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Wonderwoman



Freund und Feind nennen

Alexandria Ocasio-Cortez

nach ihren Initialen AOC.

 

AOC steht für klug, witzig

und kompromisslos.

Wie die 31-Jährige unsere

Herzen erobert, was wir

uns abschauen können

und wie sie die Welt verändern

könnte. Ein Porträt von

Tessa Szyszkowitz.


Erschienen am 22. Oktober in WOMAN

Alexandria Ocasio-Cortez wird nicht einfach abwarten, ob Donald Trump seine Niederlage akzeptiert oder nicht. Sollte er am 3. November nicht wiedergewählt werden und das Wahlresultat anzweifeln, dann weiß sie, wo man sie finden wird. Auf der Straße. „Wir müssen zu Massendemonstrationen bereit sein“, sagt die jüngste Abgeordnete im amerikanischen Kongress bei einem Gespräch auf dem virtuellen „New Yorker Festival“ am 10. Oktober. „Friedlich natürlich“, setzt sie mit einem breiten Lächeln hinzu. Denn eine starke Reaktion der Öffentlichkeit sei der Schlüssel dazu, ob autoritäre Führer machen können, was sie wollen“.

 

Alexandria Ocasio-Cortez ist die Anti-Trump-Politikerin par excellence. Für die Linken ist sie eine Wonderwoman, für die Rechten eine „Wicked Witch“, eine böse Hexe, schrieb das „Time Magazine“ über sie. AOC, wie Freund und Feind sie nach ihren Initialen nennen, steht jedenfalls für eine neue Generation amerikanischer Politikerinnen. Die 31-jährige New Yorkerin ist links und feministisch, selbstbewusst und lustig. Diese junge, farbige Frau lässt die alten, weißen Männer noch viel älter aussehen als sie sowieso schon sind.

 

Wo der amtierende Präsident immer nur Gefahren durch Einwanderer wittert, sieht sie die Chancen der Vielfältigkeit. Während er mit bösen, eitlen Kommentaren auf Twitter um sich schlägt, spielt sie ihn auf allen sozialen Medienkanälen mit funkelndem Humor an die Wand. Als ein altes Collegevideo auf Twitter zirkulierte, in dem sie auf dem Dach ihrer Alma Mater, der Boston University, als Studentin einen – für europäische Verhältnisse recht braven - „Breakfast Club Dance“ hinlegt, brach ein sehr amerikanischer Entrüstungssturm über sie herein. Doch der Clip schadete ihr am Ende keineswegs. Sie beantwortete die Aufregung mit einem neuen Video, in dem sie in ihr neues Büro imRepräsentantenhaus tanzte.

 

Dort, im Kongress, hat sie sich in ihren ersten zwei Jahren den Ruf als faktensichere, wahrheitshungrige Reformerinerworben.Medicare for all“ – Krankenversicherung für alle - und die Unterstützung für den Student Debt Cancellation Act2019 – die Streichung aller Schulden von Studierenden, die privat oder von Seiten des Staates angehäuft wurden – gehören genauso zu ihren Prioritäten wie der „Green New Deal“, den sie selbst eingebracht hat. Auf ihrer Webseite schreibt sie dazu: „Hier ist ein ambitionierter Plan, wie wir Klimawandel bekämpfen können, indem wir Millionen von hochbezahlten Jobs in neuen grünen Industrien schaffen. Wir müssen unser Energiesystem umbauen und eine neue Infrastruktur bauen.“

 

Die jüngste Abgeordnete von Washington ist Teil des „Squad“ – diesen Gruppennamen hat sie selbst in einem Instagram-Post vor zwei Jahren geprägt. Ein „Squad“, auf Deutsch:Kader, signalisiert geradezu militaristisch anmutenden Kampfwillen. Denn 2018 kamen vier farbige Frauen aus dem linken Flügel der Demokratischen Partei ins Abgeordnetenhaus. Neben AOC sind dies Ilhan Omar, Rashida Tlaib und Ayanna Pressley. Pressley tweetete: „Wir sind mehr als vier. Unser Squad besteht aus allen, die eine gerechtere Welt schaffen wollen.“ AOC ließ sich von der Hiphop-Gruppe „Terror Squad“ inspirieren, die aus ihrem New Yorker Heimatbezirk Bronx stammt und mit der sich viele Jugendliche um die Jahrtausendwende identifizierten. Die Gegenwehr aus konservativen Kreisen ließ nicht lange auf sich warten. Laura Ingraham von Fox-News nannte die Squad-Frauen die „vier Reiter der Apokalypse“.

 

AOC lässt sich von der reaktionären Gegenwehr nicht entmutigen. Die Empörung des Ancien Régime spornt sie eher an. AOC und ihre Mitstreiterinnen stehen für die nächste Generation der Progressiven in den Vereinigten Staaten. Bei den Primaries 2020 hat sie nicht den moderaten Joe Biden unterstützt. Auch nicht die linke Senatorin von Massachusetts, Elizabeth Warren. AOC entschied sich für den anderen alten,weißen Mann, Bernie Sanders. Seine linke, unkonventionelle, aktivistische Politik lag ihr am meisten.

 

Denn AOC gehört den Democratic Socialists of America an, der DSA, die am linken Rand der Demokratischen Partei angesiedelt ist. Als demokratische Sozialistin ist sie eine Provokation im kapitalistischen Amerika – doch so gesund und munter ist der Kapitalismus mit amerikanischem Antlitz nun gerade nicht. In der Krise des politischen Systems, das durch die Corona-Pandemie noch verstärkt wird, kommt die ehemalige Kellnerin aus der Bronx gerade zur rechten Zeit.  

 

Es ist aber bei weitem nicht nur ihre progressive Politik, die AOC so erfolgreich macht. Sie steht auch in ihrer Erscheinung für einen modernen Frauentyp. Die sozialen Medien sind ihr Element, sie schwimmt auf Instagram, Twitter und TikTok wie ein Fisch im Wasser: 6,9 Millonen folgen ihr auf Instagram, neun Millionen auf Twitter. Wenn AOC eine ihrer Kurzvideos losschickt, hat sie bereits ein Millionenpublikum erreicht, bevor sich ein Fernsehkanal darüber Gedanken gemacht hat, ob er die freche Politikerin einladen soll.

 

Sogar ihr Hundebaby ist Teil des virtuellen Konzepts einesprogressiven Politikerinnenlebens: „Deco“ ist sein Name, nach dem von AOC und ihrem Partner, Webdesigner Robert Riley,bevorzugten Architekturstil. „Art Deco war inspiriert von Optimismus und sozialem und technologischem Fortschritt – außerdem gehört der Stil zum Stadtbild von New York“, schrieb sie auf Twitter.

 

Zu ihrem 14. New Yorker Wahlbezirk gehört auch die Bronx, der traditionell multikulturelle nördlichste Bezirk von New York City, dessen Name auf den schwedischen Immigranten Jonas Bronck zurückgeht. Heute ist die Bronx zur Hälfte von Hispanics bewohnt, die Bronx ist zweisprachig. AOC selbst auch. Ihre Familie stammt aus Puerto Rico, sie selbst ist in New York aufgewachsen, sie ist - so nennen sich die New Yorker Puertorikaner - eine „Nuyorican. Ihr Stolz auf ihre gemischte Herkunft ist für viele erfrischend in einem Land, das seit der Wahl von Donald Trump weißen Rassismus wieder salonfähig gemacht hat, weil der Präsident rechtsextreme Ausschreitungen nicht scharf verurteilt hat.

 

Sie ist nicht nur stolz auf ihre Geschichte, sie hat auch für die Zukunft ehrgeizige Pläne. Sie ist nicht nur die jüngste Frau, diejemals ins Abgeordnetenhaus gewählt worden ist. Sollte der 76-jährige Joe Biden die Wahlen im November gewinnen und in vier Jahren kein zweites Mal antreten, dann könnte AOC auch gleich die jüngste Frau werden, die sich je um die Nominierung als Präsidentschaftskandidatin beworben hat.

 

Alexandria Ocasio-Cortez wäre nicht die einzige und auch nicht die offensichtlichste Kandidatin für die erste Präsidentin im Weißen Haus. Der Platz ist schon von Joe Bidens RunningMate“ Kamala Harris besetzt. Die ehemalige kalifornische Generalstaatsanwältin wäre mehrheitsfähiger als die weit radikalere AOC.

 

Doch wer weiß? Wenn die Amerikaner nach Donald Trump und Joe Biden Lust auf tiefgreifende Veränderung haben, dann wären sie bei Alexandria Ocasio-Cortez jedenfalls an der richtigen Adresse. Denn man muss 35 Lebensjahre angesammelt haben, um das höchste Amt im Staate anstreben zu können. Das ginge sich gerade knapp aus. AOC wird zwei Wochen vor den nächsten US-Präsidentschaftswahlen 35 Jahre alt.

 

 

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© 2018 Tessa Szyszkowitz