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Putsch gegen Putin: Trauen sich die Kremlkraten?

https://www.falter.at/zeitung/20220330/putsch-gegen-putin--trauen-sich-die-kremlkraten/_6e1be1bf68

"Um Gottes willen, der Mann kann nicht an der Macht bleiben!", rief Joe Biden am Wochenende in Polen aus. Der US-Präsident musste tags darauf zurückrudern, er habe es nicht so gemeint. Denn Einmischung in innere Angelegenheiten eines Landes ziemt sich nicht.

Es gibt keine Anzeichen dafür, dass ein Putsch gegen Putin geplant ist. "Es ist zwar alles möglich, aber Putin ist ein gelernter Geheimdienstoffizier", sagt Andrei Soldatow, russischer Geheimdienstexperte und Koautor von "The Red Web", in einem Interview mit dem britischen Channel 4. Zwei Sicherheitsdienste allein schützen Putins Leben. "Putin ist aber sehr unzufrieden mit seiner Militärführung." Könnte sein Umfeld gegen ihn meutern? Soldatow mahnt zu mehr Realismus: "Das ist Wunschdenken."

Ein wenig davon sollte in diesen dunklen Stunden erlaubt sein. Wer könnte gegen Putin putschen?

Die Oligarchen. In Großbritannien, der EU und den USA stehen sie auf der Sanktionsliste, ihre Vermögen sind eingefroren. Putin-Freund Pjotr Awen klagt in der Financial Times über seine neue Armut: "Vielleicht kann mich ja in Zukunft meine Stieftochter chauffieren?" Im Kreml haben diese Oligarchen, die in den 90er-Jahren in Russland reich wurden, schon lange keinen nennenswerten politischen Einfluss mehr. Heute sind die Oligarchen in Putins Geiselhaft. Nicht er in ihrer.

Eine Ausnahme bildet Roman Abramowitsch, der bis 2008 Gouverneur in einer russischen Region von Putins Gnaden war. Abramowitsch ist in die Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland verwickelt. Am Montag nachmittag wurde bekannt, dass nach einer Untersuchung der Organisation Bellingcat Abramowitsch und andere Mitglieder der Verhandlungsdelegation am 3. März bei den Gesprächen in Kontakt mit einer Substanz gekommen sein dürften, die als chemische Waffe gilt. Nach ersten Berichten hat Abramowitsch mehrere Stunden lang sein Augenlicht verloren. Es heisst, radikale Kreise in Moskau wollten die Verhandlungen sabotieren.

Die Kremlkraten. Die neurussische Nomenklatura steht vor dem Aus, weil der Chef in einer aggressiv-paranoiden Spätlebenskrise versinkt. Die meisten Politiker und Putin-Vertrauten sind schon auf der internationalen Sanktionsliste. Putin schwadroniert jetzt gegen "nationale Verräter", die er "wie Abschaum ausspucken" wird. Damit meint er nicht nur die Opposition, denn Oppositionsführer Alexei Nawalny hat er ja schon eingelocht.

Mit dem Sondergesandten für Klimawandel Anatoli Tschubais flüchtete letzte Woche erstmals ein hohes Regierungsmitglied aus Russland. Auch der ehemalige Vizepremier und Präsident der Schachvereinigung FIDE, Arkadi Dworkowitsch, suchte das Weite. Zentralbankchefin Elwira Nabiullina wurde angeblich von Putin persönlich "überzeugt", ihren Job nicht hinzuschmeißen.

Die Silowiki - wie mächtige Männer aus dem Sicherheitsapparat genannt werden - überschneiden sich weitgehend mit den Kremlkraten. Einige der wichtigsten Männer kennt Putin seit frühen Jahren aus dem KGB und aus St. Petersburg. Verteidigungsminister Sergei Schoigu, der als potenzieller Nachfolger galt, managte schon die Krim-Annexion 2014. In der Ukraine stieß Schoigu allerdings an seine Grenzen. Prompt verschwand er für zwei Wochen von der Bildfläche. Herzinfarkt? Oder wegen Kritik am Chef? Jetzt ist Schoigu wieder da und droht dem Westen mit Atomwaffen.

Ebenfalls in Ungnade dürfte Geheimdienstchef Alexander Bortnikow....

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© 2018 Tessa Szyszkowitz