Erinnern Sie sich an Kiefer Sutherland als Jack Bauer in der Fernsehserie “24”? Ich erinnere mich vor allem an eins: Schlaflose Nächte, in denen ich mir die ersten drei Staffeln auf DVD reinzog. Wurden die Moslems in “24” tendenziell als terroristische Elemente dargestellt? Ja, schon. Doch “24” war sehr spannend und Kiefer Sutherland ziemlich cool.
An Jack Bauer dachte ich unlängst, als ich eine Vorpremiere von “The Reluctant Fundamentalist” – etwa: “Der widerstrebende Fundamentalist” - im Gate Cinema in Notting Hill besuchte. Der Film basiert auf einem Roman des britisch-pakistanischen Autors Mohsin Hamid und erzählt die Geschichte eines jungen Pakistanis, der aus Lahore nach Amerika kommt, um sein Glück zu machen. Er ist gut unterwegs – bis mit 9/11 sein Traum wie eine Seifenblase zerplatzt. Riz Ahmed spielt die Hauptrolle. Der Brite mit pakistanischen Wurzeln trat bereits in dem traurigen und witzigen Film “Four Lions” als Möchtegern-Terrorist in Erscheinung.
“The Reluctant Fundamentalist” beginnt mit einer brilliant komponierten Szene, die ungeheure Spannung entwickelt. So beginnt ein ziemlich guter Thriller. Doch der Film offeriert noch viel mehr: Er ist ein farbenfrohes Fest für das Auge, ein Soziodrama, eine politische Studie der New Yorker Elite und der Gesellschaft in Lahore. Die in Indien geborene New Yorker Regisseurin Mira Nair zeigt wieder, welch gute Regisseurin sie ist. (Ihr Film “Monsoon Wedding” war 2001 ein Überraschungserfolg und wird nächstes Jahr am Broadway zum Musical.)
Nach dem Film kamen Regisseurin, Hauptdarsteller und Buchautor zu einem Gepräch mit dem Publikum auf die Bühne. Ob Autor Hamid mit dem Streifen leben kann? “Es ist doch sinnlos, ein Buch exakt nachzuerzählen. Ich wollte einen Film, der für sich selbst steht.”
Dies tut er ganz sicher. Der Inhalt des Romans wurde kräftig bearbeitet, die Botschaft aber bleibt die gleiche. “The Reluctant Fundamentalist” gehört zu der jüngsten Welle von Büchern, Filmen und Stücken, in denen eine neue Generation von Moslems von ihrem Kampf um Integration nach 9/11 erzählt. Der Film folgt Mohsin Hamids Haltung, wie er sagt: “Ich bin dagegen, dass wir uns in unsere jeweiligen Ghettos zurückziehen.”
Im Dezember habe ich noch ein weiteres Werk dieser Art im “Lincoln Centre” in New York gesehen. “Disgraced” ist ein Stück von Ayad Akhtar, ein Amerikaner mit pakistanischen Wurzeln. Aasif Mandvi spielte die Hauptrolle. Mandvi wiederum stammt aus Indien, wurde aber in England, Florida und Disney World groß, bevor er zum Fernsehstar bei “The Daily Show” avancierte. Wie der “Fundamentalist” handelt auch “Disgraced” vom Unbehagen westlicher Moslems nach 9/11. Der Traum der erfolgreichen Integration wird zum Albtraum, als Rassismus und Diskriminierung Amerika in Geiselhaft nehmen.
In “Disgraced” wie im “Reluctant Fundamentalist” kämpfen die Figuren mit ihrer Zerrissenheit. Zwischen dem multikulturellen New York und dem traditionelleren Lahore fühlen sie sich nirgendwo richtig zu Hause. Sie finden sich auch in ihrer Arbeitswelt nur schwer zurecht, weil sie nur bedingt akzeptiert werden. Und auch ihre Liebesbeziehungen sind keine Sekunde unschuldig: Die amerikanischen Freundinnen – beides Künstlerinnen – schwanken zwischen Romantisierung und Verachtung des Islam.
Salman Rushdie und seine Generation haben den modernen muslimischen Autoren den Weg geebnet. Doch die jungen Autoren mit pakistanisch-indischem Hintergrund und ihrer post-muslimischen Identität sind jetzt im westlichen Mainstream angekommen. Einmal deshalb, weil sie die gleiche Sprache sprechen – methaphorisch wie buchstäblich. (Die Grenze zwischen Realität und Fiktion ist nicht immer leicht zu erkennen. Hauptdarsteller Riz Ahmed hat zum Beispiel für seine Rolle einen pakistanischen Akkzent erst lernen müssen, er spricht sonst Oxford-Englisch.) Zweitens aber kritisieren diese Autoren heute nicht nur ihre ursprüngliche Kultur, deuten ihre eigenen antiwestlichen Ressentiments an und lassen gleichzeitig ihre Zweifel an sich selbst durchklingen. Sie zeigen auch ganz klar ihre Verachtung gegenüber dem Rassismus in ihren neuen Heimatländern.
“The Reluctant Fundamentalist” lief außer Konkurrenz als Eröffnungsfilm des Filmfests von Venedig 2012. Der Film wird Preise aller Art einheimsen. Moderne Moslems sind gesellschaftlich en vogue. Mit Blockbustern kommt gesellschaftliche Akzeptanz. Das traf auch schon auf Juden und Schwarze zu. Wir hatten Barbara Streisand, dann Denzel Washington. Jetzt ist die Zeit für Riz Ahmed gekommen. Serienheld Kiefer “24” Sutherland spielt im “Reluctant Fundamentalist” bloß eine Nebenrolle.
“The Reluctant Fundamentalist” läuft in Indien in 650 Kinos gleichzeitig an. In Großbritannien startet er im Mai. Für Österreich gibt es noch keinen Termin.
Mohsin Hamid’s neuer Roman “How to Get Filthy Rich in Rising Asia” ist soeben erschienen:
"Disgraced" gewann am 16.4. den Pulitzer-Prize:
http://www.guardian.co.uk/stage/2013/apr/16/pulitzer-prize-drama-2013-disgraced
Excellent piece about Riz Ahmed:
http://www.guardian.co.uk/culture/2013/apr/27/riz-ahmed-actor-rapper-rantern