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"Solche Schocks werden wieder kommen!" Und noch viel schlimmer sein, als das, was wir jetzt erleben"

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Der britische Wirtschaftshistoriker Adam Tooze über die Welt im Lockdown, wie die globale Krise die Globalisierung verändert und warum chinesische Staatsanleihen der letzte Schrei an der Wall Street sind

TESSA SZYSZKOWITZ
POLITIK, FALTER 37/21 VOM 15.09.2021

Adam Tooze öffnet pünktlich zur verabredeten Zeit sein Zoom-Fenster, sieht aber erschöpft aus. "Es ist so heiß in New York", seufzt der Brite in perfektem Deutsch, "wer soll da schlafen können?" Gerade hat der umtriebige Wirtschaftshistoriker sein Buch über die Welt im Lockdown veröffentlicht. 2020 war zwar eine Katastrophe und ein massiver, globaler Wirtschaftseinbruch, doch Tooze erkennt auch die Chancen. Was den deklarierten Proeuropäer, der in Deutschland aufgewachsen ist, besonders freut: dass die EU gezeigt hat, dass sie funktionieren kann, wenn sie will. Zeit für ein Gespräch.

Falter: Herr Tooze, seit eineinhalb Jahren befindet sich die Welt im Corona-Ausnahmezustand. Wie geht es der Weltwirtschaft?

Adam Tooze: Was wir im April 2020 erlebt haben, hat es in dieser großflächigen, globalen Gewalt noch nie gegeben: ein 20-prozentiger Einbruch des globalen Bruttosozialprodukts. Es wird nicht das letzte Mal gewesen sein. Solche Schocks werden wieder kommen und noch schlimmer sein als das, was wir jetzt erlebt haben. Covid ist nicht die ärgste Virenform. Wir müssen uns viel besser vorbereiten und die politische Fantasie haben, schnell und großflächig zu reagieren. Das ist das Einzige, was uns retten kann.

Was waren Maßnahmen, die gut funktionierten?

Tooze: Die Kurzarbeit hat sich als Modell absolut bewährt, es ist ein Weltexport. Sie stabilisiert, ist kostengünstig und nimmt den Menschen die Angst. Sogar Australien hat damit experimentiert.

Sie schreiben, es ginge heute nicht mehr um Klassenkampf, und hinterfragen eher den Sinn eines rücksichtslosen Wachstums. Ist die Fixierung auf das Wirtschaftswachstum schlecht?

Tooze: Wir sollten uns in den reichen Ländern bestimmt überlegen, ob wir unbedingt fliegen müssen und wie viel Wachstum wir brauchen. Doch das ist kein Argument für "Degrowth", denn das ist meiner Meinung nach ein Luxus, den sich die Mehrheit der Menschen nicht leisten kann. Was China in den letzten Jahrzehnten gemacht hat, gab es in der Menschheitsgeschichte noch nie. Die Bereicherung von einigen hundert Millionen Menschen in so einem kurzen Zeitraum und die Abschaffung der absoluten Armut im bevölkerungsreichsten Land der Welt ist eine riesige Errungenschaft. Dadurch entstehen aber fast zwangsläufig Risiken, und wenn die kombiniert werden - wie wir es jetzt in Wuhan gesehen haben - mit einem unmittelbaren Anschluss einer riesigen Metropole an das Flugliniennetz der Welt, dann steckt darin ein Gefahrenpotenzial.

 

Tony Blair sagte 2005, wenn man die Globalisierung infrage stelle, könne man auch gleich die Jahreszeiten hinterfragen. Sie schreiben in Ihrem Buch, dass wir 2020 gesehen hätten, dass Globalisierung UND die Jahreszeiten infrage stehen.

Können wir die Zeiger der Weltuhr noch zurückdrehen?

Tooze: Vielleicht nicht zurückdrehen, aber umlenken schon. Unser Zoom-Gespräch zeigt ja, dass es neue Formen der Vernetzung gibt, die nicht klassisch sind.

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