Russische Streitkräfte legen Mariupol in Schutt und Asche, Arnold Schwarzenegger sendet eine Videobotschaft an seine russischen Fans, der ukrainische Präsident Selenskyj hält eine Rede. – Was von alldem berichten russische Medien – und wie?
Schon seit über einem Monat bombt Wladimir Putins Armee das Nachbarland Ukraine in Grund und Boden. Im russischen Staatsfernsehen aber wird immer noch von einer „militärischen Spezialoperation“ gesprochen, um die „Ukraine zu entnazifizieren und zu demilitarisieren“. Gezeigt werden Bilder von zerstörten Gebäuden. Zivilisten würden demnach aber nicht getroffen.
In Russland bezieht eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung ihre Informationen aus dem staatlichen Fernsehen, unabhängige Medien sind längst zur Randerscheinung geworden. Nach dem jüngsten Zensurgesetz kann kritischer Journalismus bis zu 15 Jahre Gefängnis bedeuten. Schon die Verwendung des Wortes „Krieg“ wurde kriminalisiert. Der russische Geheimdienst FSB erstellt schwarze Listen, auf denen auch freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sämtlicher Medien aufscheinen. Sie müssen nun fürchten, rückwirkend (bis ins Jahr 2015) für ihre Artikel bestraft zu werden.
Jedes unabhängige Medium ist heute als „Ausländischer Agent“ klassifiziert. Zuerst fürchteten die kritischen Medienleute, dass dies finanzielle Einbußen bringen würde, weil sich so keine Werbeeinnahmen mehr rekrutieren lassen. Doch inzwischen stellt sich heraus, dass selbst der Kontakt mit diesen Medien hochgefährlich ist. „Als ich bei einer Demonstration verhaftet wurde, wurde ich sofort gezwungen, alle Abonnements auf meinem Telefon zu löschen, die mit ,ausländischer Agent‘ abgestempelt waren“, sagt eine Studentin aus St. Petersburg, die anonym bleiben möchte. „Lesen allein ist strafbar. Und eine Demo kann dich fünf bis zehn Jahre ins Gefängnis bringen.“
Die Repressionen treffen natürlich nicht nur die Konsumentinnen und Konsumenten kritischer Nachrichtenkanäle in Russland. Die Medienleute, die diese Nachrichten in der Ukraine herstellen, arbeiten unter Lebensgefahr. Die Chefredakteurin der Online-Zeitung „Meduza“ Galina Timchenko gibt an, dass „Meduza“ noch drei Mitarbeiter in der Ukraine hat, die live berichten. Am vorigen Mittwoch starb die russische Journalistin Oksana Baulina in Kiew im Bombenhagel. Sie hatte für die investigative Online-Plattform „The Insider“ gearbeitet.
Wer will, kann aber selbst im heutigen Russland erfahren, was wirklich in der Ukraine passiert. In inoffiziellen Info-Kanälen auf verschlüsselten Diensten wie Telegram laufen Live-Feeds mit Bildern aus dem Krieg. Auf Telegram kann man „Novaya Gazeta“ (498.543 Abonnenten), „Kholod“ (16.072 Teilnehmer), „Mediazona“ (196.810 Subscriber) oder „Meduza“ (1.158.626 Abonnenten) auf Russisch abonnieren. Direkt unter der Nase von Vladimir Putin läuft dort ein endloser Nachrichtenfluss durch die Cyberkanäle Russlands.Allerdings, sagt die Studentin aus St. Petersburg, sei das gar nicht so einfach: „Wenn du etwas anderes als die offiziellen Nachrichten sehen willst, dann musst du hart dafür arbeiten.“
Welche Nachrichten dringen überhaupt noch aus der Ukraine und aus dem Westen zu Russinnen und Russen durch? Und wie wird über Ereignisse berichtet? profil hat mit Russinnen und Russen in verschiedenen Städten über ihren Informationsstand gesprochen. Zum Schutz der Kontaktpersonen bleiben sie hier anonym.
Das Schwarzenegger-Video
Arnold Schwarzenegger läuft in seiner jüngsten Videobotschaft zur Hochform auf – zumindest in den Augen vieler westlicher Zuseherinnen und Zuseher. Der 74-jährige Austro-Amerikaner fordert die Russen darin auf, den Lügen ihrer Regierung keinen Glauben zu schenken. „Mein Vater kam im Krieg nach Leningrad, den Kopf voller Lügen seiner damaligen Regierung. Als er Leningrad verließ, war er gebrochen. Physisch und mental“, sagt Schwarzenegger: „Den russischen Soldaten, die hier zusehen, will ich sagen: Ich will nicht, dass ihr wie mein Vater gebrochen werdet.“
Nur: Haben russische Soldaten überhaupt die Chance, das Video zu sehen? Das russische Staatsfernsehen riss sich freilich nicht darum. Doch schon nach wenigen Tagen hatte Schwarzenegger über Instagram, wo er 22 Millionen Abonnenten hat, sowie der Facebook-Seite der Medienfirma „ATTN“ weltweit bereits Millionen Menschen erreicht.
Auch in Russland verbreitete sich das Video über inoffizielle Kanäle schnell. Eine Kontaktperson gibt an, dass sie von Schwarzeneggers Intervention über den YouTube-Kanal „Graschdanin“ („Bürger“) des Bürgerrechtlers Lew Schlossberg erfahren hat. Im zensurierten Russland kann man die kritischen Medien aber nicht mehr direkt erreichen. Um geopolitische Sperren außer Kraft zu setzen, kaufen sich User seit Jahren sogenannte „Virtual Private Networks“ (VPN). In Putins Reich helfen diese virtuellen privaten Netzwerke, die die eigene IP-Adresse nicht mehr an den Server weitergeben, die Zensur zu umgehen.
Diesen Aufwand aber nimmt nur ein kleiner Teil der russischen Bevölkerung in Kauf, um an echte News zu gelangen: „Es ist nicht ganz einfach, das Video zu bekommen“, meint die Kontaktperson. „Ich glaube deshalb nicht, dass die Mehrheit der Russen in den Genuss dieses Videos gekommen ist.“
„Auf den offiziellen Medien wurde es nur kurz gezeigt“, schreibt eine andere Russin an profil. Da sich das Video auf Telegram großer Beliebtheit erfreute, ließen sich auch Putin-treue TV-Stars nach einigen Tagen dazu hinreißen, es zu kommentieren. „Allerdings mit solchen Kommentaren: ‚Schaut, Arnold will unsere Augen für die Wahrheit öffnen‘ – diese Kommentare implizierten, dass es besser für ihn wäre, sich selbst besser zu informieren, bevor er den Russen ,die Wahrheit‘ erzählt.“
Besonders bemüht darum, die Intervention Schwarzeneggers zu diskreditieren, war Vadim Gigin. Der belarussische Journalist landete bereits 2011 auf einer Sanktionsliste der EU, weil er, so die Begründung, „eines der wichtigsten Sprachrohre der staatlichen Propaganda ist“. Über Schwarzenegger sagte Gigin nun in der für furiose Propagandaausritte berüchtigten Sonntagabend-Talkshow „Der Abend mit Wladimir Solowiew“ im russischen Kanal ONT: „Dieses Gesicht ist die Titelseite des amerikanischen Imperialismus und Kolonialismus.“
Der Journalist, der seine Friedensnobelpreismedaille stiftete
Inzwischen sind viele unabhängige Websites gesperrt. Aber man kann auf verschiedenen russischen Websites noch auf echte Nachrichten zugreifen. Als der Friedensnobelpreisträger von 2021 Dmitri Muratow vergangenen Dienstag bekannt gab, seine Nobelpreis-Medaille an ukrainische Flüchtlinge zu spenden, wurde das in seiner Zeitung „Nowaja Gaseta“ online veröffentlicht. In Putins zunehmend autoritärem Russland ist die „Nowaja Gaseta“ seit Jahren das Feigenblatt eines unabhängigen Mediums. Einst schrieb hier Anna Politkowskaja über Korruption in Russland und Putins verheerenden Krieg gegen die Tschetschenen. Sie wurde 2006 vor ihrem Haus erschossen.
„Wenn du etwas anderes als die offiziellen Nachrichten sehen willst, musst du hart dafür arbeiten.“
Warum die „Nowaja Gaseta“ überhaupt noch erscheinen darf? Vielleicht weil Muratow als Nobelpreisträger nicht so leicht zum Schweigen zu bringen ist. Vielleicht auch, weil sich vor dem Krieg nur sehr wenige Leserinnen und Leser auf die Website der Zeitung verirrt haben. Inzwischen aber haben eine halbe Million Menschen ihren Telegram-Kanal abonniert.
Über Muratows Medaillen-Initiative wurde auch andernorts berichtet. In der „Prawda“ („Wahrheit“) erschien postwendend ein Artikel – allerdings in der ukrainischen „Prawda“. In der englischsprachigen „Moscow Times“ wurde es auch erwähnt. Donnerndes Schweigen aber gab es zu Muratows Initiative dort, wo ukrainische Flüchtlinge eigentlich gar nicht existieren: im russischen Fernsehen.
Die Reden von Wolodymyr Selenskyj
Auch die Übersetzung wird zur Waffe im Propaganda-Krieg. Staatskanäle bringen gerne die Reden von ausländischen Staatschefs oder Bürgern und übersetzen ihre Worte so, wie es ihnen passt.
So zeigte das Staatsfernsehen ein Fragment einer Rede des ukrainischen Präsidenten. Doch dort wurden Wolodymyr Selenskyj Worte in den Mund gelegt, die er so nicht gesagt hat: dass die ukrainischen Truppen nicht kampfbereit wären, dass sie verlieren würden und kein Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten hätten. Eine russische Kontaktperson schreibt: „Ich habe mir die ganze Rede auf einem ukrainischen Kanal angehört, sie war auch für mich mit meinem armseligen Ukrainisch gut zu verstehen. Er sagt auf Ukrainisch, dass seine Armee erfolgreich die Offensive zurückschlägt und nicht vorhat, sich zu ergeben.“ Der Ausschnitt auf dem Ersten Kanal des russischen Fernsehens sei eine glatte Fälschung.
Die Kontaktperson fügt mit Nachdruck hinzu: „Das passiert sehr oft.“ Die Übersetzung wird laut über den Originalton gesprochen, damit der O-Ton nicht zu verstehen ist. Ein perfektes Propagandainstrument, weil viele Russen keine Fremdsprachen verstehen.
Biologische Waffen
Im russischen Fernsehen wird immer wieder darüber spekuliert, dass die Amerikaner in der Ukraine biologische Waffen herstellen: „Es gäbe dort Laboratorien, sagt unsere Regierung im Fernsehen“, sagt eine russische Kontaktperson. Das wurde früher schon über Georgien und andere aufständische ehemalige sowjetische Republiken behauptet – auch wenn es dafür nie Beweise gegeben hat.
Der russische Regisseur Nikita Michalkow, der 1994 für seinen Film „Die Sonne, die uns täuscht“ einen Auslands-Oscar gewann, hat sich inzwischen vollkommen von der putinistischen Propaganda vereinnahmen lassen. In Besogon-TV auf YouTube, wo der berühmte Regisseur ein Autorenprogramm betreibt, behauptete er vorige Woche, dass die Ukraine über eine biologische Waffe verfüge, die slawisch-russische Menschen aufspüren könne.
Eine zweite Kontaktperson sagt: „Das sind eindeutig Fake News. Ich habe mir ukrainische Kanäle angesehen, die das widerlegt haben.“ Die Vereinten Nationen und internationale Faktenchecker-Organisationen haben diese Behauptungen entkräftet.
Was in Mariupol geschieht
Die Bilder aus der Ukraine, die in Russland gezeigt werden, sind oft dieselben, die überall auf der Welt für Entsetzen sorgen. So hat es etwa auch das zerbombte Einkaufszentrum in Kiew von vorigem Mittwoch in russische Medien geschafft. Doch der Text dazu ist ein gänzlich anderer.
In Russland konnte man zwar auch das zerbombte Theater von Mariupol im Fernsehen sehen, allerdings mit der Falschinformation, dass das Gebäude leer gewesen sei. „Im Fernsehen sagen sie, dass Russland nur Objekte bombardiert, die Kriegszwecken dienen“, berichtet ein Kontakt. Dennoch wirkt es, als könnte sich Putins Fernsehen der Berichterstattung internationaler Medien nicht ganz entziehen – zumindest wird auf Vorwürfe reagiert. So gab es im Ersten Kanal einen Bericht zur „Fälschung über die Bombardierung des Theaters in Mariupol“. Da hieß es wiederum, dass sich ukrainische Neonazis und andere „Banditen“ in den Bunkern bei den Zivilisten verstecken würden.
In der Sendung „Kto vinavat?“(„Wer ist schuld?“) über die Ursachen für den Krieg wurde der Versuch unternommen, nachzuweisen, dass die Ukraine und die NATO den Krieg provoziert haben. Die NATO habe die Ukraine aufgerüstet. Dass die Ukraine 1994 die aus Sowjetzeiten stammenden Atomwaffen freiwillig abgegeben hatte, wofür sie auch von Russland mit
Sicherheitsgarantien bedacht worden war, blieb freilich unerwähnt.
Zuweilen wird die absichtliche Desinformation auch von Pro-Kreml-Medien durchbrochen. Die Zeitung „Komsomolskaja Prawda“ berichtete vorigen Montag, dass „laut Angaben des Verteidigungsministeriums bereits 9861 Soldaten getötet wurden“. Der Artikel verschwand sehr schnell wieder von der Website. Die Chefredaktion gab bekannt, sie sei gehackt worden. Der amerikanische Geheimdienst CIA nimmt „nach konservativen Berechnungen“ an, dass rund 7000 russische Soldaten getötet worden sind.
Die Russische Föderation vermeidet es, einzugestehen, dass es überhaupt Opfer auf ihrer Seite gibt. Beständig hält sich das Gerücht, dass die Leichen russischer Soldaten in mobilen Krematorien verbrannt werden. Die britische Tageszeitung „Daily Telegraph" veröffentlichte Anfang März ein Video, das laut dem britischen Verteidigungsministerium ein solches Fahrzeug zeigt. Auf diese Weise kämen keine Särge nach Russland zurück. Russische Eltern würden über den Tod ihrer Söhne im Unklaren gelassen.
Dass die Propaganda des Kreml auch in den Staatsmedien nicht von allen geglaubt wird, das machte der Protest einer langjährigen Redakteurin des Ersten Kanals vor zwei Wochen deutlich. Marina Owsjannikowa trat mitten in der abendlichen Nachrichtensendung hinter die Nachrichtensprecherin und hielt ein Schild hoch: „Glaubt der Propaganda nicht. Ihr werdet hier belogen.“ Am Freitag gingen die Vorbereitungen für den Prozess gegen die Journalistin los. Ihr wird die Verbreitung von Falschnachrichten vorgeworfen.
Inzwischen legten auch einige von Owsjannikowas Kollegen ihre Arbeit nieder. Doch die Mehrheit macht weiter. Ob aus Angst oder aus Überzeugung, das ist schwer zu sagen.
Mehr Geschichten aus dem Ausland finden Sie in der profil-Ausgabe 12/2022 - hier als E-Paper.
Sie haben noch kein Abo? Testen Sie profil 4 Wochen kostenlos.