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Schmelzender Lenin

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Österreichische und russische Künstler erobern Murmansk mit zeitgenössischer Kunst.  

Was macht der Bolschewikenführer auf dem nach ihm benannten Atomeisbrecher? Er schmilzt. Die russische Künstlerin Maria Koschenkowa zeigt nur die rechte Gesichtshälfte einer bronzenen Lenin-Statue, die linke Seite ist in eine gläserne Pfütze zerflossen. Die ganze Installation findet auf dem Tisch in der Kapitänskajüte statt. Einst schipperte das Boot zur Demonstration sowjetischer Größe mit einem Atomreaktor bestückt übers Nordmeer. Heute liegt das Museumsschiff im Hafen von Murmansk vor Anker. Vorige Woche wurde dort die österreichisch-russische Ausstellung "Eisbrecher: Lenin" eröffnet. Im März wird die Schau im Lentos-Museum in Linz gezeigt.

Die Kooperation zwischen russischen und österreichischen Behörden und Künstlern war nervenaufreibend. "Für viele hier soll Kunst einfach schön sein", meint der österreichische Künstler Michael Strasser, der in einem Video und begleitenden Interviews mit Crewmitgliedern und anderen Murmanskern sehr höflich die Untiefen des örtlichen Kunstverständnisses ausgeforscht hat. Strasser hatte sich überlegt, ob er bei einer Ausstellung auf einem ehemaligen Atomboot im putinistischen Russland überhaupt mitmachen sollte. Er hat sich dafür entschieden: "Wir im Westen sind ja auch nicht viel besser, wenn es um Atomkraft geht."

Der Eisbrecher, dessen Ausstattung sowjetische Luxusklasse darstellte, dient als atemberaubende Kulisse und Spiegel für die zeitgenössische Interpretation der russischen Geschichte. Ein Video von Isa Rosenberger über die russische Exklave Brighton Beach in New York wird in der Kantine gezeigt, die einst auch als Kino diente. Das russische Künstlerduo Igor Makarewitsch und Jelena Jelagina hat spielerisch Pingpongbälle mit Lenin-Zitaten im Offiziersspeisesaal  plaziert.

Die an sich wahnwitzige Idee, ein postsowjetisches Museumsschiff nördlich des Polarkreises mit zeitgenössischer Kunst aus Österreich und Russland zu entern, hatte Simon Mraz, Österreichs Kulturattaché in Moskau. Alexander Barinow, Kapitän des Eisbrechers, wollte die Schau noch im Juni absagen, als er einige Arbeiten zu sehen bekam. Ein paar nestbeschmutzerische Werke hat er am Ende auch tatsächlich verboten: "Man muss schon wissen, was geht und was nicht", sagte er ganz zufrieden mit sich und dem Endergebnis spät nachts, als die Eröffnungsparty und der Wodka zur Neige gingen.

Im März wollen dann Johanna und Helmut Kandl ihr Projekt im Lentos-Museum aber doch unzensuriert zeigen. Im Galasaal des Eisbrechers wollte das Künstlerpaar Tischkarten auf den Konferenztisch stellen - mit den Namen von Geheimagenten aus Ost und West. Doch die Konferenz der Spione wurde den Kandls vom Kapitän verboten. Die Taferln kamen ohne Namen auf den Tisch. "Da bleibt uns jetzt noch einiges Neues für das Lentos-Museum", meint Museumschefin Stella Rollig. Das ist gut so. Denn der Eisbrecher kann ja nach Linz nicht mitkommen.

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© 2018 Tessa Szyszkowitz