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„Cathy, kannst du etwas für uns tun?“

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Von der Beilegung des Atomstreits mit dem Iran bis zur Vermittlung im Kosovo-Konflikt – ausgerechnet die anfangs als unerfahren kritisierte Catherine Ashton prägt als EU-Außenbeauftragte das internationale Standing Europas.

Kalenderwoche 49: Erst schaut US-Außenminister John Kerry auf seinem Weg in den Nahen Osten vorbei. Danach geben sich der afghanische und der türkische Außenminister die Klinke in die Hand. Kurzfristig hat sich dann der jordanische König Abdullah angemeldet, weshalb ein Treffen mit den Premierministern Serbiens und Kosovo kurz gehalten werden muss. Und dann ruft auch noch der neue iranische Außenminister Mohammed Jawad Sarif an – es geht um die weiterführenden Verhandlungen über das Nuklearprogramm.

Nein, über Einsamkeit und Langeweile kann sich Catherine Ashton, Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union, selten beschweren.

Wenn die britische Labour-Politikerin nicht gerade alles empfängt, was Rang und Namen hat, rast sie von Krisenherd zu Krisenherd, daneben soll sie auch noch den europäischen diplomatischen Dienst EEAS („European External Action Service“) aufbauen. Sie selbst nennt diese Übung: Ein Flugzeug zu fliegen, an dessen Flügeln man noch baut.

Trotz ihres emsigen Einsatzes wurde die 57jährige Ashton bis vor kurzem als komplette Fehlbesetzung empfunden. Die Franzosen nannten sie eine „Null“. Im eigenen Land wurde die britische Sozialdemokratin zu Beginn sogar von einer anonymen Regierungsquelle als „Gartenzwerg“ bezeichnet.

Doch jetzt ist ihre Stunde gekommen. Genau gesagt gelang ihr der Durchbruch am 24. November. An diesem Tag unterzeichneten sechs Weltmächte mit der Regierung in Teheran ein Interimsabkommen über die Einfrierung des iranischen Atomprogramms.

Geleitet hatte die Verhandlungen eine kleine Person im kupferfarbenen Mantel und mit strubbeligem Haar: Catherine Ashton. Die einzige Frau in der Runde wurde von allen Verhandlern bei Vertragsabschluss geherzt und geküsst – mit Ausnahme des iranischen Außenministers, der aus religiösen Gründen nur pietätvoll die Hände hob. Selbst die konservative Tageszeitung „Daily Telegraph“ musste der Landsfrau widerwillig Anerkennung zollen: „Catherine Ashton: From Zero to Hero“, titelte das Blatt.

Gerade in ihrer Heimat hatte Asthon bisher einen schweren Stand. Vor ihrer überraschenden Bestellung zum europäischen Topjob im Jahr 2009 hatte sie es nur zur Staatssekretärin für Bildung und später für Justiz gebracht. Danach war sie Sprecherin des britischen Oberhauses, dem „House of Lords“, und 2008 ein Jahr lang Handelskommissarin in Brüssel.

Labour-Premier Tony Blair hatte Asthon 1999 in den Adelsstand erheben lassen. Von Geburt an hatte nämlich absolut kein blaues Blut in den Adern: Sie ist die Tochter einer Bergarbeiter-Familie und hat es als erstes Mitglied ihrer Familie auf die Universität geschafft. Insofern ist der auf Lebenszeit verliehene Titel „Baroness of Upholland“, ihrem Geburtsort, auch Ausdruck dafür, dass sie zur Aristokratie der Labour Party gehört. Dort ist Asthon spätestens bei ihrer Heirat mit einem ehemaligen Berater Tony Blairs, dem Meinungsforscher Peter Kellner, angekommen.

Viele hätten dem Spitzenjob der EU-Außenbeauftragten gerne Posten gehievt. Asthon aber mehr Gewicht verliehen und einen ehemaligen Premierminister wie Tony Blair selbst oder zumindest einen Ex-Außenminister wie David Miliband auf den hatte nicht nur eine biografische Schwäche vorzuweisen – sie hat noch ein weiteres Handicap: Sie hasst es, im Scheinwerferlicht zu stehen, und meidet Journalisten, wo sie kann. Umso schwieriger war es, die Baronesse mediengerecht zu vermarkten.

Die ersten Wochen nach Amtsantritt waren besonders schlimm. „Frau Ashton, stimmt es, dass Sie für den Job nicht qualifiziert sind?“, rief ein Reporter und presste ein Mikrofon durchs Fenster in die Limousine, in die sich die frisch bestellte EU-Außenministerin bereits geflüchtet hatte. Der Grobheit der Journalisten, vor allem der britischen, war Ashton nicht gewachsen. Sie verstummte.

Auch die politischen Gegner ließen kein gutes Haar an ihr: „Sie wurde nie gewählt!“, geiferte Nigel Farage im EU-Parlament. Für den charismatischen Chef der euroskeptischen Partei UKIP war die schüchterne europäische Spitzenpolitikerin ein gefundenes Fressen: „Sie verdient mehr als Barack Obama“, hetzte er. Tatsächlich liegt ihr Bruttoeinkommen mit 350.000 Euro über jenem des US-Präsidenten mit 300.000 Euro. „Das sagt ja alles darüber aus, wie die europäische Politklasse es sich richtet“, schlussfolgerte Farage messerscharf aus diesem Umstand.

Catherine Ashton schwieg und machte sich ohne Aufhebens an ihren Monsterjob. Gemäß dem Vertrag von Lissabon ist sie nicht nur die Hohe Repräsentantin für Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union, sondern auch Vizepräsidentin der Europäischen Kommission. Die pompösen Titel können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Außenpolitik in Europa immer noch von den Mitgliedsstaaten bestimmt wird. Frau Ashton darf zwar im Auftrag der 28 Mitglieder der EU verhandeln – aber nur, wenn vorher darüber Einstimmigkeit im Europäischen Rat erzielt wurde. Hinzu kommt, dass in der EU-Politik immer alle Erfolge bilateral von den Staatschefs beansprucht werden, während Niederlagen gerne an Brüssel abgeschoben werden.

In einem ihrer seltenen Interviews erzählte die EU-Außenministerin dem britischen „Guardian“, wie eine junge Frau im libyschen Bengasi zu ihr sagte: „Wir wollen, was Ihr habt. Die Demokratie ist Teil Eures Alltags.“ Das habe sie nicht vergessen, denn sie wisse, was das heiße: „Die Polizei arbeitet für den Staat, die Justiz operiert unabhängig, die Administration ist nicht korrupt und die Rechte der Bevölkerung werden respektiert.“ Sie wolle daran arbeiten, dass dies in weiteren Teilen der Welt Realität werde, sagte Ashton in dem Interview. Dann nahm die Hohe Repräsentantin der EU-Außenpolitik ihre Tasche und verließ das Londoner Kaffeehaus, in dem das Gespräch stattgefunden hatte, so wie sie gekommen war: vollkommen unerkannt.

Ihre Angst vor dem Rampenlicht hat Catherine Ashton inzwischen in einen Trumpf verwandelt: Sie arbeitet hinter den Kulissen. So gelang ihr auch im Frühling dieses Jahres ihr erster Scoop. Zur großen Verwunderung vieler Beobachter konnte sie Kosovo-Albaner und Serben zu einem historischen Abkommen überreden. Es war Ashtons Idee gewesen, die Premierminister Serbiens und des Kosovo in ihrem neuen Büro, dem Hauptquartier des „European External Action Service“ in Brüssel, zusammenzubringen: „Die beiden hatten sich nie zuvor getroffen“, schrieb sie später in einem Kommentar in der „New York Times“ mit einem seltenen Anflug von Stolz. Die EU-Beitrittsverhandlungen der Serben können Anfang 2014 beginnen.

Kaum hatte Ashton den Serben und Kosovaren den Begriff „European Soft Power“ nachhaltig erläutert, verschärfte sich der Konflikt zwischen den Islamisten und dem Militär in Ägypten, der mit dem Putsch gegen den gewählten Präsidenten Mohammed Mursi am 3. Juni gipfelte. Das Staatsoberhaupt, das in den Monaten davor einen immer härteren islamistischen Kurs verfolgt hatte, verschwand im Gefängnis.

Da trat Ashton auf den Plan. Die Amerikaner sind zwar immer noch die mächtigeren Drahtzieher im ägyptischen Machtspiel, doch mit ihrer Unterstützung der ägyptischen Armee haben sie sich den Zugang zu den Muslimbrüdern verbaut. Ashton dagegen hatte sich mit allen Seiten eine gute Gesprächsbasis erhalten: „Wir werden ja nicht als diejenigen gesehen, deren Flotte im Mittelmeer umherkreuzt“, meint ein hoher Diplomat.

Ashton bestand darauf, Mursi im Gefängnis zu besuchen. Am 30. Juli wurde sie per Hubschrauber zu einer Militärbasis geflogen und saß dann zwei Stunden lang mit dem abgesetzten Präsidenten in seiner Zelle. Mursi war wohlauf, las täglich zwei Zeitungen und konnte staatliches TV sehen. Der Kühlschrank sei gut gefüllt gewesen, berichtete Ashton später der Presse: „Wir haben zwei Stunden lang eine freundliche, offene und sehr ehrliche Diskussion geführt. Wie Sie wissen, habe ich ihn viele Male vorher getroffen.“ Mursi, aber das sagte sie damals nicht, platzte fast vor Wut über seine Entmachtung. Der Ex-Präsident ist immer noch in Haft, der weithin verhasste Ex-Diktator Hosni Mubarak hingegen längst unter dem weitaus komfortableren Hausarrest.

Derzeit bleibt der EU-Diplomatin deshalb nur das, was sie am besten kann: alle Kanäle offen halten. Diese Kunst hat ihr den dritten Erfolg des Jahres beschert: das Interimsabkommen mit dem Iran.

Jahrelang waren die Atomgespräche mit dem Mullah-Regime bloßes Theater. Erst der Machtwechsel in Teheran und geheimen bilateralen Parallelverhandlungen mit der US-Administration machten ein Abkommen möglich. Doch einen nicht geringen Anteil an dessen Zustandekommen hatte Catherine Ashton, die seit ihrem Amtsantritt trotz Sanktionen und Kriegsdrohungen die sogenannte P5+1-Gruppe – die fünf permanenten Mitglieder des UN-Sicherheitsrates plus Deutschland – mit kühlem Kopf zusammen hielt. Da die Kontaktgruppe ganz zu Beginn der Atomgespräche mit dem Iran im Jahr 2003 nur aus den drei großen EU-Staaten Frankreich, Großbritannien und Deutschland bestanden hatte – Russland, China  und die USA kamen erst später hinzu – waren die Iran-Gespräche immer Sache der EU-Diplomatie.

Kaum war Mohammed Jawad Sarif Mitte August zum Außenminister Irans ernannt worden, hängte sich Asthon bereits ans Telefon und lud ihn zur P5+1-Gruppe ein. Sie versammelte alle Beteiligten in Genf und begann einen Verhandlungsmarathon.

Ihre Berater sagen, Catherine Ashton brauche nicht viel Schlaf. Das erwies sich in der Schlussphase der Genfer Gespräche als Vorteil, denn die EU-Chefdiplomatin kam während dieser Zeit nächtelang kaum noch ins Bett.

Doch es gibt auch Kritik an Ashton. Man erzählt sich, sie könne schlecht delegieren, wolle alles selber machen und herrsche am Ende, wenn ihre Nerven blank lägen, ihre Mitarbeiter an. Zudem hatte sie in den vergangenen Jahren keine leichte Position, als sie die EU nach außen vertreten musste, während diese knapp davor zu stehen schien, ihre Währung und das eine oder andere Mitgliedsland zu verlieren. Häme ergoss sich über die Frau, die Europa als weltpolitischen Player darzustellen versuchte.

Bis vor ein paar Monaten hieß es, Ashton sei praktisch schon weg. Die Labour-Politikerin werde von der konservativen britischen Regierung sicher nicht ein zweites Mal nominiert. Als aussichtsreichster Kandidat galt bisher der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski, ein Absolvent der britischen Eliteschule Eton. Der selbstbewusste Sikorski schien vielen besser geeignet, der europäischen Außenpolitik ab 2014 ein Gesicht zu geben.

Ob die Amtsinhaberin sich aber nach ihrem Erfolgsjahr so einfach vom Sessel schieben läßt? Ashton hat auf höchster Ebene beste Kontakte zu den Kollegen aufgebaut – ihre gute Beziehung zu Hilary Clinton ist legendär. Inzwischen nennen auch ihre politischen Feinde Ashton gern „Cathy“, um sich in ihre Nähe zu rücken.

Mittlerweile hat sich zwischen Ramallah, Pristina, Kairo und Kiew herumgesprochen, dass es in Brüssel eine Ansprechperson gibt. Aus allen Ecken der Welt, erzählt ein Berater, höre er inzwischen die Frage: „Cathy, kannst du etwas für uns tun?“

Und das ist bedeutet nicht nur viel für Ashton, der ewig Unterschätzten – sondern auch für die Bedeutung der gesamten EU.

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© 2018 Tessa Szyszkowitz