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Auch die EU kennt die Beistandspflicht

https://www.falter.at/zeitung/20220323/auch-die-eu-kennt-die-beistandspflicht/_9c8deb99c2


Eine Petition der internationalen NGO Avaaz will Vladimir Putin vor ein internationales Gericht nach dem Vorbild der Nürnberger Prozesse bringen. Über eine Million Menschen haben schon unterschrieben. Bis der russische Präsident sich für seine Kriegsverbrechen in Den Haag verantworten muss, wird es noch dauern.

 

Doch eines ist jetzt schon sicher: Putin, der schutzlose Kinder und ihre Mütter in Bunkern bombardieren lässt, wird nie wieder in der freien Welt auf einer Hochzeit tanzen.

 

Der russische Diktator kann diesen Krieg nicht gewinnen. Nach einem Monat aber ist abzusehen, dass es ihm gelingen wird, die Landbrücke zwischen der Halbinsel Krim und den russischen Separatistengebieten im Donbass zu etablieren. Mariupol am Asowschen Meer ist bereits zerbombt. Nächstes Ziel: Odessa.

 

Der Krieg frisst sich immer tiefer in die ukrainischen Städte. In einem Video aus Mariupol ruft ein ukrainischer Offizier den Präsidenten Frankreichs und Amerikas zu: „Schickt uns Raketenabwehrsysteme! Oder wollt ihr ein zweites Aleppo?“

 

Nein, wollen sie nicht. 2016 brach Putin gemeinsam mit Syriens Diktator Bashar al Assad den Widerstand syrischer Rebellen in Aleppo mit einer Bombenkampagne. Die westlichen Alliierten sahen hilflos zu. Die Nato will auch jetzt nicht allzu direkt helfen, um einen dritten Weltkrieg zwischen Atommächten zu vermeiden.

 

Amerika verfolgt unter Joe Biden einen besonnenen Kurs. Biden nennt Putin einen Kriegsverbrecher. Er nickt Sanktionen und Waffenlieferungen ab, erklärt ihm aber nicht den Krieg. Bidens schlechte Umfragewerte haben sich seit Kriegsbeginn leicht verbessert. Ob die Amerikaner im Zeitalter der Atomkriegsangst 2024 den disruptiven Putin-Freund Donald Trump oder seinen Wiedergänger Tucker Carlson wählen? Die Wahrscheinlichkeit sinkt gerade.

 

Die chinesische Führung hingegen bleibt auf dem Zaun sitzen. Der chinesische Vize-Außenminister Le Yucheng sagte auf einem Sicherheitsforum in Peking, dass „Sanktionen keine Lösung sind“. China jubelt Russland aber auch nicht gerade zu.

 

Denn der Zaun, auf dem Xi JinPing sitzt, lädt nicht zu längerem Verweilen ein. Er ist mit Stacheldraht umwickelt. Joe Biden hat im jüngsten Telefonat mit Xi mit Konsequenzen gedroht, sollte China Russland militärisch unterstützen. Nicht nur die USA, auch die EU könnten Sanktionen auf China ausdehnen. Xi hat genau zugehört. Denn Washington und Berlin sind für Peking wichtigere Handelspartner als Moskau.

Die EU dagegen zeigt, dass sie kann, wenn sie muss. Die Covidkrise wurde mit dem 750 Milliarden Euro schweren Aufbaufonds Next Generation EU sinnvoll bekämpft. Jetzt geht es um eine neue europäische Sicherheitsstruktur.

 

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine bringt Osteuropäer und Westeuropäer zusammen. Er schärft das Bewusstsein dafür, warum die EU überhaupt existiert. Sie wurde nicht aus dem Frieden heraus geboren, sondern aus dem Krieg.

 

Mehr noch: „Jahrzehnte lang haben wir in der Illusion gelebt, dass wir uns immer weiter von einem Krieg entfernen, je weniger wir uns auf einen vorbereiten“, schreibt die holländische Europa-Expertin Caroline de Gruyter: „Es zeigt sich jetzt, dass das nicht stimmt.“

 

Schon seit 2009 gibt es in den EU-Verträgen den Artikel 42, der eine Beistandspflicht vorsieht. 2015 hat Frankreich ihn nach den islamistischen Terroranschlägen in Paris zum ersten Mal zur Anwendung gebracht. Wird ein Mitgliedsstaat angegriffen, müssen die anderen ihn unterstützen. Nicht nur die Nato ist ein Verteidigungsbündnis. Die EU ist es längst auch.

 

Im Kalten Krieg hat es sich in Westeuropa recht gemütlich im Schatten des Nato-Schutzes gelebt. Doch jetzt herrscht Krieg in Europa....

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© 2018 Tessa Szyszkowitz