Tom Tugendhat, Vorsitzender des Außenpolitischen Ausschusses im britischen Parlament, über seine Gründe, für den Brexit zu stimmen, eine EU ohne Großbritannien und seine Weigerung, mit FPÖ-Abgeordneten zu reden.
Tom Tugendhat, 45, führt seit 2017 den Vorsitz im Außenpolitischen Ausschuss des britischen Parlaments. Der konservative Politiker und Oberstleutnant der britischen Armee stammt aus einer österreichischen Familie, die vor den Nazis nach London flüchten musste. Tugendhat ist mit einer Französin verheiratet, er hat sich 2016 für den Verbleib in der EU eingesetzt. Loyal mit seiner Parteichefin Theresa May hat er jetzt allerdings bereits zwei Mal im Parlament für die Annahme des EU-Austrittsvertrages gestimmt.
Beim Interview mit profil vorigen Sonntag im Café Landtmann nach einer Burgtheaterdebatte des “Instituts für die Wissenschaft vom Menschen” behielt Tugendhat sein Mobiltelefon fest im Blick. Auf einer Whatsapp-Gruppe debattierten seine Tory-Kollegen über den geplanten Parteiputsch gegen Theresa May. Um dem zuvorzukommen, hat die britische Premierministerin schon ihren Rücktritt angeboten. Wenn die konservativen Meuterer vorher noch ihren Scheidungsvertrag annehmen.
Profil: Fast drei Jahre nach dem Brexit-Referendum hat es britische REgierung noch immer nicht geschafft, eine politische Mehrheit für den Ausstieg aus der EU zu bekommen. Sollen die Briten nicht lieber noch einmal abstimmen?
Tugendhat: Es gibt keinen großen Stimmungsumschwung in der Bevölkerung, wir haben dafür keine Anzeichen.
Profil: Die jüngste Umfrage vom “National Centre for Social Research” zeigt aber doch, dass inzwischen schon 55 Prozent dafür sind, in der EU zu bleiben.
Tugendhat: Ich kann Ihnen nur aus meiner Erfahrung sagen: Auf mich kommen keine Leute zu, die sagen: “Ich habe für Brexit gestimmt und ich will jetzt doch bleiben.” Vielleicht sind das nur meine Kreise, aber so empfinde ich es. Ich treffe hauptsächlich Leute, die heute noch wütender sind als vor drei Jahren.
Profil: Über eine Million Menschen sind am vorigen Samstag in London auf die Straße gegangen, um ein zweites Referendum zu fordern. Ist das nichts?
Tugendhat: Sicher, das ist schon sehr beeindruckend. Aber das sind die gleichen Leute, die auch schon vor drei Jahren für den Verbleib in der EU gestimmt haben. Die repräsentieren keinen Wandel.
Profil: Was hat Sie denn verändert? Sie haben für die EU gestimmt und sind jetzt für Brexit.
Tugendhat: Das stimmt. Ich glaube, das Referendum 2016 hatte eine demokratische Legitimität, die wurde noch durch die Parlamentswahl 2017 verstärkt, in der das Versprechen gegeben wurde, den Brexit durchzuführen. Dafür haben die Leute gestimmt. Wir sollten uns daran halten.
Profil: Wenn man den gleichen Austrittsvertrag drei Mal im Parlament abstimmen kann, dann ist vielleicht auch ein zweites Referendum über einen konkreten Brexit-Vorschlag legitim?
Tugendhat: Wir hatte schon ein Votum. Wir sollten es einfach umsetzen.
Profil: Der Klubzwang im ehrwürdigen britischen Parlament hat sich aufgelöst, Whatsapp-Gruppen beherrschen die Lobby. Wie kam es zu diesem Brexitchaos?
Tugendhat: Es ist doch ganz normal, dass Abgeordnete sich privat über Strategien absprechen. Das passiert bei uns seit 700 Jahren und wir setzen diese Tradition fort. Statt sich im Kaffeehaus oder in den Büros zu treffen, sprechen wir miteinander heute auf Whatsapp. Das ist die technologische Evolution eines alten Systems.
Profil: Kommt es nun zu einem Parteiputsch gegen Premierministerin Theresa May oder nehmen Ihre Kollegen doch noch ihren Austrittsdeal an?
Tugendhat: Es ist zu früh, das einschätzen zu können. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Premierministerin in einigen Tagen nicht mehr im Amt ist. Was dann passiert, wissen wir noch nicht.
Profil: Wer soll sie Ihrer Meinung nach ersetzen?
Tugendhat: Ich würde sagen, wir brauchen jemanden, der dafür gestimmt hat, die EU zu verlassen. Er hätte die Chance, die notwendigen Kompromisse durchzusetzen. Ein Proeuropäer hätte das Problem, das alles was er tut, als Verrat angesehen würde. Jemand wie Umweltminister Michael Gove wäre gut.
Profil: Großbritannien ist vielleicht ein schwieriger Partner für die EU gewesen, aber immer ein wichtiger. Fürchten Sie nicht um den britischen Einfluss in vielen Bereichen?
Tugendhat: Man kann ja auch außerhalb der EU-Gremien kooperieren. Wir werden in der OSZE, der Nato, der UNO präsent sein und mit den Europäern neue Kanäle öffnen. Wir brauchen neue Formate für die notwendigen Gespräche.
Profil: Wenn die Briten die EU verlassen, dann wird ihre Stimme aber erst einmal fehlen. Beispiel: Putins Russland. Ihre Regierung will die EU-Sanktionen beibehalten, Österreich ist eher für Aufhebung.
Tugendhat: Wir müssen weiter eng mit allen Partnern zusammenarbeiten. Mit Amerika wie mit der EU. Denn Russland ist für uns alle eine Herausforderung. Erst wurde Georgien überfallen und teilweise besetzt, dann die Ukraine. Russland hat extrem feindliche Aktivitäten in den baltischen Staaten durchgeführt. In Montenegro hat Russland versucht, den Premierminister umzubringen. In Deutschland hat das Land Falschinformationen verbreitet, um Unruhe zu schüren. Russland benimmt sich heutzutage äußerst feindselig gegenüber mehr oder weniger jedem. Wir müssen deshalb zusammenarbeiten, um die Russen vor ihrer Führung zu schützen. Russland wird von einem gewalttätigen Mafia-Regime regiert, an dessen Spitze einer der reichsten Männer der Welt steht. Wladimir Putin hat sein Geld rund um die Welt versteckt, in verschiedenen Jursidiktionen, leider auch im Vereinigten Königreich.
Profil: Ist das Brexitchaos schuld daran, dass Britannien zu wenig dagegen tut?
Tugendhat: Ich bin sehr dahinter, dass wir viel besser darin werden, Putins Geld zu finden, zu beschlagnahmen und es dem russischen Volk zurückzugeben. Die Regierung tut jetzt gute Arbeit, um illegale Vermögen einzufrieren. Aber es stimmt, das hätte vor zehn Jahren passieren sollen.
Profil: Die britischen Überseegebiete sollen zu mehr Transparenz gezwungen werden – bisher kann man dort viel zu einfach Geld parken und waschen. Jetzt soll es öffentlich zugängliche Register geben. Die Regierung will aber schon wieder auf 2023 verschieben.
Tugendhat: Das hat nichts mit dem Brexit zu tun, sondern damit, dass die Behörden erst ihre Steuercodes anpassen müssen.
Profil: Sehen Sie den Brexit als ähnliches Phänomen wie Trumps Wahl in Amerika und die rechtspopulistische Welle in Europa?
Tugendhat: Teilweise schon. Die Leute im Vereinigten Königreich hatten allerdings wirklich unterschiedliche Gründe, für den Brexit zu stimmen. Sie wollten die Kontrolle über ihre Institutionen zurückhaben. Ich habe damals argumentiert, dass wir unsere Anliegen in der EU besser vertreten könnten, wenn wir am Tisch sitzen. Aber die Leute haben sich für etwas anderes entschieden.
Profil: Die Wut gegen Eliten und Brüsseler Eurokraten teilen die Brexitiere aber zum Beispiel mit FPÖ-Wählern. Sehen Sie Ähnlichkeiten?
Tugendhat: Im Vereinigten Königreich haben wir kein Problem mit der extremen Rechten. Es ist wirklich gefährlich, dass die Leute denken könnten, dass Brexit irgendetwas mit der FPÖ zu tun haben könnte. Das ist nicht der Fall.
Profil: Fürchten die britische und andere europäische Regierungen, dass die Einbindung der FPÖ in eine Regierungskoalition in Österreich die Sicherheit der europäischen Sicherheitsdienste kompromittiert?
Tugendhat: Ja. Es ist sehr schwierig, eine Organisation wie das österreichische Innenministerium wohlwollend zu betrachten, wenn es von einem FPÖ-Mitglied geleitet wird.
Profil: Stimmt es, dass Sie sich geweigert haben, FPÖ-Abgeordnete zu treffen, die sie in London besuchen wollten?
Tugendhat: Ja, das stimmt. Ich habe mich geweigert. Ich treffe mich nicht mit Faschisten. Ich halte es wirklich nicht für eine gute Idee. Egal, aus welchem Land sie kommen.
Profil: Bliebe Britannien in der EU, könnte das Vereinigte Königreich ein Gegengewicht zum Trend nach rechts außen bilden?
Tugendhat: Das kann man zwar legitimerweise so sehen, aber die Briten haben eine andere Perspektive. Brexit ist kein rechtes Projekt. Jeremy Corbyn hat immer gegen die EU gestimmt, mehr als dreißig Jahre lang und er ist trotzdem sehr links.
Interview: Tessa Szyszkowitz