Der Kremlherr zeigt schon wieder sein wahres Gesicht. Kann er nicht endlich damit aufhören?
Zum bassen Erstaunen der Redakteure fällte der russische Präsident von einem Tag auf den anderen am 9. Dezember eine große, dicke Eiche der russischen Berichterstattung. Die staatliche Nachrichtenagentur RIA Novosti war bisher schon kremlnah, hatte aber Journalisten mit Zivilcourage und viele ausländische Klienten, weshalb aus Gründen der Glaubwürdigkeit kritisch berichtet werden durfte. Der langjährige Moskaukorrespondent von “profil”, Andrei Iwanowski, schreibt für RIA unter anderem einen deutschsprachigen Blog (http://de.ria.ru/tagebuch_des_redakteurs/20131107/267230788.html). Bisher zumindest.
Jetzt werden RIA und der Sender “Radio Free Russia” liquidiert und zu “Rossija Segodnja” alias “Russland heute” umgebaut. Den gleichnamigen patriotischen Fernsehkanal “Russia Today” gibt es bereits. Aus “Soft-Power”-PR wird Putinismus pur. Angeblich wird nicht alles zusammengelegt, aber auch wenn getrennte Redaktionen daran arbeiten, die Produkte werden alle gleich riechen: Nach Putins Aftershave. Und das ist nicht der Lieblingsduft aller. Die neue Ära repräsentiert als neuer Chef der Nachrichtenagentur Dmitri Kisseljow. Der ist bisher als putinistischer Fernseh-Moderator hervorgetreten. Erst unlängst gab Kisseljow life seine Meinung zum Besten: Schwule sollten nicht als Organspender zugelassen werden, ihre Herzen gehörten verbrannt.
Kein Mensch sollte sich wundern, wir kennen Putins wahres Gesicht ja nun schon lange genug. Auch wenn er, wie die russische Blogosphäre vermutet, seit einer Weile versucht, seine Züge durch Botox zu verschönern. Der junge Oppositionspolitiker Ilya Yashin nennt es die drei Phasen von Putins Karriere: 2000-2008 — Präsident, 2008-2012 — Expräsident (damals war er Premierminister), 2012 — Botox-Präsident.
Auch inhaltlich versucht er immer wieder kosmetische Eingriffe. Am Donnerstag will Putin anläßlich des Tages der Verfassung von 1993 eine Amnestie für junge Mütter im Gefängnis erlassen – das könnte, so wird derzeit in Moskau spekuliert, die beiden “PussyRiot”-Aktivistinnen Nadeschda Tolokonnikova und Maria Aljochina betreffen. Dies aber ist Teil der Putinschen Inszenierung. Die Amnestie ist kein Eingeständnis von Justizirrtümern, sie ist der Gnade-Akt eines Zaren.
Seit genau zehn Jahren wissen wir, mit wem wir es bei Putin zu tun haben. Im Herbst 2003 ließ er Russlands reichsten Oligarch Michail Chodorkowski verhaften, zuschlug dessen Ölkonzern Yukos, verleibte das Vermögen dem neugeschaffenen Staatskoloss Rosneft ein und schickte den vormaligen Konkurrenten in den Gulag. Das ist die Essenz des Putinismus: Zentrale Kontrolle über das politische und wirtschaftliche Geschehen vom Kreml aus. Zu Beginn seiner Herrschaft 1999 war das noch nicht so sicher gewesen. Als er die alte Oligarchenriege, die Boris Jelzin manipuliert und instrumentalisiert hatte, im Jahr 2000 beseitigte, konnte man dies noch als Korrektur eines demokratischen Kurses sehen. Doch daran hatte Putin nie Interesse. Mit Chodorkowskis Verhaftung hatte er die Maske des Reformers fallen gelassen.
Der ehemalige KGB-Offizier vereint die schlimmsten russischen Traditionen in sich: Das paranoide Kontrolldenken des sowjetischen Geheimdienstes mit der Geldgier der neurussischen Oligarchie. Man kann Putin nicht beweisen, dass er und seine Vertrauten sich mit stillen Teilhaberschaften und Schmiergeld die Taschen füllen. Doch der Oppositionelle Boris Nemtsow glaubt, dass allein bei der Vorbereitung der Olympischen Winterspiele von Sotschi 2014 von 50 Milliarden Dollar, die für Bau und Schau ausgegeben werden, fast 30 Milliarden in dunklen Kanälen verschwunden sind.
Jetzt sitzt Putin zwar noch recht fest auf seinem Kremlthron – zum dritten Mal, nach einer Ehrenrunde als Premierminister - doch die Alterserscheinungen zeigen sich im Regierungsstil: Wie der gute Zar begnadigt er PussyRiot, die er zuerst für das Absingen eines putinkritischen Punkgebetes in einer Kirche zu zwei Jahren Straflager verurteilt hatte lassen. Und wie der böse Zar sperrt er jetzt die letzten Medien zu, die noch an seinem Image kratzen konnten. Nikolai II. lässt ebenso grüßen wie Josef Stalin und Leonid Breschnew.