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"Wir brauchen einen Dschihad gegen die Gewalt"

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Sara Khan fordert Muslime im Westen dazu auf, die ideologische Schlacht um den modernen Islam nicht den Extremisten zu überlassen.

Sara Khan, 32, ist in Großbritannien geboren und aufgewachsen, sie hat Pharmazie in Manchester studiert und lebt mit ihrer Familie in London. Ihre Eltern stammen aus Pakistan. Seit 2009 leitet Khan “Inspire”, eine Menschenrechtsgruppe von und für muslimische Frauen in London.

Profil: Führt der Fall Malala zu mehr Angst vor den islamistischen Extremisten oder zu mehr Widerstand gegen sie?

Khan: Der Mordversuch war ein solcher Skandal, er hat weltweit eine ungeheure Reaktion ausgelöst. Und er hat ein Schlaglicht darauf geworden, dass sehr viele moslemische Frauen um ihre Gleichberechtigung kämpfen müssen – ob in Pakistan oder hier. Ich bin froh, dass ich hier in Großbritannien lebe, wo es Recht und Ordnung gibt. Doch auch hier gibt es diesen Extremismus innerhalb des Islam. Und es ist bedrohlich, wie sehr er wächst.

Profil: Warum aber steigt der extreme Islamismus in Großbritannien? In Pakistan könnte man argumentieren, dass eine traditionell konservative Gesellschaft von Krieg und Korruption zerrüttet wurde und sich wieder einer extremen Interpretation des Islam zuwendet. Warum aber haben moslemische Fanatiker auch im Westen Zulauf?

Khan: Die Extremisten hier wie dort eint die Ideologie – die Rolle der Frau wird als Exemplarfall für den “wahren” Islam ausgewählt. Je weniger Frauen in der Gesellschaft zu sagen haben und gesehen werden, umso “echter” ist der Islam. Das ist natürlich Blödsinn. In 1400 Jahren hat der Islam viele gelehrte Frauen, Architektinnen oder Dichterinnen hervorgebracht. Aber dieser Interpretation folgen die Extremisten unter uns und es macht aus ihrer Perspektive auch Sinn: Demokratie kann nur Erfolg haben, wenn alle Menschen gleiche Rechte haben. Frauen sind für den Machtanspruch der Islamisten besonders gefährlich. Wenn sie zur Schule gehen und ausgebildet sind und dann Arbeit haben und über unabhängige Gehälter verfügen, dann werden sie auch die Macht teilen wollen. Deshalb hatten die Taliban panische Angst vor Malala. Und deshalb wollten sie sie zum Schweigen bringen.

Profil: Ihre Organisation “Inspire” ruft zum “Dschihad gegen Gewalt” auf – das klingt in westlichen Ohren wie ein Paradox.

Khan: Genau darum geht es uns. Der Begriff “Dschihad” wurde seit 9/11 sinnentfremdet, “Dschihad” heißt “Kampf”, aber Kampf für etwas Gutes, Kampf für Gerechtigkeit, Kampf für Wahrheit. Dschihad heißt nicht: “Krieg gegen die Ungläubigen”. Wir haben deshalb eine Kampagne gestartet, um den Begriff wieder zurückzuerobern. Wir moderaten Muslime dürfen das ideologische Feld nicht den Extremisten überlassen.

Profil: Nach den Anschlägen von 9/11 waren die Spannungen zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen wohl am größten, haben Sie den Eindruck, dass es heute mehr Verständnis für den Islam im Westen gibt?

Khan: Der Islam wurde von den Medien dämonisiert, das hat nicht geholfen. Hier in England gibt es einige Tageszeitungen, die sich ziemlich unverantwortlich benommen haben. Die große Mehrheit der britischen Moslems – wir haben 2,7 Millionen von 40 Millionen Einwohnern insgesamt – sind moderate Menschen, denen es vornehmlich darum geht, ihre Kinder pünkltich zur Schule zu bringen. Der kleinen Minderheit an religiösen moslemischen Extremisten stehen Organisationen wie die “English Defense League” gegenüber. Wir machen ja auch nicht alle weißen Engländer dafür verantwortlich, dass es eine rechtsradikale Minderheit gibt. Genauso sollte man nicht die Mehrheit der Muslime bezichtigen, etwas mit den islamistischen Faschisten zu tun zu haben.

Profil: Haben Sie nicht Angst vor Extremisten?

Khan: Nein. Wir müssen uns in die Schlacht werfen, da haben wir keine Wahl. Saudi-Arabien pumpt Millionen Dollar in Länder wie Pakistan oder Großbritannien, um die Moslems ideologisch zu beeinflussen. Wir können dem nicht schweigend zusehen, das ist ein Kampf, den wir gewinnen wollen. Ich weigere mich, mich von einem Haufen von Verrückten zum Schweigen bringen zu lassen.

Profil: Sie wurden schon als “moslemische Sufragette” bezeichnet, ehrt sie das?

Khan: Wir sind die neuen muslimischen Sufragetten. Oder vielleicht Post-Sufragetten. Nicht nur hier in den westlichen Ländern. Der Arabische Frühling zeigt, wie wichtig es ist, dass Frauen für ihre Rechte kämpfen. Und mit welcher Macht und Kraft sie dies auch tun. In Saudi-Arabien setzen sie sich im Auto ans Steuer, obwohl sie wissen, dass sie dafür verhaftet werden. Es ist ungeheuer wichtig, dass Frauen aus dem Narrativ der erzkonservativen Islamisten ausbrechen. Das hat auch Malala getan. Obwohl ihr direkt in den Kopf geschossen wurde, ist sie dem Tod entkommen. Für mich ist das ein Beweis, dass Gott mit ihr ist.

Interview: Tessa Szyszkowitz/London

 

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© 2018 Tessa Szyszkowitz