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„Boris hat seine Kritiker verblüfft”

https://www.cicero.de/aussenpolitik/rachel-johnson-interview-boris-johnson-grossbritannien

Die First Sister Rachel Johnson spricht im Interview über ihren älteren Bruder, den kontroversen Premierminister Großbritanniens Boris Johnson, das Coronavirus und ihr neues Buch.

Die britische Journalistin und Autorin Rachel Johnson tritt oft in politischen Talkshows auf. Seit ihr älterer Bruder Boris im Februar 2016 zum Anführer der Brexiteers wurde, sind die sonntäglichen Lunches der Johnsons nicht immer spannungsfrei. Rachel Johnson kandidierte sogar 2019 als Kandidatin der proeuropäischen „Change UK”-Partei für die EU-Wahlen. In ihrem Buch „Rake’s progress” beschreibt die dreifache Mutter ihre kurze politische Karriere und ihre Rolle als First Sister.

Wie macht sich Ihr Bruder als Premierminister Ihrer Meinung nach?
Boris hat seine Kritiker verblüfft. Meiner Meinung nach hat er einen guten Start hingelegt. Er ist dynamisch, entscheidungsfreudig, klug und vermittelt den Leuten den Eindruck, dass er Dinge erledigen kann. Und: Mein Bruder ist ein Optimist, der generell denkt, alles wird gut ausgehen.

Gegen das Coronavirus wird der Premierminister mit Optimismus allein aber nicht gewinnen, oder? Seine Strategie der „Herdenimmunität” ist derzeit, einfach nur die Älteren zu isolieren, sonst aber weder Schulen noch Pubs zu schließen. Ist das verantwortungsvoll?

Er wird gegen seine eigenen Instinkte harte Entscheidungen treffen müssen. Vor einer Woche waren wir noch alle beim Rugby-Match im Twickenham-Stadium. Boris und Carrie kamen auch. Und mein Vater.  

 

Carrie Symonds, die Verlobte Ihres Bruders, ist schwanger. War das klug, sich mit 80.000 Menschen in ein Stadium zu setzen?
Bisher regt sich niemand auf, wir Briten sind eben so: Keep calm and carry on! Was sollen wir sonst machen?

Hat Ihr Bruder Ihr Buch schon gelesen? Gefällt es ihm?
Ich habe dem Premierminister natürlich ein Buch überreicht. Wir saßen bei meiner Mutter im Krankenhaus. Boris las gleich rein, runzelte dann die Stirn und sagte: „Musstest du das alles schreiben? Jetzt muss ich meine eigenen Memoiren verfassen, um diesem Haufen Blödsinn etwas entgegenzusetzen!”

Klingt nach einem Wettbewerb zweier Geschwister um die Wahrheit?
Ich verlor den Kampf schon am Tag meiner Geburt, weil ich nach ihm geboren wurde. Er hat gewonnen, er ist jetzt Premierminister. Das ist okay so, ich will ja dieses Land nicht regieren. Ich will einen Hund und ein schönes Leben.

Wirklich? Sie sind im vorigen Frühling als Kandidatin der proeuropäischen Neugründung Change UK für das Europäische Parlament angetreten. Sie sind zwar nicht gewählt worden, aber sind Sie nicht doch stolz darauf, dass Sie versucht haben, aktiv gegen den Brexit zu kämpfen?
Deshalb habe ich dieses Buch geschrieben. Ich meine, ich will damit auch aufregen. Es wird einige Leute verärgern. Aber ich wollte vor allem beschreiben, wie eine politische Bewegung und eine Partei entsteht und an den Umständen scheitert. Als ich vorigen Frühling aus London in den Südwesten Englands, nach Somerset, zum Wahlkämpfen fuhr, da wusste ich sofort: Wir haben verloren. Die waren dort einfach alle für den Brexit.

Wir leben in London in einer Blase. Es ist kein Geheimnis, dass ich denke, wie dumm es ist, was jetzt hier passiert. Besonders blöd ist, wie Ideologie über sensible Entscheidungsfindung triumphiert. Vom Terrorismus bis zur Luftfahrt können wir doch nichts allein entscheiden. In meinem Buch geht es darum, wie meine politische Karriere an dem Tag endete, an dem sie begann.

Sie haben es wenigstens versucht. Waren Sie damit nicht auf der richtigen Seite der Geschichte?
Ich weiß nicht, war ich? Verloren haben wir Remainer jedenfalls. Die Brexitfrage ist jetzt geklärt. Erst die nächste Generation kann sich darum kümmern, wieder der EU beizutreten. Vielleicht hat der Coronavirus schon mein Hirn angegriffen, aber ich bin mir nicht mehr so sicher.

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© 2018 Tessa Szyszkowitz