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Die Briten, die Russen und der Ukraine-Krieg

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In London kippt nach langen Jahren, in denen reiche Ausländer ungefragt aufgenommen wurden, die Stimmung. Schuld daran ist der Krieg in der Ukraine. Boris Johnson muss zwar bei Parteispenden von russischen Gönnern in Zukunft genauer hinschauen, aber der Krieg hilft, seine bisher wackelige Regierung zu stabilisieren.

 

Von Tessa Szyszkowitz, Cicero 290322

 

Gerade noch lebte Polina Kolinova wohl versorgt in einer großzügigen Wohnung im Londoner Edelbezirk Kensington, die ihr – laut Recherche von Alexei Nawalnys Anti-Korruptions-Fonds FBK – Stiefvater Sergei Lawrow für 4,4 Millionen Euro gekauft hatte. (siehe Cicero

 

Am 24. März setzte die britische Regierung die 26-jährige Kolinova auf die Sanktionsliste: „Dies sendet ein deutliches Signal, dass auch jene von Sanktionen getroffen werden können, die von ihrer Verbindung mit jemandem profitieren, der für die russische Aggression verantwortlich ist“, heißt es in der Erklärung der britiischen Außenministerin Liz Truss

 

Ihr Stiefvater Sergei Lawrow, der langjährige Außenminister Russlands, ist schon seit dem 25. Februar auf der Sanktionsliste des Vereinigten Königreichs, der USA und der EU. Was vor Kriegsausbruch undenkbar gewesen wäre, wurde durch den Überfall der russischen Armee auf das Nachbarland Ukraine am 22. Februar sehr schnell Realität.

 

Unter den reichsten Einwohnern von Londongrad, wie die britische Hauptstadt wegen der Beliebtheit bei reichen Russen oft genannt wurde, hat sich Panik breit gemacht. Neuerdings geben bisher extrem private Oligarchen wie Michail Friedman oder Piotr Aven Interviews in britischen Medien und sprechen frei über ihre neue „Armut“. Denn in Großbritannien, EU und USA sind sie auf der Sanktionsliste gelandet, ihre Vermögen sind eingefroren. Michail Friedman gegenüber Bloomsberg: „Soll ich meine Küche selber putzen?“ Pjotr Aven in der Financial Times: „Vielleicht kann mich ja in Zukunft meine Stieftochter chauffieren?“

 

Dass Pjotr Aven sich derzeit keinen Chauffeur für seinen Rolls Royce leisten kann, wird ihm in der breiten Öffentlichkeit wenig Sympathien einbringen. Sein Argument, die Sanktionen seien sinnlos, ist dagegen anhörenswert. Im Kreml haben die Oligarchen, die in den 90er-Jahren in Russland reich wurden, tatsächlich schon lange keinen politischen Einfluss mehr. Wer in Russland Geschäfte machen wollte, musste aber Putin-freundlich sein. Heute sind die Oligarchen in Putins Geiselhaft. Nicht er in ihrer.

 

Eine Ausnahme bildet offenbar Roman Abramowitsch, der bis 2008 Gouverneur in einer russischen Region von Putins Gnaden war. Er kaufte sich den Fussballclub Chelsea und einen Minipalast neben Prinz William in den Kensington Palace Gardens in dem Bemühen, in die erste Reihe der britischen Gesellschaft aufzusteigen. Lange Zeit schien ihm dies zu gelingen.

 

Abramowitsch ist nun auch in die Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland verwickelt. Am Montag nachmittag wurde bekannt, dass nach einer Untersuchung der Organisation Bellingcat Abramowitsch und drei andere Mitglieder der Verhandlungsdelegation am 3. März bei den Gesprächen in Kontakt mit einer Substanz gekommen sein dürften, die als chemische Waffe gilt. Nach ersten Berichten hat Abramowitsch mehrere Stunden lang sein Augenlicht verloren. Es heisst, radikale Kreise in Moskau wollten die Verhandlungen sabotieren.

 

 

Die Briten und Europäer holen mit den immer länger werdenden Sanktionslisten langjährige Versäumnisse nach. Seit Jahren wurde nicht genau untersucht, woher das Geld für Anwesen oder Fussballclubs kam, die sich Londongrads neue Einwohner zulegten.

 

Seit 2008 konnten sich Ausländer auch ganz offiziell ein sogenanntes „goldenes Visum“ kaufen – im Gegenzug zu einer Investition in Britannien in der Höhe von zwei Millionen Pfund durfte man für sich und die Familie um eine Aufenthaltsgenehmigung ansuchen. 12.000 goldene Visa wurden seitdem verteilt, 2.500 davon an russische Staatsbürger und Staatsbürgerinnen. Im Februar 2022 kippte Innenministerin Priti Patel das Programm, um „korrupte Eliten zu stoppen, die unsere nationale Sicherheit bedrohen und schmutziges Geld in unsere Städte bringen“.

 

Höchste Zeit, sagt Oliver Bollough im Gespräch mit Cicero: „Britannien hat sich schändlich benommen und jahrelang Geld von Menschen genommen, die dieses Vermögen gar nicht haben sollten.“ Der britische Autor beschreibt in seinem soeben auf Englisch erschienenen Buch „Butler to the World“ die gesamte Dienstleistungsindustrie, die in London um die Geldwäscheindustrie aufgebaut wurde. Untertitel: – Wie Britannien ein Diener von Magnaten, Steuerbetrügern, Kleptokraten und Kriminellen wurde. Bollough: „Der Weg von Moskau nach Kiew geht über London.“

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