Putins Plan ist nicht aufgegangen: Die Ukrainer haben sich nicht kampflos ergeben, das Land ist unter Bombardement, über eine Million Flüchtlinge ist unterwegs in die EU. Die von EU und US verhängten Sanktionen greifen. Russlands Wirtschaft ist isoliert, der Luftraum abgeschottet, der Sturm auf die Banken hat begonnen. Je isolierter der russische Präsident ist, umso gefährlicher wird er.
Der russische Präsident Vladimir Putin hat die Lage falsch eingeschätzt. Im Ausland, im Inland und in dem Gebiet, das für ihn irgendwo dazwischen liegt: der Ukraine.
Die Ukraine kann keinen Krieg gegen die russische Übermacht gewinnen. Aber Bevölkerung und Armee haben sich nicht kampflos ergeben. Der von Putin geplante Blitzkrieg droht auszuarten. Wolodimir Selenskyj ist tapfer dageblieben und innerhalb von wenigen Tagen vom mäßig erfolgreichen Präsidenten der Ukraine zum Volkshelden geworden. Die Bilder von unbewaffneten Menschen, die sich in ihren Dörfern vor rollende russische Panzer knien, sind der Beweis, dass die Ukraine wirklich eine eigenständige Nation ist.
Putin hat sich auch mit der Einschätzung der westlichen Welt vertan. Klar, mit den Amerikanern hatte er Krach erwartet. Doch dass Emmanuel Macron und Olaf Scholz, Mario Draghi und Karl Nehammer ihm die Rute ins Fenster stellen – oder viel mehr das Faxgerät für künftige Geldgeschäfte, indem sie Russland aus dem Swift-Zahlungsverkehr ausschließen – das hat der Kremlherr in dieser Geschlossenheit nicht erwartet. Inzwischen sind in der EU auch russische Jets und der PR-Kanal RT nicht mehr erwünscht.
Die größte Überraschung: Auch der ungarische Premier Viktor Orban unterstützt die Sanktionen gegen Russland. Dank des irrwitzigen, erratischen Handelns des russischen Präsidenten besinnt sich die EU wieder auf gemeinsame Werte. Auch der Rest des rechtsextremen Putin-Fanclubs wendet sich in Abscheu ab: Éric Zammour, Marine Le Pen, Matteo Salvini. Das heisst: Fast der ganze Rest. In Österreich faselt Herbert Kickl noch immer etwas von österreichischer Neutralität im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine.
Putin wurde höchstpersönlich auf die EU-Sanktionsliste gepackt. So schlecht muss man sich als Staatschef erst mal benehmen, um das zu schaffen. Egal, dass er theoretisch noch reisen darf und die Kreml-Kleptokratie auch so organisiert ist, dass Putin sowieso keine Vermögenswerte in seinem Namen im Ausland hält. Aber damit ist der russische Präsident endgültig auf dem gleichen Niveau gelandet wie die Despoten Kim Jong Un, Alexander Lukaschenko und Baschar al-Assad.
Mehr noch: Selbst der türkische Präsident Rezep Tayyip Erdogan geht zu ihm auf Distanz. Kein Nato-Staat hat bisher so eng mit Russland zusammengearbeitet wie die Türkei. Doch jetzt könnte Erdogan sogar den Bosporus für Russland sperren. Für die Türkei wäre das ein wirklich heikler Schritt, schließlich wurden um die Kontrolle der Meerenge zwischen Türkei und Russland schon Kriege geführt.
Auch der chinesische Präsident Xi überstürzt sich nicht gerade mit Solidaritätsadressen. China handelt zwar weiter mit Russland und es hat auch im UN-Sicherheitsrat nicht gegen Russland gestimmt. Bei der gegen Russlands Einmarsch in die Ukraine gerichtete Resolution im Sicherheitsrat vor dem Wochenende hat sich China aber enthalten. Und es hat alle Seiten zur Zurückhaltung aufgefordert.
Selbst die eigenen Leute hat Putin falsch eingeschätzt. Wie die Mitgründerin der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial Ira Scherbakowa gegenüber dem Falter sagt: „Es fehlt die Euphorie für diesen Krieg, die wir noch 2014 bei der Annexion der Krim gesehen haben.“ Zigtausende demonstrieren seit Tagen in russischen Straßen – und das, obwohl darauf sofortiger Arrest steht. Sogar im praktisch gleichgeschalteten russischen Parlament rumort es. Der kommunistische Parlamentarier Michail Matwejew erklärte: „Dieser Krieg sollte sofort gestoppt werden.“
Mit jeder weiteren Eskalation verliert Putin an Ansehen. Sein Land ist wirtschaftlich paralyisert. Das ist zwar richtig, aber es ist auch gefährlich. Je isolierter er ist – selbst von seinen eigenen Generälen und Ministern – umso wütender und unberechenbarer wird er. Als er am Sonntag Nachmittag seine nuklearen Waffen in Alarmbereitschaft setzen ließ, hielt die Welt den Atem an. Könnte Putin tatsächlich den Schritt wagen, auf den roten Knopf zu drücken? So irre ist er doch sicher nicht.
Im Moment können wir nur hoffen, dass er nicht so verrückt ist. Und dass Anton Tschechow nicht recht behält. Der russische Meisterdramatiker schrieb über die richtige Dramaturgie eines Stückes: „Man kann kein geladenes Gewehr auf die Bühne stellen, wenn kein Schuss daraus abgegeben werden soll.”