“Dieser Diktator in Peking greift nicht nur in Hongkong hart durch”
Chris Patten, der letzter britischer Gouverneur von Hongkong, über den Griff des chinesischen Präsidenten Xi Jinping auf Hongkong, Europas und Britanniens Antwort darauf und den “dogmatischen Wahnsinn” eines harten Brexit.
Chris Patten, 76, blickt auf eine lange Karriere als konservativer Politiker zurück. Unter Margaret Thatcher war er Umweltminister, unter John Major Parteivorsitzender. Von 1999-2004 war er EU-Außenkommissar in Brüssel und er ist heute Kanzler der Universität von Oxford. Von 1992 bis 1997 war Chris Patten der letzte britische Gouverneur von Hongkong. Er überwachte den Moment, in dem die britische Fahne nach mehr als 150 Jahren eingeholt wurde. Rechtliche Grundlage für den Abzug der Briten war eine Gemeinsame Erklärung Chinas und des Vereinigten Königreichs über die Autonomie Hongkongs und einen rechtlichen Rahmen als “Ein Land, zwei Systeme”. Mit dem neuen Sicherheitsgesetz, das China für Hongkong Ende Mai vorstellte, wird diese rechtliche Grundlage gebrochen. Profil interviewte Lord Patten via Videolink am 4. Juni, dem 31. Jahrestag des Tianman-Massakers, bei dem die demokratischen Proteste chinesischer Studierender gewaltsam niedergeschlagen wurden.
Profil: Der britische Premierminister Boris Johnson hat drei Millionen Hongkong-Chinesen angeboten, nach Großbritannien zu ziehen. Ist das die richtige Antwort auf Chinas Griff nach Hongkong?
Patten: Es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Es löst aber nicht alle Probleme, die Hongkong in Zukunft haben wird. China hat einen internationalen Vertrag gebrochen. Wir in den westlichen Demokratien, aber auch die Nachbarn in Asien wie Vietnam müssen darauf reagieren, damit unsere gemeinsamen Interessen gewahrt werden. Die britische Regierung hat anerkannt, dass das, was in Hongkong passiert, nur ein Teil des chinesischen Problems ist. Dieser Diktator in Peking greift nicht nur in Hongkong hart durch, sondern überall.
Profil: Weder Großbritannien noch die EU wollen aber doch die wirtschaftlichen Beziehungen zu China durch Sanktionen verschlechtern?
Patten: Ich bin sicher, dass diese Sache Auswirkungen auf unsere diplomatischen Beziehungen haben wird. Auf Initiative ehemaliger britischer Außenminister wollen wir eine internationale Kontaktgruppe aller Länder einsetzen, die spezielle interessen in Hongkong und China haben. Wir wollen darüber wachen, was in Hongkong passiert und aufzeigen, wenn Hongkongs Autonomie und die Rechtsstaatlichkeit verletzt werden. Ich möchte keine Sanktionen sehen, die dann Hongkong treffen. Wir sollten aber China sowieso nicht aus allem ausschließen, es geht immerhin um ein Land mit 1,4 Milliarden Menschen. Die EU sollte sich als Union der Werte präsentieren. Ich wünschte, Großbritannien würde da noch seine Stimme erheben können.
Profil: Apropos - der britische Premierminister plant offenbar im Schatten der Coronakrise einen harten Brexit Ende des Jahres.
Patten: Es ist ein Beispiel für offenen, dogmatischen Wahnsinn. Die britische Regierung fühlt sich dazu von manchen ideologischen Anhängern verpflichtet, obwohl deren Zahlen sinken. Es ist aber wohl auch so, dass die Regierung gerne die Probleme, die der Brexit mit der EU bringt, auf die Coronakrise schieben will. Das ist zynisch und lächerlich.
Interview: Tessa Szyszkowitz