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Nach dem Brexit ist vor dem Brexit

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FAHRPLAN FÜR DEN EU-AUSTRITT GROSSBRITANNIENS

Großbritannien tritt am 31. Januar offiziell aus der Europäischen Union aus. Danach beginnen Verhandlungen über die künftigen Beziehungen. Auf Hochtouren, da Boris Johnson angekündigt hat, dass die Übergangsphase Ende 2020 enden muss

 

Ein Feuerwerk soll es geben, Musik und Gesang. Nigel Farage, Chef der Brexit-Party, will am 31. Januar alle Brexitfans am Parlamentsplatz vor dem britischen Westminsterpalast zusammentrommeln: „Es soll ein Fest der Freude werden”, gibt Britanniens oberster EU-Feind zu Protokoll. Schließlich erfüllt sich an diesem Tag endlich sein Traum: Das Vereinigte Königreich tritt aus der Europäischen Union aus. 

Die Briten verlassen Ende Januar offiziell die Europäische Union. Die Übergangsphase, die mit der EU im Austrittsabkommen ausgehandelt wurde, dauert aber noch bis Ende 2020. Bis dahin wird der Brexit kaum sichtbar werden. Die Freizügigkeit für Bürger und Waren bleibt bestehen, die Briten sind immer noch Teil des EU-Binnenmarktes und der EU-Zollunion. Studierende aus Deutschland müssen sich erst einmal noch keine Sorgen machen, dass sich ihre Studiensituation an britischen Universitäten in diesem Jahr ändert. Auch britische Exporteure handeln noch zu gleichen Bedingungen mit britischen Partnerfirmen wie bisher.

Goldener Handshake für Nigel Farage 

Aus den EU-Institutionen ziehen die britischen Vertreter allerdings Ende des Monats aus. Die 73 EU-Abgeordneten drehen diese Woche in Strasbourg ihre Abschiedsrunde. Bis zum 7. Februar räumen sie ihre Büros in Brüssel. Auch das ist für Nigel Farage eine reine Freude. Seit 1999 war er EU-Parlamentarier – mit dem einzigen Ziel, sein Land aus der EU herauszuholen. Dafür bekommt er zum Abschied den nach Amtsjahren gerechneten goldenen Handshake in Höhe von 178.657 Euro steuerfrei. 

 

Für Irina von Wiese – eine Deutsche aus London, die erst seit den EU-Wahlen im Mai 2019 Abgeordnete der britischen Liberaldemokraten im Europäischen Parlament gewesen ist – bedeutet der 31. Januar einen traurigen Moment. Sie gründet allerdings schnell noch eine britisch-europäische Freundschaftsgruppe und schreibt auf Twitter: „Keine Scheidung!... Wir planen eine Zukunft mit engen Beziehungen.“

Austritt ohne Freihandelsauskommen? 

Das ist 2020 die Kernfrage: Wie eng wollen Vereinigtes Königreich und Europäische Union nach ihrer institutionellen Trennung bleiben? Wenn man den britischen Premier Boris Johnson ernst nimmt, dann will er seine Insel weit weg vom Kontinent führen. Großbritannien soll Zollunion und Binnenmarkt verlassen. Je weiter sich Britannien von EU-Standards entfernt, umso höher werden die Handelsbarrieren. EU-Regeln zu Arbeiterrechten, Umweltschutz und Staatshilfen entwickeln sich dann in andere Richtungen.

Mit dem 1. Februar beginnt zudem ein ungemütliches Rennen gegen die Zeit. Sollten sich die Verhandlungen schwierig gestalten, könnte Boris Johnson im Frühsommer 2020 um Verlängerung der Übergangsphase um ein bis zwei Jahre ansuchen. So steht es im Austrittsvertrag, der mit der EU ausgehandelt wurde. Johnson selbst hat dies allerdings per Gesetz ausgeschlossen. Ob Großbritannien bis zum 31. Dezember 2020 mit den ehemaligen EU-Partnern ein Freihandelsabkommen ausgehandelt und ratifiziert haben kann, das alle künftigen Beziehungen zur EU regeln soll? Eine Aufgabe, die kaum zu stemmen ist, wie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei ihrem ersten Besuch in Downing Street vorige Woche klargestellt hat. 

Bricht der Absatzmarkt für deutsche Autos weg?

Denn es geht dabei nicht nur um die Wirtschaftsbeziehungen, sondern auch um eine Sicherheitskooperation, Data-Sharing und Fischereirechte. Ein ähnliches Abkommen mit Kanada wurde erst nach sieben Jahren zäher Verhandlungen fertiggestellt.  Wo das Abkommen nationales Recht betrifft, haben die Parlamente der EU-Mitgliedstaaten und teilweise sogar die Parlamente einzelner Regionen ein Vetorecht. 

Gibt es kein Abkommen, kippt das Vereinigte Königreich Ende 2020 aus der EU, ohne die vielfältigen Beziehungen geregelt zu haben. Vor diesem harten Brexit graut Geschäftsleuten auf beiden Seiten des englischen Kanals: „Die deutsche Autoindustrie kann die Herausforderungen eines geordneten Brexit stemmen”, sagt Bernhard Mattes, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie VDA: „Aus unserer Sicht aber sollte das Verhältnis zwischen Großbritannien und der EU so eng wie möglich bleiben.” Kein Wunder: Großbritannien ist eines der wichtigsten Exportländer für deutsche Autos. Über eine halbe Million PKW wurden 2019 aus Deutschland auf die britische Insel ausgeliefert. Allerdings schrumpfen die Zahlen bereits seit dem Brexitvotum 2016. 2016 waren es noch über 800.00 PKWs. 

Die Zeit wird knapp 

Experten bezweifeln deshalb, dass Boris Johnson überhaupt ein umfassendes Abkommen anstrebt. „Wenn es die Priorität der britischen Regierung ist, auf Geschwindigkeit zu setzen, dann wird sie wichtige Dinge opfern müssen”, erklärt Joe Owen vom Institute for Government, „das Abkommen wird nicht ehrgeizig sein können, und die Wirtschaft wird kaum Zeit haben, sich auf die Änderungen einzustellen.” Möglich, dass Boris Johnson seine Verhandler anweist, nur ein Freihandelsabkommen für Güter auszuhandeln. 

Im Regierungsbezirk Whitehall rauchen die Köpfe, denn auch wenn die Brexitfrage irgendwann geklärt wird, muss die britische Regierung sich darauf einstellen, dass sie künftig nur noch ein Land mit 66 Millionen Einwohnern vertritt und nicht mehr Teil eines Handelsblocks mit 500 Millionen Menschen ist. Wie sich das auswirkt, kann man jetzt schon in den Gesprächen der Briten mit den USA und China über die Beteiligung des chinesischen Mobilfunkausrüsters Huawei am Aufbau des 5-G-Netzwerkes beobachten.

Deals mit China haben Vorrang 

Die USA üben Druck auf Großbritannien aus, Huawei nicht mit dem 5-G-Ausbau zu beauftragen. Das Argument: Die Firma stehe unter dem Einfluss des chinesischen Staates, die Sicherheit von sensiblen Daten durch die Beteiligung von Huawei in Großbritannien sei gefährdet. Großbritannien möchte die Chinesen aber nicht verärgern. So wie für Deutschland stehen gute Geschäfte mit China auf der britischen Prioritätenliste ganz oben. Kann sich Großbritannien aber gerade jetzt leisten, eine der beiden Großmächte zu verstimmen, wo England sich von der EU abwendet und als Global Player zu positionieren versucht? 

Darauf will auch einer der lautesten Befürworter des Brexits keine klare Antwort geben. Liam Fox, bis 2019 internationaler Handelsminister, antwortet ausweichend: „Vielleicht sollten wir uns erst darauf konzentrieren, uns mit den technischen Details von 5-G zu beschäftigen, vielleicht können wir jene Teile von Huawei übernehmen, die unproblematisch sind.” In seinem ersten BBC-Interview seit seinem Wahlsieg am 12. Dezember versuchte Boris Johnson am Dienstag vorsichtigen Widerstand gegen die Amerikaner: „Wenn jemand gegen eine Firma ist, sollen sie uns eine andere vorschlagen.” 

Krisengipfel mit Paris und London 

In den kommenden Monaten müssen auf EU-Ebene mit Großbritannien nicht nur Wirtschaftsfragen geklärt werden. Auch Sicherheitsfragen und die politische Kooperation in Krisenfällen müssen neu definiert werden. Wie weit werden die Briten in Zukunft an EU-Sicherheitssystemen wie Europol beteiligt sein können? Beide Seiten haben höchstes Interesse, dass die Sicherheit der Bevölkerungen in den EU-Staaten und im neuen Drittstaat-Partner Großbritannien in Zukunft nicht gefährdet wird, weil man Polizeidaten nicht mehr automatisch austauschen kann.

Auch politisch muss eine neue Struktur aufgebaut werden, mit der man gemeinsam auf globale Krisen reagiert. Die Briten sind dann nicht mehr als EU-Mitglied automatisch eingebunden. Schon bisher koordinieren sich in Krisenfällen Berlin, Paris und London außerhalb der EU-Institutionen. Zur Eskalation zwischen dem Iran und den USA haben sich die drei Länder allerdings erst nach Tagen zu einer gemeinsamen Erklärung aufgerafft: „Der Iran muss zur vollumfänglichen Einhaltung seiner Verpflichtungen aus der Wiener Nuklearvereinbarung zurückkehren.” Das klang etwas matt, hatte Donald Trump das Atom-Abkommen mit dem Iran doch bereits 2018 einseitig aufgekündigt. 

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© 2018 Tessa Szyszkowitz