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Alarmruf

Dror Moreh

London. Sein Stolz ist unüberhörbar. “Es war eine saubere Operation”, sagt Carmi Gillon, “elegant”. Er lächelt wie ein kleiner, stolzer Bub, der sich gleichzeitig auch ein bisschen schämt für seinen Stolz. Vielleicht weiß er ja, dass nicht alle auf ihn stolz sind, weil er den palästinensischen Bombenbauer Yahya Ayyash mittels eines Mobiltelefon per Fernzündung getötet hat. “Nur er starb. Kein anderes Famlienmitglied. Und im unteren Stockwerk haben sie es nicht einmal gehört.” Die Kamera hält weiter jede Regung seines runden, freundlichen Gesichts fest. Fast trotzig setzt der ehemalige israelische Geheimdienstchef hinzu: “Ich mag solche Operationen.”

Vielleicht hat diese Szene die deutschen Vertreiber dazu angeregt, den israelischen Film “The Gatekeepers” auf Deutsch “Töte zuerst” zu nennen. Der englische Titel trifft die zentrale Aussage der Dokumentation von Dror Moreh aber viel besser: “The Gatekeepers” sind sechs israelische Geheimdienstchefs, die in ausführlichen Interviews ihre Arbeit, ihr Arbeitsumfeld, ihre Methoden beschreiben. Sie sind die Torwärter, sie schießen, wenn sie müssen, aber sie sind nicht die Auftraggeber. Es ist an sich schon eine Sensation, dass diese Männer dem linken Filmemacher Dror Moreh Interviews gegeben haben. “Sie denken wohl, wenn sie sich  jetzt nicht äußern und wir Israelis nicht versuchen, das Ruder herumzureißen, dann steuert unser Land in den Untergang”, sagt Dror Moreh beim Publikumsgespräch nach dem Film, der am Freitag beim Filmfest von “Human Rights Watch” gezeigt wurde.

Der Film wurde als bester ausländischer Film bei den diesjährigen Oscars nominiert. Mit Fug und Recht. Denn mit Moreh sprechen diese hartgesottenen Männer wahrlich über Unerhörtes: ihre Zweifel. Und sie ziehen jeder für sich mehr oder weniger die gleiche Bilanz: “Es gab nie eine Strategie, nur Taktik”, sagt Avraham Shalom, der den Shin Bet Anfang der Achtzigerjahre leitete. Shalom hat noch nie zuvor ein Interview gegeben und der alte Herr kämpft mit seinen Emotionen – so zeigt er viele verschiedene Gesichter, vom humorvollen Großvater bis zum kaltherzigen Vollstrecker.

"Töte zuerst" rekonstruiert die Entwicklung der Sicherheitspolitik - mit Hilfe von historischen Filmen und 3-D-Fotos, die Moreh teilweise von seinen Interviewpartnern bekommen hat. Aus der Perspektive der Sicherheitsleute wird dabei Israels größter Fehler offenbar, der das Land jetzt immer näher an den Rand des Untergangs treibt: Israel hätte die 1967 besetzten Gebiete Westjordanland und Gazastreifen nach 1967 sofort zurückgeben müssen. Stattdessen begann der illegale Bau von Siedlungen. Deren Vertreter heute ist Naftali Bennet, ein rechtsradikaler Politstar, der als Wirtschaftsminister in Israels neuer Regierung sitzt.

Die sechs “Gatekeeper” erzählen, wie sie anfangs, nach der Besetzung 1967,  tausende Informanten unter den Palästinensern rekrutierten, um die Bevölkerung niederhalten zu können. Der “Shin bet” ist der interne Geheimdienst im Gegensatz zum “Mossad”, dem externen Sicherheitsdienst. Der “ShinBet” ist zuständig für die besetzten Gebiete. Die erste Intifada warf den Sicherheitsapparat erst mal operativ aus der Bahn: der Aufstand der steinewerfenden palästinensischen Jugendlichen veränderte den Charakter der “Israelischen Verteidigungskräfte” immer stärker Richtung Besatzungsarmee. Die moralischen Koordinaten verschoben sich stetig weiter zur Tötungsbereitschaft: “Dem einen sind sie Terroristen und dem nächsten Freiheitskämpfer”, sagt Yaakov Peri, der den Shin Bet Ende der Achtziger Jahre geleitet hat.

Avi Dichter in  "The Gatekeepers"

Avi Dichter in "The Gatekeepers"

Schlimmer wurde es nach den Oslo-Abkommen. Der israelische Geheimdienst musste erst lernen, mit den bisherigen Feinden zu kooperieren. Yuval Diskin gibt zu, dass er “dachte, ich mache etwas falsch: Bisher hatte ich diese Männer gejagt, jetzt sollte ich mit ihnen zusammenarbeiten?” Dann aber begannen die Friedensfeinde Terroranschläge zu organisieren, um den Oslo-Prozess zu untergraben. Die Sicherheitschefs mussten zwischen ‘guten’ und ‘bösen’ Palästinensern unterscheiden lernen. Aber auch zwischen ‘guten’ und ‘bösen’ Israelis - die Ermordung Yitzhak Rabins durch einen jüdischen Siedler war für den Shin bet eine besonders harte Stunde.

Vor seiner Ermordung hatte Rabin noch die Weichen für das Scheitern des Oslo-Prozesses mitgestellt. Als der erste Hamas-Gefangene 1994 in der Folterkammer an Schütteltrauma starb, informierte Carmi Gillon Premierminister Yitzhak Rabin mit den Worten: “Wenn wir diese Methoden nicht mehr anwenden, dann werden wir statt 90 Prozent der Anschläge nur 70 Prozent verhindern können.” Und Rabin anwortete: “Wir machen Frieden, als gäbe es keinen Terror. Und wir bekämpfen den Terror, als ob es kein Friedensabkommen gäbe.”

Dass sechs Geheimdienstler derart offen über ihre moralisch oft schwer vertretbare Arbeit sprechen, ist an sich schon eine Sensation. Und Morehs Film ist deshalb so eindrucksvoll, weil er die Würde seiner Interviewpartner intakt lässt. Ihre Worte sind so eindrucksvoll, weil sie ehrlich sind. Die sechs Männer suchen teilweise während der Interviews nach dem moralischen Faden. “Wenn du siehst, was mit den Gefangenen passiert, da kannst du zum Linken werden”, sagt Yakov Peri. Und Carmi Gillon meint: “Wir machen das Leben von Millionen Menschen unerträglich.” Ami Ayalon zieht den Schluß: “Wir haben bisher jede Schlacht gewonnen. Aber wir verlieren den Krieg.”

Der Geheimdienst zählt in Israel zu den angesehensten Institutionen. Dort arbeitet nach allgemeiner Auffassung die Elite des Landes. Der Film ist daher ein Alarmruf des israelischen Establishments. Dror Moreh selbst ist sehr pessimistisch: “Der jetzige Premierminister hat nicht die Kraft, das zu schultern, was man tragen müsste, um ein Friedensabkommen mit den Palästinensern zu machen.” Er seufzt: “Unsere Trgödie ist auch, dass wir einen guten Führer auf beiden Seiten brauchen. Als wir Rabin hatten, stand ihm mit Arafat ein, sagen wir, problematischer Partner gegenüber. Jetzt könnte es mit Mahmoud Abbas klappen. Aber wir haben Netanyahu.”

Der israelische Premierminister hat wahrscheinlich aufgeatmet, als der Film den Oscar nicht bekam. Doch “The Gatekeepers” hatten bereits einen für Moreh erfreulichen Effekt. Jemand aus dem Premierminister-Umfeld hat ihm gesteckt, Netanyahu selbst glaube, der Film habe seiner rechten Likud-Partei bei den Wahlen im Jänner sieben bis neun Mandate gekostet.

Hier der link zur offiziellen Website:

http://www.thegatekeepersfilm.com/

Der Film läuft im Juli in Wien in den Kinos an.

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© 2018 Tessa Szyszkowitz