Select your language

In Mankers Folterkammer

Pressefotos_Wagner__AMF2377034-hi

Der Wiener Theatermacher Paulus Manker inszeniert im alten Telegrafenamt eine "Wagnerdämmerung" und fragt, ob ein Genie auch ein Schuft sein darf.

Wien. Paulus Manker steht vor dem Telegrafenamt neben der Börse an der Ringstraße und noch bevor ich meine Karten in der Hand habe, hat er bereits meine Familie unflätig beleidigt. Darf ein Theatermacher sich wie ein Rotzlöffel benehmen? Soll ich ihn deshalb boykottieren? Oder darf man das gnädig als Teil des Spektakels sehen? Auf geht's in die Wagnerdämmerung.

Ein Ouvertürenmedley dröhnt durch den Innenhof, ein Sprechchor findet gestelzte Wagnerworte, Tänzer in schwarzen Overalls winden sich um die Balustrade. Ein Schauspieler mit slawischem Akzent spricht antisemitische Texte des Musikmeisters. Ich schlürfe abwartend ein Gläschen Prosecco. Nicken die Zuschauer unwillkürlich zustimmend? Wegen Wagner und weil die Karten 125 € kosten, sind eher konservative Menschen gekommen. Aber alle bestehen den Mankerschen Provokationsversuch. Keiner applaudiert nach dem antisemitischen Monolog. Wir trappeln erwartungsvoll tief in die Keller hinunter.

Anfangs hängen die Schauspieler dort umspült von Wagnerklängen wie tot von Wänden, Gittern, Eisenstangen. Die poetischen und abstrusen Überreste des alten Post- und Telegrafenamts bieten die passende Kulisse. Andachtsvoll bewegen sich die Zuschauer durch die kalten Kellergewölbe. Alle warten darauf, dass sich die menschlichen Installationen bewegen und als sie dies tun, keimt kurz die Hoffnung auf, dass das Spektakel nun beginnt und wie einst bei Mankers Erfolgsproduktion "Alma" 1996 verschiedene Erzählstränge parallel um die Aufmerksamkeit der Gäste buhlen.

Doch die "Wagnerdämmerung" bleibt in Szenebildern hängen. Nur manchmal entwickelt sich dramatische Spannung. Viel aber bleibt Deklamation. Einzelne Kernszenen aus Wagneropern, liebende Geschwister, streitende Riesen, Siegfried, der wild schreit und um sich schlägt, dazwischen wandelt der Jude als Mankers - oder Wagners - philosophierendes Alter Ego betulich durch die Szenen. Winifried Wagners Monologe über ihre Freundschaft zu Adolf Hitler treten erzählerisch klar aus dem Rahmen der wallenden Walküren hervor. Der israelische Dramatiker Joshua Sobol, der mit Manker die "Alma" und "Weiningers Nacht" zu dramatischen Erfolgen hinzimmerte, wurde diesmal an den Rand gedrängt.

Spätestens nach einer Stunde setzt sich der Gedanke fest, es gehe hier weniger um Wagner als um Mankers sexuelle Phantasien. Durch die Gewölbe hallen neben rauschhaften Arien die spitzen Schmerzensschreie von Frauen. Nach eineinhalb Stunden sind die schönen, jungen Schauspielerinnen splitternackt und blutüberströmt. Siegfried läuft immer noch schreiend und an Rohre schlagend durch die Gänge. Bis zum großen Begräbnis alle Zuschauer wieder zusammengeführt werden, irren die Zuschauer selbst schon wie Zombies hungrig und lärmübersteuert durch die Gänge von Mankers Folterkammer.

Am Ende aber macht er einiges wieder gut. Über eine kleine, metallene Wendeltreppe  bringt er das Publikum hinaus in den Park. Auf der Straße vor dem Telegrafenamt holt eine schwarze Begräbniskutsche Wagners Sarg ab. Im Fackelschein wirkt Wien lässig 150 Jahre jünger. Zuschauer und Passanten stehen andächtig vor der poetischen Kulisse der imperialen Stadt. Aus allen Fenstern und Ritzen des Telegrafenamts drängen Kunstwerke aus Schaumgummi  - es gibt hier neben dem Spektakel zum 200. Geburtstag Richard Wagners eine ausgezeichnete Ausstellung: "Wagner sehen". Danach geht es noch einmal aus dem lauen Sommerabend hinunter in die Gruft zum Leichenschmaus.

Dort dann wird das Drama für uns erst richtig lustig. Zwei Musikexperten von Rang und Namen setzen sich zu uns an die Tafel. Sie sind mir schon während der Vorstellung aufgefallen, weil sie in Wagners Welt verankert schienen. Susana Zapke unterrichtet Musikgeschichte am neuen Konservatorium Privatuniversität Wien, und Christian Meyer leitet das Arnold Schönberg Center. Und wie haben die beiden ihre Zwillinge genannt? Tristan und Isolde.

Die meisten um uns herum dinieren schnell und ziehen sich dann aus dem von Fackeln und Feuern sauerstoffverarmten Keller zurück. Wir aber bleiben, bechern und reden darüber, ob Wagner salonfähig ist. Für die Eltern von Tristan und Isolde ist die Antwort klar – gerade intellektuelle Musiker schätzen die bis zum Pathos reichende enorme Ausdruckskraft der Wagnerschen Opern. Ich aber kenne Wagner kaum. Bei uns zu Hause hielt man seine Musik für schwülstig und seinen Rassismus für unappetitlich. Wagners Antisemitismus war vielleicht damals "ganz normal" und wer will, soll seinen Opern lauschen. Daniel Barenboim hat schon recht, wenn er sich gegen ein Wagner-Verbot ausspricht. Zumal Wagner, lebte er heute in dieser sehr anderen Welt, kaum mehr antisemitisch vor sich hin faseln würde. Aber mein Lieblingskomponist wird er nicht werden.

Inzwischen dreht die Produktionsleitung seine Musik so laut, dass wir uns kaum mehr hören können. Dann schaltet sie als letzte Rausschmeißtaktik auf Techno um. Uns gefällt das alles sehr und ich habe mich schon fast mit Mankers jüngster Produktion versöhnt.

Ein Geniestreich aber ist sie nicht. "Hat ein genialer Mann auch das Recht, ein Schuft zu sein?" haben die Schauspieler in der letzten Szene skandiert, als sie Wagners Sarg umringen. Es geht dabei um Richard Wagner, vielleicht aber versucht Paulus Manker sich selbst mit einer möglicherweise positiven Antwort ein wenig Spielraum zu erkaufen in einer Stadt, in der er ob seiner obszönen Umgangsart keine Subventionen mehr bekommt? Es täte helfen, wenn der Schuft wenigstens ein Genie wäre.

Apropos Wagner

http://www.theguardian.com/commentisfree/2013/aug/02/bayreuth-merkel-westminster-philistinism-leninists

 

 

Bleiben Sie auf dem Laufenden!

© 2018 Tessa Szyszkowitz