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Sissy und Der Kalte

Robert Schindel liest aus "Der Kalte"

Robert Schindel liest aus "Der Kalte"

Wien. Im Foyer des Akademietheaters steht Doron Rabinovici und begrüßt mich: “Hallo Sissy! Ich hab den neuen Roman von Robert Schindel noch nicht gelesen, weiß also nicht, was er meint und schaue den Exfreund fragend an. Er sagt: “Ich bin Dein Boaz.”

Später, während der Buchpräsentation von “Der Kalte” am 22. Februar, sagt Schindel im Gespräch mit Rudolf Scholten: “Auch vom “Weg ins Freie” wurde gesagt, er sei ein Schlüsselroman.” Schon ein paar Jahre nach dem Erscheinen von Arthur Schnitzlers Roman aber sei es egal gewesen, wer wer war. Das Buch hatte sein eigenes Leben bekommen, sein Wert war nicht mehr vom Tratsch bestimmt. “Ich hoffe halt, dass es mit dem “Kalten” auch so sein wird”, meint Schindel und lächelt.

Ist es prätentiös, sich mit Schnitzler zu vergleichen? Ein bißchen schon, aber wahr ist auch: Die Geschichte von Kurt Waldheims Wahl, von der Gründung des Neuen Österreichs, auch die so lange überfällige Debatte über Österreichs Rolle im Dritten Reich, die Politisierung einer ganzen Generation und die daraus resultierende Öffnung eines Teiles der Gesellschaft sind bereits Zeitgeschichte. Unsere Achtzigerjahre zu literarisieren, ist ein ehrenwertes Unterfangen. Es ist allerdings etwas peinlich, dass meine eigenen Wiener Jahre dadurch in die Vergangenheit entschlüpft sind. 25 Jahre später schauen die 80er Jahre schon verstörend alt aus. Und wir auch.

Bei dem “Kalten” handelt es sich um einen Auschwitzüberlebenden, der zwar der Vernichtung entrann, doch weiterhin von ihr und seinen Erinnerungen heimgesucht wird. Er lebt sein Leben, aber es wird ihm nie wieder richtig warm. Schindel schreibt seinen Roman in dem ihm eigenen Wienerischen Singsang. Schon seinen ersten Roman “Gebürtig” zeichnete diese Schindelsche Sprachmischung aus Poesie und Prosa aus. In Schindels Wien sind Kommune und k&k spürbar, die jüdischen Intellektuellen sitzen im Kaffeehaus, die Nazipensionisten im Gasthaus und in seinem einsamen imperialen Büro am Heldenplatz steht der Präsident, der über seine Vergangenheit gelogen hat und deswegen oder trotzdem gewählt worden ist, schaut aus dem Fenster und denkt, wie schade es doch sei, dass ihn wegen der Kampagne nur die Araber zu Staatsbesuchen einladen.

Dabei bewegt sich Schindel beim Schreiben durch Wien, als wäre die ganze Stadt sein Stammtisch. So zogen wir tatsächlich damals gemeinsam durch die Straßen. Selbst wenn dieses Land für immer die Waldheimat bleibt, so ist Wien doch auch jene Stadt, die sich nie damit zufrieden gab, dass alte Nazis und junge Ausländerhasser sie in ihrem spießig bösen Klammergriff halten wollten. Der Heldenplatz gehörte nicht nur Adolf Hitler, sondern auch Thomas Bernhard. Da kann sich Kurt Waldheim im Grab umdrehen, aber diese Stadt gehört längst denen, die ihn überlebt und überwunden haben.

Das Publikum im Akademietheater jedenfalls kümmerte sich erst mal wenig um Vergangenheitsbewältigung persönlicher oder kollektiver Art. Wir freuten uns am Tratschgehalt des Buches. Der Autor hatte natürlich grinsend gesagt, er habe sich bei der Wiener Gesellschaft bloß wie in einem Steinbruch bedient, dabei Brocken herausgeschlagen und aus ihnen seine Figuren geformt. Da kann man einwenden, er habe kokett mit plumper Verschleierung operiert – Jörg Haider wird zu Jupp Toplitzer – aber man kann es auch als verspielte Methode sehen, den Ernst der Lage zu ironisieren.

Ein paar von Schindels Vorbildern jedenfalls hatten an diesem Abend genug Humor und applaudierten großzügig. In der Lesung, die Schindel mit den Burgstars Dörte Lyssewski und Markus Meyer bestritt, erscheint die Romanfigur Boaz zum Pessachseder mit seiner blonden Freundin Sissy, die zwar nix versteht, aber trotzdem so tut, als können sie die auf Hebräisch gedruckte Haggadah ohne Probleme mitlesen. Ungefähr so war’s und jetzt haben wir es schwarz auf weiß.

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© 2018 Tessa Szyszkowitz