigen Journalisten und Autor soeben zum neuen Rektor bestellt. 1982 hatte der polnischen Philosoph Krzysztof Michalski das Forschungszentrum gegründet. Zuletzt hatte es die Sozialanthropologin Shalini Randeria geleitet - sie ist 2021 zur Zentraleuropäischen Universität weitergezogen, die aus Budapest vertrieben worden ist. Glenny setzte sich gegen einige andere Kandidaten durch. 

In diesem Jahr feiert das IWM sein 40-jähriges Bestehen. Sieben permanente Fellows forschen hier, darunter der bulgarische Politologe Ivan Krastev und der US-amerikanische Historiker Timothy Snyder. Knapp 30 Angestellte hat das Institut. Finanziert wird das IWM von der Stadt Wien, dem Bundesministerium für Wissenschaft, der Erste Stiftung und den Open Society Foundations OSF, der Stiftung von George Soros. 2022 hat das IWM ein Budget von 5,6 Millionen Euro. Im Jahr 2020 kamen 600.000 von der MA 7 Kultur, über 800.000 vom Bund und 2,5 Millionen Euro von Sponsoren. Knapp die Hälfte geht in die Fellowship-Programme, der Rest wird in Veranstaltungen und Forschungsprojekte investiert. Die Ausrichtung: Forschung über Süd-und Osteuropa.

Für Glenny ist das ein Heimspiel. Seine Bücher Jugoslawien: Der Krieg, der nach Europa kam und Der Balkan 1804-1999: Nationalismus, Krieg und die Großmächte sind Standardwerke der Balkan-Literatur. In Cybercrime: Kriminalität und Krieg im digitalen Zeitalter beschrieb er 2012 schon früh die Gefahren des hybriden Krieges. 

Wenn die EU sich nicht intensiv um die Gesellschaften in Südosteuropa bemüht, sagt Glenny, dann fallen sie in alte Schemata zurück. Auch politisch. Ungarns und Serbiens Hang zu Putins Russlands sind dafür nur ein Beispiel. „Obwohl man den Ukraine-Krieg nicht als Gelegenheit beschreiben will, müssen wir in Westeuropa doch anerkennen, dass wir seit dem Mauerfall grundlegend darin versagt haben, die Region zu stabilisieren“, sagt Glenny. Auch wenn Putin schuld an diesem Krieg sei, „wäre es ein Fehler, uns einfach als passive Agenten zu betrachten.“

Glenny formuliert mit Bedacht, und auf Deutsch. Das spricht er neben Serbisch, Kroatisch, Tschechisch und Portgusiesisch fließend.  Deutsch und Drama hat er schon an der Universität Bristol studiert. 

Russland ist für ihn von besonderer Bedeutung. Sein Vater Michael hat Meister und Margarita aus dem Russischen ins Englische übersetzt. In einer Verbeugung vor dem Autor Michail Bulgakow nannte der Senior seinen Sohn Misha. ...

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© 2018 Tessa Szyszkowitz