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Die Schlacht um die Wahrheit

https://www.falter.at/zeitung/20220301/die-schlacht-um-die-wahrheit-im-krieg?ref=homepage

Nicht nur in ukrainischen Städten, auch im Internet herrscht Krieg. Russische Trollfabriken und putinistische Medien wie RT verbreiten Fake News. Organisationen wie Bellingcat kämpfen mit Open Source Intelligence (OSINT) dagegen an.

EVA KONZETT, TESSA SZYSZKOWITZ
MEDIEN, FALTER 09/22 VOM 01.03.2022

 

“Weißt du, wie man eine Drohne fliegt? Komm zur Patrouille 112 der Kiewer Brigaden”, heißt es in einem Facebook-Post des ukrainischen Verteidigungsministeriums. Ukrainische Zivilisten bauen derzeit nicht nur Molokow-Cocktails. Die Kiewer werden auch dazu aufgerufen, mit ihren Hobby-Drohnen russische Truppen dabei zu filmen, wie sie in die Straßen der ukrainischen Hauptstadt vordringen. Denn: “In diesem historischen Moment braucht Kiew dich und deine Drohne.”

 

Der Krieg, den Vladimir Putin in der Ukraine begonnen hat, wird nicht nur von Soldaten geführt. Auch in den sozialen Medien finden heftige Schlachten zwischen Ukrainern und Russen und ihren jeweiligen Verbündeten statt. Dieser hybride Krieg wird von Russland mit einer Mischung aus Cyberangriffen, Bombendrohungen und Desinformationen geführt, um Verwirrung zu stiften, Panik zu verbreiten und generell zur Schwächung der ukrainischen Zivilbevölkerung beizutragen.

 

In der berühmten russischen Trollfabrik in St. Petersburg “Agentur für Internetrecherche” und ähnlichen Organisationen wird rund um die Uhr gearbeitet, um Falschmeldungen ins Internet zu streuen. Schon in der ersten Ukraine-Krise 2014 machte sich eine Flut an anti-ukrainischen “Nachrichten” in westlichen und vor allem polnischen Medien bemerkbar. Geleakte Dokumente aus dieser Zeit zeigen, wie Trolle instruiert wurden, Kommentare unter amerikanische und europäische Webportale wie Politico zu setzen – Arbeitspensum: 50 Kommentare unter Artikel pro Tag.

 

Die Internetfirma, die der Kreml zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung im In- und Ausland einsetzt, wurde vorige Woche von der EU auf die Sanktionsliste gesetzt. Ihr Besitzer soll Yevgeny Prigozhin sein, ein Putin-Freund, der auch die paramilitärische Gruppe Wagner finanzieren soll. Wagner-Söldner sind seit 2014 auch im Donbass gesichtet worden, sie unterstützen dort die separatistischen Rebellen.

 

Doch längst haben sich auch die Wahrheitssöldner aufs Cyber-Schlachtfeld begeben. Oft werden Clips angeklickt und weitergesendet - ohne, dass sich jemand die Mühe macht, ihren Wahrheitsgehalt zu verifizieren. Internetexperten und tausende Amateuraktivisten haben vor einigen Jahren begonnen, gegen Fake News zu kämpfen, Videos aus Kriegsgebieten zu verifizieren und damit zur Aufklärung von Vorgängen im Kriegsgebiet beizutragen.

 

“Es sieht so aus, als sei Streumunition neben Schulen und Spitälern eingesetzt worden”, heisst es bei Bellingcat in einer ersten Untersuchung ins Kriegsgeschehen in der Ukraine am 27. Februar. Bellingcat wertet Videos und Bilder aus, die auf sozialen Medien hochgeladen wurden. Der englische Internetaktivist Eliot Higgins hatte 2014 mit seiner Amateurorganisation einen weltweiten Trend gestartet. Mit Open Source Intelligence (OSINT) hat die Internet-Recherche-Plattform Cyber-Geschichte geschrieben: Im Gegensatz von Geheimdiensten, die geheime Informationen sammeln, verwendet Bellingcat nur offene Quellen im Internet. Heute wird OSINT oft auch mit Open Source Investigations übersetzt.

 

2017 bewies Bellingcat, wer 2014 das Passagierflugzeug MH17 über der Ukraine abgeschossen hat. 2018 lieferte Bellingcat die wahren Namen jener, die Sergej Skripal in Salisbury vergiftet hatten. Im Herbst 2020 recherchierte Bellingcat mit dem russischen Oppositionellen Alexej Nawalny, wer ihn mit dem Nervengift Nowitschok vergiftet hatte. Als Nawalny einen der Attentäter schließlich unter falschem Namen anrief und ihn dazu brachte, ihm das Mordskomplott zu erzählen, saß ein Bellingcat-Mitarbeiter neben ihm.

 

Dieser Mann heisst Christo Grozev und ist inzwischen vom freien Mitarbeiter zum Direktor von Bellingcat bestellt worden. Grozev stammt aus Bulgarien, lebt dem Vernehmen nach in Wien, aber am ehesten trifft man ihn im Internet an. Er twittert wie wild, aber im Kriegsgetümmel in der Ukraine gibt ja viel zu verifizieren.

 

Am Freitag abend, als andere längst im Feierabend waren, retweetete er einen Post von Aeroscout, der sich wiederum auf das Centre for Information Resilience berief. Ein Video von einem Angriff auf ein Gebäude, auf dem ein großes, schwer zu übersehendes rotes Kreuz prangt: “Verifiziert. Onkologie-Zentrum in Melitopol, Ukraine.” Soll nachher niemand behaupten können, er habe nicht gewusst, was er da bombardiert hat.

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