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Kunst und Eis

Ein Sommerblog: die Biennale von Venedig für Kinder.

Venedig. Schon auf dem Weg in die Stadt sitzt an der Lagune eine riesige rosa Schwangere, der Arme und Beine fehlen. Meine Kinder sind sich nicht sicher, ob sie die elf Meter hohe aufblasbare Installation von Marc Quinn, eine Variante seiner 'Alison Lapper pregnant', gut oder gruselig finden. (Nicht nur sie halten Quinns gigantische Statue für befremdlich: http://www.theguardian.com/artanddesign/2013/jun/02/55th-venice-biennale-review.

Alle zwei Jahre fahren wir mit Freunden im August zur Biennale. Der perfekte Familienurlaub: Boot fahren, Spaghetti essen und moderne Kunst ansehen. Finde zumindest ich. Wenn nichts mehr geht, dann gibt es den Lido, den Strand vor Venedig. Regel Nummer Eins: Die täglichen Eiskosten übersteigen den Preis für die Kunst. Ein Zweitagespass für die gesamte Kunstschau in den Giardini und dem Arsenal kostet für Schüler bloß 14 Euro. Wir sind längst ein eingespieltes Team. Kunst-Eis-Kunst-Eis und so weiter. Es klappt jedes Mal.

Der österreichische Pavillon von Mathias Poledna wurde bereits in Kritiken als Hit für Kinder angekündigt. (http://derstandard.at/1369361966744/Verwirren-und-entwirren) In Wahrheit aber erweist sich der dreiminütige Film mit seiner Bambi-Esthetik für junge Zuseher als zu altmodisch. Worum es dem in Los Angeles lebenden Künstler ging: Die Stimmung der Zeichentrickfilme aus den Dreißigerjahren einzufangen. Poledna beschäftigte 75 Zeichner und ein volles Orchester für die Produktion. Ein schöner Gedanke, dass in der wirtschaftlich schwierigen Zwischenkriegszeit solch aufwändige Filme gedreht wurden und wie sich das heute darstellt. Doch so nett, liebevoll und elegant das Filmchen ist - die Kinder hätten sich bei einer Computeranimation mehr amüsiert. Die Filmindustrie hat sich, und das ist gut so, weiterentwickelt.

Faszinierter sind wir alle vom griechischen Beitrag zur derzeitigen Finanzkrise:  "History Zero". In drei Videos erzählt Stefanos Tsivopoulos eine Fabel von Gewinn, Verlust und Wertverfall. Mein neunjähriger Sohn hält den Atem an, als die demente Dame im Film aus ihren gehorteten 500 Euroscheinen Papierblumen faltet. Und sie wegwirft, als sie sie für vertrocknet hält.

Bei meiner 16jährigen Tochter kommt ein Film der Französin Camille Henrot gut an. Die 35jährige Französin hat dafür auch den Silbernen Bären bekommen. In "Grosse Fatique" erzählt sie die Geschichte der Welt mit eigenem multimedialen Scrapbook-Stil neu, was dem wissenshungrigen Titel der Hauptausstellung entspricht: „Der enzyklopädische Palast“.

Meine geschichtsinfusierten Erklärungen über 50 Jahre Elysee-Vertrag und dass die Deutschen und Franzosen als Zeichen von Friede, Freude, Eierkuchen ihre Pavilions getauscht haben, überstehen die Kinder nur mit glasigen Augen. Der künstlerisch beeindruckende, von den Franzosen in Auftrag gegebene Beitrag von Anri Sala, einem albanischen Künstler, bewegt sie nicht sehr: "Ravel ravel unravel" - ein Klavierkonzert von Ravel für die linke Hand, gespielt von zwei Pianisten simultan, in Großaufnahme gefilmt, bei der die rechte Hand wie tot neben dem Klaviersessel hängt. Obwohl mein 17jähriger Sohn Linkshänder ist wie ich und jahrelang Klavier gespielt hat, zeigt er sich - im Gegensatz zu mir - wenig beeindruckt davon, dass die linke Hand endlich mal eine Extrawurst bekommt.

Auch den französischen Pavillon, von den Deutschen kuratiert, finden die Kids eher anstrengend. Mein kleiner Sohn setzt sich zwar bereitwillig in die Stuhlinstallation von Ai Weiwei, weil er über den chinesischen Künstler in der Schule eine Präsentation gemacht hat. Doch insgesamt ist das Haus zu vollgeräumt mit Menschenrechtsanliegen aus aller Welt. Da ist es gut, dass zwischen den kunstsinnigen Franzosen und den politisch korrekten Deutschen die exzentrischen Engländer sitzen und der britische Künstler Jeremy Deller eine Teestube eingebaut hat, in der man echten englischen Tee schlürfen kann.

Außerdem läßt Deller dort in einem Wandbild Roman Abramowitschs Yacht ins Meer werfen. Das Boot des russischen Oligarchen hat bei der Biennale 2011 protzig vor dem Eingang geankert. Bei dem Thema reiche Russen sind die Kinder ganz zu Hause, weil wir sieben Jahre in Moskau gelebt haben. Auch der russische Pavillon selbst erweist sich in dieser Hinsicht als Erfolg. Konzeptkünstler Vadim Zhakharov hat einen Geldregen inszeniert, vor dem man sich auf Betstühlen niederknien kann.

Ein echter Hit bei Jung und Alt ist der blitzneue koreanische Pavillon. Halb versteckt im Gestrüpp neben dem hartkantigen deutschen Haus steht dieses moderne Spiegelkabinett, in dem Licht und Dunkel alle zwischen neun und 17 Jahren in Bann halten. Künstlerisch vielleicht etwas flach, aber effektvoll.

Weitere Highlights: Die Genesis als Cartoon von Robert Crumb, die witzigen Tonfiguren von Fischli & Weiß und der Gewinnerpavillon des Goldenen Löwen im Palazzo Cini. Der Angolaner Edson Chagas, ein 36jähriger Fotojournalist, hat "Luanda. An Encyclopedic City" aus 23 Stillleben-Fotografien zusammengestellt. Kopien kann man für zwei Euro kaufen. Meine Sohn wollte damit sein Zimmer neu tapezieren - vergaß allerdings die Posterrolle im Boot zum Bahnhof.

Am allerbesten  gefällt allen der chilenische Beitrag von Alfredo Jaar im Arsenal. Dort steigt, wenn man lange genug wartet, aus einem grünlichen Schlammbad eine Miniatur der Giardini auf. Das Wasser gurgelt durch die Gassen zwischen den Pavillons, die Blätter der Bäume schütteln sich vom Schlamm frei, eine Welt entsteht. Und wird kurz danach wieder von der Mechanik in die Tiefe gezogen. Die Gärten versinken, die Kunst verschwindet. Es ist Zeit fürs Eis.

Dieser Blog ist Lily Hoffmann-Ostenhof gewidmet, die 2015 hoffentlich wieder mitkommt.

 

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© 2018 Tessa Szyszkowitz