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Krieg der Worte

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Debatte an britischen Hochschulen um das biologische Geschlecht

An britischen Universitäten kippt die Vision einer neuen Selbstbestimmtheit für alle LGBTQ+-Personen in eine autoritäre Dystopie. Feministische Professorinnen beschreiben ein Klima der Angst und fürchten um ihre Lehrstühle. Auf der Strecke bleibt der akademische Diskurs. 

 
 

Selina Todd hat ihre Stimme verloren. Nicht etwa in einem Schreiduell mit Studierenden in einem Hörsaal. Die feministische Professorin für Moderne Geschichte an der Universität Oxford ist nur schwer erkältet. Deshalb tippt sie beim Video-Interview mit Cicero wortlos ihre Antworten in den Chat: “Ich lasse mich nicht zum Schweigen bringen – weder von einem Schnupfen noch von verschnupften Studierenden.”

 

Todd gehört zu jener Gruppe feministischer Professorinnen in Großbritannien, die derzeit von Transaktivisten sowohl physisch wie akademisch unter Druck gesetzt wird. An den britischen Universitäten tobt ein Kampf, der das – ursprünglich - progressive Lager spaltet. Im Kern geht es um einen neuen akademischen Diskurs, der sich um die grundsätzliche Frage dreht: Gibt es ein biologisches Geschlecht? Oder ist das Geschlecht eine Frage der selbstdeklarierten Identität?

 

Das Problem ist nicht der Inhalt – Universitäten waren, sind und sollten der Ort sein, an denen neue Gedanken getestet und diskutiert werden. Das Problem ist eher, wie die Debatte geführt wird. Was immer man über biologisches oder selbstdeklariertes Geschlecht denkt – sollte nicht jeder oder jede das Recht haben, darüber offen zu reden? Statt einer offenen Diskussion kommt es im unversitären Bereich im Vereinigten Königreich und in den Vereinigten Staaten allerdings in den vergangenen Jahren vermehrt zu Boykottaufrufen.

 

Jüngster Anlassfall: Die Philosophieprofessorin Kathleen Stock an der Universität von Sussex wurde Anfang Oktober per Posterkampagne (“Stock Out”) von Aktivisten zum Rücktritt von ihrer Lehrfunktion aufgefordert, weil sie sich öffentlich dazu geäußert hatte, dass sie Geschlechts-Identität nicht für wichtiger hält als biologisches Geschlecht.

 

Kathleen Stock hat sich nach einer Welle von Hassmails in den sozialen Medien erst einmal aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Ihr wurde sogar Polizeischutz nahegelegt. Auch mit Cicero will sie derzeit nicht sprechen. “Es geht ihr nicht gut”, sagt Selina Todd.

 

Todd selbst ist eine prominente Historikerin in Oxford, die ebenfalls schon Opfer von Boykottaufrufen geworden ist. Im Februar wurde ein Vortrag sogar abgesagt. Als Historikerin für Sozialgeschichte untersucht Todd für Frauen spezifische historische Umstände und Zusammenhänge: “Für mich steht von der Faktenlage her außer Frage, dass Frauen als biologisches Geschlecht existieren.” Frauen seien schließlich als Frauen von Männern jahrhundertelang diskriminiert worden.

 

Todd und Stock, aber auch ihre Kollegin Jo Phoenix sind nach eigener Aussage ganz bestimmt nicht gegen die Rechte von Transgender-Personen. Sie sind nur nicht bereit, Rechte von Frauen, die hart erkämpft wurden, aufzugeben unter der Prämisse, dass jeder sich sein Geschlecht aussuchen kann. Denn hart erkämpft wurde zum Beispiel das Recht einer Frau über ihren eigenen Körper, wenn es um Abtreibung geht. Das betrifft eben nur jene Menschen, die eine Gebärmutter haben.

 

“Ich bin Soziologin, die im Kriminalrecht arbeitet”, sagt Jo Phoenix. Als Professorin für Kriminologie an der “Open University” in Milton Keynes hat sie – selbst von “De-Platforming” seit mehreren Jahren betroffen – einschlägige Erfahrungen gesammelt: “Ich arbeite viel in Gefängnissen. 80 Prozent der Frauen in Gefängnissen wurden sexuell missbraucht.” Die allermeisten von Männern. “Wenn jetzt Transgender-Personen in Frauengefängnissen aufgenommen werden, kann das bei ohnehin schon traumatisierten Frauen zu Problemen führen. Das heisst überhaupt nicht, dass Transgender-Personen sexuelle Aggressoren sind. Es geht eher um die Ängste der Frauen.”

 

Der zugrundeliegende Diskurs zwischen Feministinnen und Transgender-Aktivisten ist dabei durchaus spannend. Das binäre Konzept von zwei biologischen Geschlechtern - Männern und Frauen – sehen viele heute als veraltet an. Manche identifizieren sich nicht mit dem Geschlecht, das sie bei Geburt zugewiesen bekommen haben. Sie identifizieren sich entweder mit dem anderen Geschlecht und streben eine Geschlechtsumwandlung an. Oder sie definieren sich als Weder-noch. Deshalb sind im englischsprachigen Raum inzwischen die Pronomen she/hers, he/his und they/them recht gebräuchlich. Sie bezeichnen vor allem eines: Die Möglichkeit zur Option. Nur weil jemand wie eine Frau aussieht, muss sie - oder er - das noch lange nicht sein.

 

Diese Sichtweise hat im Prinzip auch einen großen Vorteil: Stereotype für Frauen und Männer gelten per se nicht mehr. Das verunsichert viele, die damit noch aufgewachsen sind. Es birgt aber auch Vorteile – jede und jeder kann sich seine Identität selbst zusammensetzen.

 

“Wir erleben einen einzigartigen Moment in der Geschichte”, sagt auch Jo Phoenix. “Wir könnten durch moderne Technologie unsere Körper unseren Bedürfnissen anpassen.” Sie selbst hat schwere Arthritis und deshalb künstliche Gelenke in ihren Schultern eingesetzt bekommen. “Wir müssen unter den neuen Umständen auch überlegen, wie wir Ideen über das biologische Geschlecht den jetzt entwickelten Möglichkeiten anpassen. Das hat Folgen für Rechte und Gesetze.”

 

Für die Diskussion auf den Universitäten aber ist nicht der Inhalt, sondern der Stil der Debatte das Problem: “Es herrscht ein Klima der Angst auf den Universitäten”, sagt Professorin Phoenix. Offiziell stellen sich die Universitäten vor ihre angegriffenes Lehrpersonal. Inoffiziell aber werden viele Einladungen nicht einmal mehr ausgesprochen, weil sich manche Colleges vor möglichen Ausschreitungen auf ihrem Campus fürchten.

 

Alle Unversitäten haben eine klare Politik gegen De-Platforming, also gegen die Ausladung von nicht-genehmen Vortragenden. Außer natürlich, sie brechen Gesetze. Wer aber bestimmt, was zum Beispiel Hetze gegen Minderheiten ausmacht? Für Transgender-Aktivisten erfüllen Professorinnen wie Kathleen Stock, Selina Todd oder Jo Phoenix den Tatbestand der Transgender-Phobie, weil auf eigenen Frauenrechten bestehen.

 

Die gemeinnützige Organisation “Stonewall” spielt dabei eine zentrale Rolle. “Stonewall” wurde 1989 gegründet, um die Rechte und Chancen von LGBTQ+ - also lesbischen, schwulen, bisexuellen und transgender - Personen zu schützen und zu stärken und ihre Diskriminierung zu verhindern. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von “Stonewall” beraten viele Universitäten wie auch öffentliche Institutionen wie die BBC. Mit ihrem “Diversity Champions Programme” erklären sie, wie Organisationen zu mehr Vielfalt in ihren Reihen beitragen können. “Wir von Stonewall stellen uns eine Welt vor, in der alle LGBTQ+ Menschen frei sind, sie selbst zu sein”, heisst es auf der Webseite.

 

Das klingt verführerisch. Doch die von “Stonewall” verheißene schöne, neue Welt ist nicht unbedingt immer friedlich. Wenn Professorinnen von hasserfüllten Kampagnen auf dem Universitätscampus und in sozialen Medien zum Rücktritt gedrängt werden, dann kippt die Vision einer Welt voller Freiheiten in eine autoritäre Dystopie, in der die Reform sich selbst zu erschlagen droht. “Ich glaube nicht, dass es progressiv ist, wenn Menschen wegen ihrer Meinung schikaniert werden”, sagt Jo Phoenix. Diese Kriege der Worte kann man schon führen, aber es ist immer die Frage: “In welchem Rahmen finden sie statt?”

 

Ob Kathleen Stock in diesem Herbst noch einmal in den Lehrsaal zurückkehren kann, ist bisher nicht geklärt. Bisher kann sie nur online. unterrichten. “Studierende fühlen sich eben intellektuell von ihr bedroht”, gab die Vertreterin für nicht-binäre Studierende Amelia Jones in einem BBC-Interview an.

 

Am Samstag Mittag fand an der Universität von Sussex eine Demonstration gegen Stock statt: “No Terf on our Turf” stand auf einem Transparent. “Terf” steht für “Trans exclusionary radical feminist” und unterstellt radikalen Feministinnen, dass sie Trans-Personen ausschließen wollen und transgenderphob sind.

 

Dass Professorin Stock diese Unterstellung zurückweist, ändert wenig. Eine Diskussion findet nicht statt. Die Demonstranten kamen vermummt mit Masken und Hoodies, “um sich selbst zu schützen”, wie es auf dem Aufruf zum Protest auf dem Twitter-Account von “Antiterfsussex” hieß.

 

 

 
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© 2018 Tessa Szyszkowitz