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Die britische Regierung distanziert sich von putin-nahen Oligarchen. Nicht nur Roman Abramowitsch, der bisherige Besitzer des Fußballklubs Chelsea, ist in Bedrängnis. Alle Russen werden jetzt oft gefragt, auf welcher Seite sie stehen. Und unter den Sanktionen gegen russische Bürger leiden auch kritische russische Journalisten.
VON TESSA SZYSZKOWITZ am 13. März 2022
Polina Kovaleva ist 26 Jahre alt und auf ihrem Instagram-Feed sah ihr Leben bisher prachtvoll aus. Schnappschuss mit Küsschen von einer Yacht im sonnigen Süden inklusive. Kovaleva ist Russin, sie lebt in London, wo sie schon zur Schule ging. Und ihr Stiefvater heisst Sergej Lawrow. Er ist Vladimir Putins langjähriger, loyaler Außenminister.
Am Donnerstag behauptete Lawrow, die russische Armee habe die Geburtsklinik im ukrainischen Mariupol am 9. März deshalb bombardiert, weil sich dort die Neonazi-Formation Azov einquartiert hätte. Die Bilder einer fliehenden und blutenden Schwangeren wollte er nicht kommentieren.
Da reichte es Maria Pevchikh. Die Leiterin der Ermittlungsabteilung bei FBK, dem Fond gegen Korruption des russischen Oppositionellen Alexej Navalny, fütterte Twitter mit den Ergebnissen einer Recherche aus dem Jahre 2021. Navalnys Team hat auch nach seiner Vergiftung durch den russischen FSB und seiner Inhaftierung in Russland weiter Anti-Korruptionsvideos produziert. Hier ist das anschauliche Material über Lawrow und seinen Clan: https://youtu.be/xNa5XknuXkQ .
Demnach hat sich Polina Kovaleva ihr schönes Leben in London nicht ganz alleine aufgebaut. Ihre Mutter lebt seit etwa zwanzig Jahren mit Putins Topdiplomaten Sergej Lawrow in Moskau. Polina selbst residiert in London im edlen Kensington in einer Wohnung, die auf ihren Namen eingetragen ist und die 4,4 Millionen Pfund (5,2 Millionen Euro) gekostet hat: „Polina sollte uns erklären, wo sie dieses Geld her hat“, schreibt Pevchikh auf Twitter: „Wenn sie es nicht erklären kann, dann sollte sie ihre Louis-Vuitton-Koffer packen und ihr Besitz sollte mit der „Unexplained Wealth Order“ konfisziert werden.“
In der britischen Hauptstadt, wegen der auffälligen Präsenz russischer Oligarchen oft Londongrad genannt, hat sich die Stimmung gegen reiche Russen gedreht. Großbritannien hatte Geld aus dem Ausland gerne genommen, aus Putins Reich genauso wie aus den Ölemiraten am Golf. Doch seit einigen Jahren wird jetzt von der Regierung genauer darauf geschaut, wer sich da so in London eingekauft hat.
Mit einer „Economics Crime Bill“ will die Regierung von Boris Johnson jetzt versuchen, dem Zufluss von korruptem Geld aus Russland einen Riegel vorzuschieben. Am Donnerstag hat die Regierung weitere sieben Putin-Vertraute auf ihre nationale Sanktionsliste gesetzt. Deren Besitz wird konfisziert und ihr Visum gestrichen. Bis die Sanktionen gegen Russland wieder aufgehoben werden, ist ihr Vermögen eingefroren. Und Londongrad für sie nicht mehr zugänglich.
Unter den sieben bestraften Oligarchen ist Roman Abramowitsch, der Besitzer des Fussballclubs Chelsea. Chelsea-Fans sind verzweifelt, der Club darf nicht mal mehr Karten für geplante Spiele verkaufen. Abramowitsch aber galt schon seit Jahren als problematischer Gast im Vereinigten Königreich. Er war bis 2008 Gouverneur der russischen Provinz Chukotka im östlichsten Teil von Russland von Putins Gnaden. Die Stahlfirma Evraz plc, die er kontrolliert, soll der russischen Armee geholfen haben, Panzer zu bauen. Kurz: Abramowitsch besitzt alles, was das Stereotyp des russischen Oligarchen ausmacht: Mehrere Milliarden Dollar, Yachten, Exfrauen und einen schlechten Ruf....
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