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Ihr Austritt, bitte

In Großbritannien treibt der Rechtspopulist Nigel Farage die Regierung vor sich her. Der Erfolg seiner Unabhängigkeits-Partei UKIP könnte die Insel die EU-Mitgliedschaft kosten.

 

Nigel Farage ist leicht zu unterhalten, und das seit Wochen: Er braucht nur zuzuschauen, was der britische Premierminister David Cameron so treibt – schon hat er garantiert gute Laune.

Cameron arbeitet mit allen Mitteln gegen Farage, der mit seiner rechtspopulistischen „United Kingdom Independence Party“ (UKIP) einen Wahlsieg nach dem anderen einfährt. Dabei fällt dem Regierungschef allerdings nicht viel mehr ein, als seinem EU-feindlichen Herausforderer mit immer neuen Initiativen entgegenzukommen.

Am Dienstag vergangener Woche zum Beispiel: Da präsentierte Cameron einen Gesetzesentwurf zu einem Austritts-Referendum aus der EU. „Ein Akt schierer Verzweiflung!“, feixte Farage befriedigt, bevor er im Londoner St.-Pancras-Bahnhof in den Eurostar sprang und nach Brüssel abdampfte.

Großbritanniens Polithaushalt ist vollkommen aus dem Gleichgewicht geraten. Was immer Cameron ankündigt, um die wachsende Anti-Europa-Front zu befrieden, stachelt UKIP-Chef Farage nur zu noch mehr Spott und Hohn an: „Jetzt herrscht Krieg!“, hetzte er nach den Kommunalwahlen Anfang Mai, als seine UKIP 23 Prozent der Stimmen gewann. Nächsten Frühling könnte die Kleinpartei bei den EU-Wahlen sogar stärkste Partei werden – bei den Parlamentswahlen 2015 erstmals ins Unterhaus einziehen und damit den Tories den Wahlsieg verpatzen.

Währenddessen steht die konservative Regierungspartei knapp vor der Meuterei. Etwa 100 Hinterbänkler im House of Commons, ein Drittel der Tory-Abgeordneten, wollen aus der EU austreten und lieber sofort ein Referendum darüber abhalten. Parteichef David Cameron selbst hegt zwar keine Sympathien für die EU, weiß aber, dass die Staatsräson dafür spricht, in der Europäischen Union zu bleiben. So kündigte er vergangenen Jänner für das Jahr 2017 ein Referendum über einen möglichen EU-Austritt an – ein windiges Versprechen, weil Cameron ja nicht wissen kann, ob er 2015 wieder gewählt wird.

Panik? Welche Panik? David Cameron, der vergangene Woche gerade in Washington US-Präsident Barack Obama die Vorteile eines EU-US-Handelsabkommens verkaufen sollte, bemühte sich, Zuversicht zu verströmen: „Wir sind die einzige Partei, die den Leuten das Recht geben will, über die EU-Mitgliedschaft abzustimmen.“

Die Liberaldemokraten, Camerons kleiner Koalitionspartner, sind allerdings Pro-Europäer. Folgerichtig stimmten sie am Mittwoch Abend im Parlament gemeinsam mit der Labour-Party und der Mehrheit der moderaten Tories gegen einen Antrag der EU-Skeptiker, den Referendumsvorschlag nachträglich in die „Queen’s Speech“ vom 7. Mai aufzunehmen. Die Königin darf jedes Jahr die geplanten Gesetzesinitiativen vorlesen. Das Gesetz zum EU-Referendum war dieses Jahr nicht vorgesehen.

Für die Liberalen wie auch für Ed Milibands Labour-Party stellt sich inzwischen immer mehr die Frage, ob sie bei ihrem „Nein“ zu einem Referendum bleiben können – der politische Druck steigt. Aber auch Cameron hat sich damit keine Minute Ruhe erkauft. Bereits zwei seiner Minister haben in den vergangenen Wochen öffentlich erklärt, dass sie bei einem EU-Referendum zum jetzigen Zeitpunkt für einen Austritt stimmen würden – und zwar beileibe nicht irgendwelche Ressortchefs: Einer davon war Erziehungsminister Michael Gove, der innerparteilich als der wahrscheinliche Herausforderer von David Cameron gehandelt wird.

Der Regierungs- und Tory-Chef ist in einer schwierigen Lage. Er will mit der EU über eine Rückholung von Kompetenzen in die nationale Gesetzgebung verhandeln und wird ganz sicher nicht einer weiteren Politik- oder Finanzmarkt-Integration zustimmen. Allerdings kann nicht einmal sein Europaminister David Lidington erklären, welche Rechte Brüssel wieder abgerungen werden sollen.

Eine Delegation von britischen Geschäftsleuten wurde unlängst in Brüssel vorstellig, um in der EU-Kommission zu erfragen, worüber der Premierminister verhandeln möchte – keiner wusste es. In den EU-Hauptstädten herrscht zudem völlige Unklarheit darüber, wie eine Reform des Lissabon-Vertrages überhaupt aussehen könnte.

Diese Gemengelage ist den meisten Briten natürlich viel zu kompliziert. Unter dem Eindruck der andauernden Euro-Krise und der klammen Wirtschaftslage im Vereinigten Königreich ist die traditionelle EU-Skepsis in offenen Europa-Hass umgeschlagen. UKIP ist die einzige Partei, der in Europafragen derzeit vertraut wird (siehe Kasten): Weil sie kompromisslos den Austritt aus der Europäischen Union verlangt.

„Wir haben 18 Prozent in der letzten Umfrage. Alle anderen Parteien verlieren Einfluss. 40 Prozent der Briten wollen die EU verlassen. Wir sind die einzige Partei, die das fordert“, sagt Gawain Towler, Sprecher von Nigel Farage, im Gespräch mit profil: „Obwohl wir nur 147 von 2300 Gemeinderäten gewonnen haben, kann man mit Fug und Recht behaupten: Der Einfluss von UKIP auf die Regierungspolitik ist überproportional groß.“

Wer aber ist die UKIP? Vornehmlich eine Anti-EU-Partei. Am leichtesten hetzt es sich auf der traditionell einwanderungsfreundlichen Insel immer noch gegen den Kontinent. Um seine anti-europäischen Positionen nachdrücklich vertreten zu können, hat Nigel Farage im Europäischen Parlament sogar gemeinsam mit der norditalienischen Lega Nord den Vorsitz der Fraktion „Europa der Freiheit und der Demokratie“ (EFD) übernommen. UKIP sitzt mit elf Abgeordneten im Europa-Parlament – insgesamt haben die Briten dort 73 Mandate.

In der EFD würden auch gerne zwei EU-Abgeordnete der österreichischen Freiheitlichen Unterschlupf finden. Das verwehrt ihnen Farage jedoch vehement. „Wir sind auf keinen Fall mit der FPÖ zu vergleichen, wir wollen nichts mit ihnen zu tun haben, wir sind doch keine Rassisten!“, sagt Farage-Sprecher Towler. Die Freiheitlichen seien eher mit der rechtsextremen „Front National“ von Marine Le Pen in Frankreich zu vergleichen.

Unüberwindbar scheint der Unterschied in der Haltung zur Einwanderung zwischen den xenophoben Parteien Europas aber nicht zu sein. Im Falle der UKIP bleibt vieles offen: Statt eines Parteiprogramms gibt es nur ein Manifest. „Wir sind nicht für einen totalen Stopp der Einwanderung“, erläutert Towler: „Wir sind nur dagegen, dass wir massive Immigration zulassen, während unsere eigenen Leute arbeitslos sind.“ Dieses Argument zieht vor allem bei der verarmenden britischen Bevölkerung im Norden der Insel. Die Arbeitslosigkeit liegt in Großbritannien derzeit bei 7,9 Prozent.

Nigel Farage wird trotz hoch fliegender Umfrageerfolge sehr bald ernsthaft an seiner Basis arbeiten müssen, wenn er nicht riskieren möchte, dass die UKIP implodiert, bevor die Partei parlamentsfähig wird. Leutselig mit seinen Fans im Pub Bier zu trinken wird dabei nicht ausreichen.

Unter den frischgebackenen UKIP-Gemeinderäten, die oft ohne viel Federlesen rekrutiert wurden, finden sich entgegen der offiziellen Linie handfeste und bekennende Rassisten. Eric Kitson, der gerade zehn Tage als Gemeinderat im Amt war, wehrte sich vergangenen Mittwoch noch heftig gegen den von Farage verordneten Zwangsrücktritt. Kitson hatte auf seiner Facebook-Seite eine Karikatur eines Moslems gepostet, der auf einem Spieß gegrillt wird. Unter ihm flackert lustig ein Feuer aus Koran-Ausgaben.

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© 2018 Tessa Szyszkowitz