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Der lachende Pessimist

Yoram Kaniuk ist gestorben. Er war 83 Jahre alt. Er hatte Krebs. Und er war über Jahrzehnte der düsterste israelische Autor, den ich kannte. Am Vorabend der israelischen Parlamentswahlen 1992 saßen wir beim Abendessen in einem Fischrestaurant in Jaffa. Yoram informierte mich darüber, dass die israelische Linke nie wieder gewinnen könnte und wenn, würde dies auch nichts ändern: Israel war dem Untergang geweiht, weil die religiöse nationalistische Rechte das Land in Geiselhaft genommen habe.

Am nächsten Tag gewann die Arbeitspartei unter Jitzhak Rabin die Wahlen und Rabin brachte das Land mit den Verhandlungen über die Oslo-Abkommen auf den Weg zum Frieden. Kaniuk war überhaupt nicht beeindruckt und glaubte nicht, dass die Linksregierung Erfolg haben würde. Rückblickend muß ich zugeben, dass er recht gehabt hat. Rabin hat die israelischen Siedlungen im Westjordanland nicht aufgelöst, als dies noch möglich war.

Kaniuk aber war kein Politiker. Er war nicht an pragmatischen Lösungen interessiert, er blickte auf sein Land mit dem Interesse des Intellektuellen an den Anomalitäten seiner Gesellschaft. Kaniuks Romane und Gespräche waren immer getragen von Pessimismus und dunklem Humor. Sein delikates Lächeln blitzte oft zwischen den Zeilen auf. Und in seinem Gesicht , nachdem er einen Witz erzählt hatte - gewissermaßen unerlaubt angesichts der Tragödie der Juden. Dann sah er aus wie der kleine vergnügte Junge, der er eigentlich sein wollte. Auch als er längst schwach und totkrank in seinem Lehnstuhl im Wohnzimmer saß.

Das letzte Mal sah ich ihn vor drei Wochen in Tel Aviv. Ich rief ihn an und fragte, ob ich ihn besuchen könnte, ob er über sein Buch “1948” sprechen wollte, das unlängst auf Deutsch erschienen und ein großer Erfolg geworden ist. Yoram beschreibt sich als 18jähriger Soldat im Unabhängigkeitskrieg. Für ihn war 1948 auch ein Aggressionskrieg. Er sah in Ramla die leeren Häuser der Palästinenser, auf denen noch das Essen am Tisch stand. Man sagte ihm, er solle sich nicht weiter um jene kümmern, die ihre Häuser fluchtartig verlassen hatten. Am nächsten Tag sah Kaniuk Lastwagen in Ramla eintreffen, von denen Holocaust-Überlebende kletterten. Diese gingen in die gerade entleerten Häuser und begannen ein neues Leben. “Es gibt keine Moral im Krieg”, sagte Kaniuk zu mir.

Der Autor von “Adam Hundesohn” stammte aus einer deutschen Familie, seine Eltern aber kamen vor dem Holocaust nach Palästina. Yoram kämpfte für sein Land. Und nicht nur in Kriegen. Er war Teil einer kleinen Minderheit in Israel, die für die Rechte der Palästinenser kämpfte. Für die Rechte der Nicht-Juden in Israel. Für die Idee, dass Menschenrechte universell sind. Er zwang am Ende seines Lebens noch das Innenministerium, das Wort “jüdisch” aus seinem Pass zu streichen. Kaniuk war böse, weil seine Enkel nicht als jüdische Israelis akzeptiert wurden, da seine Frau  christliche Amerikanerin war.

Miranda, die schöne Frau Kaniuk, öffnete mir beim letzten Mal die Tür. “Geht es ihm gut genug, störe ich auch nicht?”, fragte ich sie. Sie sagte nur: “Er hat den ganzen Tag auf dich gewartet.” In Wirklichkeit waren die beiden gerade aus dem Spital nach Hause gekommen.

Als ich ins Wohnzimmer trat, saß er in seinem Lehnstuhl mit einem I-Pad am Schoß und hörte Beethovens 9. Symphonie. “Freude, schöner Götterfunken”, murmelte er. “Schillers Worte sind so was von blöd.” Und dann grinste er. Ich werde sein Lächeln vermissen. Es hat jedes Gespräch gerade dann aufgehellt, wenn er den traurigen Zustand Israels und der Welt beschrieb.

 

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© 2018 Tessa Szyszkowitz