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Barack der gefallene Engel

Amerikanische Bürgerrechtler hoffen, dass der Fall Edward Snowdon die auspionierte Bevölkerung aufrüttelt.

WASHINGTON DC. Ich muss sagen, ich werde ja an sich ganz gerne abgehört. Das gibt einem das Gefühl einer gewissen Wichtigkeit. In Moskau war's immer besonders gut. Wenn es wieder in der Leitung knackte, konnten wir österreichischen Korrespondenten uns bedeutend vorkommen, das passiert ja sonst nicht so oft. Unter Putin lebten wir außerdem in einem richtig autoritären Staat, der Auslandskorrespondenten für Feinde hielt und sie deshalb abhörte. Das verlieh dem Knacken im Telefon eine gewisse Gravitas.

Barack Obamas Administration aber bespitzelt sogar die eigenen Journalisten vollkommen ungeniert. Und alle anderen Bürgerinnen und Bürger auch. Die Erkenntnis, dass die "National Security Agency" NSA der eigenen Bevölkerung tiefes Mißtrauen entgegenbringt, verschärft die Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft.

In Europa gilt Edward Snowdon ja eher als Whistle blower und daher als Held. Hier in Washington DC aber ist zuallererst die Wut gegen den "Verräter" erschreckend. Auch Journalisten - auf CNN, nicht nur auf Fox-News - hetzen direkt vom Fernsehschirm gegen den 30jährigen Brillenträger. Der ehemalige Mitarbeiter der NSA setzte sich nicht nur nach China ab, er flüchtete nach Russland weiter. Dort sitzt Snowdon zwar jetzt irgendwie blöd in einem der ödesten Transiträume der Weltgeschichte am Moskauer Flughafen Scheremetjewo herum. Keiner will ihn - auch Putin ließ soeben wissen: "Je schneller er sein endgültiges Ziel aussucht, umso besser." Dennoch wirkt der ewige Kreml-Herr, der gerade die letzten NGOs in Russland zusperren läßt, plötzlich wie der Hüter der in Amerika verfolgten Menschenrechtler.

Obama dagegen wirkt immer mehr wie ein gefallener Engel. BürgerrechtlerInnen wie Noam Chomsky, Chris Hedges oder Naomi Wolf warnen schon lange vor den anti-demokratischen Tendenzen des Washingtoner Machtapparats. Obama hat das illegale Gefangenenlager Guantanamo nicht zugesperrt, obwohl er es zu Beginn seiner Amtszeit versprochen hatte. Er hat das Dronen-Programm verstärkt - wer von den unbemannten Raketen getötet wird, entscheidet der Präsident selbst nach Gutdünken auf Basis dehnbarer Anti-Terror-Paragraphen. Seit 2011 legen ihm die Sicherheitschefs jede Woche Listen mit Namen vor. Obama macht dann hinter denen, die ihm als glaubwürdige Terroristen erscheinen, halt ein Hakerl. Oder nickt er nur ab, wen er umbringen läßt? Er ist jedenfalls der Meister des Todes. All das im Namen der Verteidigung der Freiheit der Amerikaner. Da kann sich Putin noch was abschauen.

Doch jetzt formiert sich Widerstand. "Wir müssen uns den Begriff Freiheit zurückholen", fordert Lorry Arbeiter. Die Aktivistin der Gruppe "We will not be silent" hat sich mit schwarzen Tafeln vor dem Weißen Haus in Washington positioniert: "Seit 9/11 nimmt sich die Regierung immer mehr Rechte heraus. Sie rechtfertigt gravierende Gesetzesbrüche mit der Bedrohung durch "Terroristen". Weder das Dronenprogramm noch die Bespitzelung der eigenen Bürger steht in Relation zu der tatsächlichen Bedrohung", sagt die New Yorkerin. "Edward Sowdon ist nicht der einzige, der hier irrtümlich als Staatsfeind behandelt wird. Auch Bradley Manning und anderen droht die Todesstrafe." Sie hofft, dass "der Fall Snowdon die Amerikaner aufrüttelt. Wir können uns nicht unsere Bürgerrechte weiter widerspruchlos aushöhlen lassen."

Auch wenn ich noch immer nichts dagegen hätte, von Barack Obama persönlich abgehört zu werden - Frau Arbeiter hat leider recht: Er sollte es nicht tun.

 

 

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© 2018 Tessa Szyszkowitz