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Nach dem Gulag

Exoligarch Chodorkowski und die Frauen von Pussy Riot reagieren auf ihre Freilassung ganz unterschiedlich.

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Michail Chodorkowskis gefasster erster Auftritt im Berliner Mauermuseum am Sonntag hinterließ einen bittersüßen Nachgeschmack. Das scheue Lächeln des Exoligarchen erinnerte an einen geläuterten Chorknaben, dem der Pfarrer knapp vor Weihnachten drei Ave Maria erlassen hat. Der ehemalige Putin-Konkurrent wog jedes Wort vorsichtig ab. "Putin war fair zu meiner Familie", sagte er einmal und beließ es dabei. Das ganze Theater war im Kreml gut geprobt worden. Was immer Chodorkowski unterschrieben hat, um freizukommen - Putin kann mit dem gezähmten Herausforderer zufrieden sein.

Ganz anders dagegen Nadeshda Tolokonnikova und Maria Aljochina, die beiden Mitglieder von PussyRiot. Kaum auf der Straße nannte Aljochina die Amnestie einen "PR-Gag" und Tolokonnikova sagte, ganz Russland sei ein Straflager. Die beiden haben ganz offensichtlich keinen Pakt mit dem Kreml geschlossen.

Warum also reagieren PussyRiot und Chodorkowski so unterschiedlich? Warum bettelt der eine um Gnade, die anderen aber lehnten sich - so sagt Aljochina - sogar gegen die frühzeitige Entlassung auf?

Der 50jährige Chodorkowski war wahrscheinlich des Lagerlebens müde und er wollte seine Mutter wiedersehen, die an Krebs erkrankt ist. Das sind legitime Gründe, um ein Gnadengesuch zu stellen. Den einzigen Sohn in Sicherheit zu wissen, könnte für Mama Chodorkowskaja lebensverlängernd wirken. Die beiden jungen Frauen von Pussy Riot dagegen, obwohl sie beide Mütter kleiner Kinder sind, scheinen ihr Familienwohl nicht über den politischen Kampf für ein demokratisches Russland zu stellen. Tolokonnikovas Wut über die Verhältnisse in ihrem Vaterland hat sie sogar im Straflager zu einem Hungerstreik angestachelt. Eine immens gefährliche Aktion, das russische Gefängnissystem ist schließlich auf die entfesselte Willkür der Wärter gebaut. Nach ihrem provokativen Hungerstreik wurde sie auch gleich drei Wochen lang quer durch Sibirien transportiert - ohne dass ihre Familie informiert wurde, wo sie war und ob sie noch lebte.

Putins politische Gefangene sind eben doch sehr unterschiedliche Charaktäre. Chodorkowski und Tolokonnikova verbindet, dass sie beide trotz Gulag aussehen, als kämen sie gerade von einem Erholungsurlaub. Das prädestiniert sie als politische Leitfiguren im Multimediazeitalter. Doch damit sind die Gemeinsamkeiten schon vorbei.

Chodorkowski ist am Ende eben doch ein Geschäftsmann, ein bürgerlicher Mensch, der seinen eigenen Einfluss 2003 grob überschätzt hatte und dafür jetzt zehn Jahre gebüßt hat. Sein Sohn Pawel hat mir schon vor ein paar Wochen erzählt, dass sein Vater nicht um die Rückgabe seines Vermögens kämpfen wird - bei einem Geschäftsmann ist das ein sicheres Zeichen für Resignation. Aber auch politisch ist Chodorkowski vielleicht klug, sich nicht als Russlands Nelson Mandela aufzuspielen. In Russland gilt er den meisten immer noch als gefallener Superreicher, die Symphatien für ihn halten sich in Grenzen. Die nächste Generation von Oppositionellen wie der Anti-Korruptionskämpfer Alexej Nawalni genießt mehr Glaubwürdigkeit als der ehemalige Superreiche Chodorkowski, der nicht mit ganz legalen Mitteln zu seinem Reichtum gekommen ist. Dafür hat er nach allgemeiner Ansicht genug gebüßt. Jetzt kann er sich erst mal im weichen Bett im Hotel Adlon in Berlin ausschlafen.

Ein Aufenthalt im Luxushotel würde Pussy Riot dagegen nicht im Traum einfallen. Außer vielleicht, um dort ein Protestlied gegen den internationalen Geldfilz zu singen. Die jungen Frauen sind Revolutionärinnen im besten Sinne. Nadja Tolokonnikovas Verständnis ihrer Rolle in Russland ist ausgesprochen radikal, wie mir ihr Vater unlängst in einem Interview erläuterte. Auch wenn sie weiß, das sie real gegen Putin machtlos ist. Sie will die Strukturen dieses autoritären, repressiven, korrupten, gesellschaftlich reaktionären, homophoben und sexistischen Staates aufbrechen. Koste es, was es wolle. Das erschreckt unter Umständen schon auch mal den eigenen Vater.

Tolokonnikovas Tochter Gera jedenfalls wird sich daran gewöhnen müssen, dass ihre Mutter ihren Kampf nicht aufgeben wird. Putins Gulag und Putins Gnade wird daran nichts ändern.

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© 2018 Tessa Szyszkowitz