FEUILLETON, FALTER 05/22 VOM 02.02.2022

Wann ist eine Frau eine Frau? Diese Frage treibt derzeit den Feminismus um. Die Philosophin Kathleen Stock beharrt auf einer biologischen Definition der Geschlechter. Im Oktober 2021 kündigte sie ihre Stelle an der Universität Sussex. Studierende hatten seit geraumer Zeit gegen sie protestiert.

Sie sei keineswegs transphob, kontert Stock im Gespräch. Sie bestehe nur darauf, dass es biologische Unterschiede zwischen Männern und Frauen gebe, die auch juristische Konsequenzen hätten und nicht durch eine Selbstidentifikation der einzelnen Personen zu umgehen seien.

Die 49-Jährige lebt mit ihrer derzeit hochschwangeren Frau und zwei Söhnen in England, wird aber im Sommer einen Kurs an der University of Austin in Texas unterrichten. Die gerade in der Gründungsphase befindliche Universität versammelt Vortragende, die sich in ihrer Meinungsfreiheit eingeschränkt fühlen.

Falter: Nach 18 Jahren als Philosophie-Professorin an der Universität Sussex kündigten Sie im Herbst Ihren Job. Warum 

haben Sie den Studierenden nachgegeben? Die Uni hatte sich doch hinter Sie gestellt?

Stock: Es gab eine recht aggressive Kampagne gegen mich. Sticker auf den Toiletten, Poster überall und ein Manifest, das mich als “boshafte Stiefelleckerin” bezeichnete. Niemand weiß, wer dahintersteckte. Am Tag der offenen Tür im Oktober gab es auf dem Campus eine Demo mit hundert Leuten, die vermummt waren. Sie riefen: “Stock out!”

 

Falter: Ein paar vermummte Demonstranten sind nicht die Mehrheit.

 

Stock: Bei der schweigenden Mehrheit bin ich mir deshalb nicht so sicher, weil sie ja schon seit Jahren Zeit gehabt hätte, mir zur Hilfe zu eilen. Ist sie aber nicht. Die Universität Sussex ist in Brighton und dort ist die LGBTQ-Kultur zu Hause. Die Uni Sussex war schon seit drei Jahren kein besonders angenehmer Arbeitsplatz. Es gibt eine Kultur der Angst.

 

Falter: Wovor haben die Leute Angst?

Stock: Ich weiß es nicht genau. Sie wollen wohl nicht, dass mit ihnen das gleiche passiert wie jetzt mit mir.

 

Falter: Seit wann begannen Ihre Schwierigkeiten?

Stock: Mitte 2018. Damals hat die britische Regierung eine öffentliche Konsultation darüber abgehalten, ob wir zu Self-ID übergehen sollten. Und ich habe mich dazu geäußert.

 

Falter: Was bedeutet Self-ID?

Stock: Self-ID heißt, dass es nicht mehr um Hormone und Operationen geht, sondern um ein inneres Gefühl: “Ich fühle mich als Mann.” Oder: “Morgen bin ich eine Frau.” Demnach könnten alle einfach ein Dokument ausfüllen, um juristisch gesehen eine Frau zu werden, wenn sie bisher ein Mann waren und umgekehrt. Ich habe gesagt: Naja, da gibt es aber einige Probleme. Und sofort ging es los. Es gab Aufregung auf unserem Campus. Dann begannen Proteste bei meinen Vorträgen auf anderen Universitäten.

 

Faltern: Waren Sie überrascht von der Kritik?

Stock: Nicht wirklich. Ich wusste, dass viele Studierende sehr enthusiastisch sind, wenn es um Self-ID geht. Ich wusste auch, dass jede, die sagen würde: “Warte mal eine Minute, was sagst du da? Das ist doch keine gute Idee!” sofort als transphob bezeichnet werden würde. Ich wusste also, was mir drohte. Aber das jetzt, das habe ich nicht vorausgesehen.

 

Falter: Hätten Sie sich trotzdem engagiert?

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