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Cornflake Boris

Londons Bürgermeister Johnson ist in den goldenen Ghettos seiner Stadt verloren gegangen.

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LONDON. Neues vom unberechenbaren Boris: Mitten in der Margaret-Thatcher-Rede, die er diese Woche hielt, stellte der Bürgermeister von London eine ungewöhnliche Beziehung zwischen Intelligenzquotient und Einkommensschere her. “16 Prozent unsere Spezie haben einen IQ unter 85. Nur zwei Prozent haben einen über 130”, erklärte er. “Je heftiger man eine Packung schüttelt, umso leichter ist es für einige, nach oben zu kommen.” Und dann fügte der Bürgermeister der goldenen Ghettos von London noch schnell hinzu: “Ein gerüttelt Maß an Ungleichheit spornt den Neid an und fördert das Vorankommen.”

Gier ist gut. Wirklich? Wer seine Rede ansieht (http://www.youtube.com/watch?v=21TvPHKlyVM), muss sich fragen, ob Johnson seine erstklassige Erziehung in der Eliteschule Eton (nur für Buben) und später in Oxford wegen oder trotz seines eigenen IQs erhalten hat. Es ist bekannt, dass der ehemalige Journalist reiche Leute besonders schätzt. Schließlich war es Johnson höchstpersönlich, der den indischen Stahlmagnaten Lakshmi Mittal in einer Garderobe am Weltwirtschaftsforum in Davos ansprang und dem Mann das Versprechen abnahm, Stahl im Wert von 16 Millionen Pfund für ein Monument im Olympischen Park in Ostlondon zu spenden. Für Monsterprojekte wie diese sind private Mäzene praktisch. “Thatcher hat festgestellt”, erklärte Johnson in seiner Rede vergnügt, “dass der gute Samariter nichts Gutes tun hätte können, wäre er nicht reich gewesen.”

David Cameron hat die Boris-Rede sicher gefallen, noch ein paar solche und er braucht sich keine Sorgen mehr zu machen, dass der Bürgermeister ihn vom Chefsessel der Tories kippt. Boris schießt sich gerade selber verbal aus dem Rennen. Öffentlich sagte Cameron natürlich kein Wort. Vizepremier Nick Clegg von den Liberaldemokraten dagegen sprach von einem “unangenehmen Elitismus”.

Abgesehen davon: Soll sich ein Bürgermeister nur als Spenden-Aufreißer betätigen? Sollen wir Staaten und Städte aus der Pflicht entlassen, Gesundheitsversorgung, Erziehung und soziale Sicherheit für die Bevölkerung zu gewährleisten? Sollen wir uns der frommen Hoffnung hingeben, dass Reichtum freiwillig von den wenigen Reichen auf die vielen Armen tröpfeln wird? Dies funktioniert offensichtlich in seinem Land und seiner Stadt nicht. Zwischen April und September 2013 hat sich die Zahl der Briten, die sich Grundnahrungsmittel von den lokalen “Food banks” holen, von 113,264 auf 355.985 Menschen verdreifacht. Dreizehn der 63 Millionen Briten leben unter der Armutsgrenze. Zwei Millionen davon in London. Jeder vierte junge Londoner zwischen sechzehn und vierundzwanzig ist arbeitslos. In London klafft die Einkommensschere noch weiter auf als auf dem Rest der Insel.

Das führt zu größeren sozialen Spannungen. Am Ende betrifft es die ganze Nation, nicht nur die Armen. Durchschnittsbriten können sich die Preise in der eigenen Hauptstadt nicht mehr leisten. Irgendwann könnte die Blase platzen. Und niemand wird die ausländischen Superreichen in die Pflicht nehmen können. Die lokale Politikerklasse aber schon.

Was tut Boris Johnson gegen die immer offensichtlicher werdenden Unterschiede zwischen Armen und Reichen? Eines seiner Lieblingsprojekte ist die Revitalisierung des ehemaligen Kraftwerks im Westlondoner Bezirk Battersea durch eine malaysische Entwicklungsfirma. Vielleicht hatte Boris ja nie vor, dort Sozialwohnungen bauen zu lassen. Doch versprach er, die Wohnungen zumindest erst Londonern zum Kauf anzubieten. Daraus wird jetzt wohl nichts. Die Penthäuser kosten 30 Millionen Pfund. Es ist zwar nicht gesagt, dass Prinzen vom Golf unbedingt aufs Dach einer ehemaligen Stromfabrik  ziehen wollen. Doch eines ist klar: Viele Briten gibt es nicht, die sich solche Wohnungen leisten können.

Dann sagte Boris gegen Ende seiner Rede noch, dass ein Prozent der Verdiener dreißig Prozent der Einkommenssteuern bezahlen: “Damit werden viele Straßen und Schulen finanziert. Warum also, frage ich unschuldig, finden alle ehrbaren Briten sie so verabscheuungswürdig?” Vielleicht gäbe es ja weniger soziale Ungerechtigkeit in Großbritannien, wenn Einkommen – und daher auch Steuerabgaben – ausgeglichener verteilt wären? Das aber ist vielleicht zu viel zu verstehen für ein Cornflake, das in der Packung ein bisschen zu heftig und hoch geschüttelt wurde.

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© 2018 Tessa Szyszkowitz