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General bis zum Ende

 

Noch im Sterben hielt der General Israel in seinem Bann. Nach einem Schlaganfall im Jänner 2006 lag er acht Jahre lang im Koma. Am Samstag tat Ariel Scharon im Alter von 85 Jahren seinen letzten Atemzug.
Scharon hat es sich selbst, seinen Freunden und seinen Feinden nie leicht gemacht. Die einen nannten ihn den „König von Israel“, die anderen „Schlächter von Beirut“. Doch selbst sein politischer Erzfeind, der linke Friedensaktivist Uri Avnery, respektierte ihn als großen General in diesem kleinen Land. Im Staat der Juden, der aus dem Holocaust-Trauma entstanden ist, haben gerade die Generäle der Gründergeneration wie Scharon oder Jitzhak Rabin einen besonderen Stellenwert. Ihnen zollt man bis heute Respekt als dem neuen Typus eines Juden, der sich nicht wehrlos abführen lässt.

Scharon war zudem ein charismatischer, volksnaher Politiker. Der linke Filmemacher Avi Mograbi bekannte in seiner Dokumentation „How I learned to overcome my fear and love Arik Scharon“ (1997), dass er sich nach monatelanger Verfolgung seines Antihelden heillos in ihn verliebt hatte.

Frieden aber hätte der Feldherr seinem Land wohl nicht gebracht. Ein Abkommen mit den Palästinensern auf Basis der Rückgabe der 1967 besetzten Gebiete entsprach nicht seinem politischen Konzept, denn auch als Politiker dachte er stets wie ein General.

In Israels Kriegen von 1948, 1956, 1967 und 1973 siegte der junge Staat auch dank seiner wagemutigen Entscheidungen. 1973 etwa überquerte Ariel Scharon mit seinen Truppen den Suez-Kanal und wendete so eine drohende Niederlage Israels ab.

Politisches Minenfeld
Nach seiner Pensionierung als General wurde er Politiker. Auf dem politischen Minenfeld des Nahen Ostens aber war mit purer Waghalsigkeit wenig zu gewinnen. Als Verteidigungsminister in der rechten Likud-Regierung trieb er Israels Soldaten 1982 bis nach Beirut. Die Einmischung in die Politik des Nachbarlandes kam Israel teuer zu stehen. Der Krieg destabilisierte den vom Bürgerkrieg ohnehin zerrissenen Libanon zusätzlich. Die anti-israelischen Kräfte wurden nicht geschwächt, sondern gestärkt.

Den größten Schaden aber erlitt Scharon selbst. Das Massaker an palästinensischen Flüchtlingen in Sabra und Schatila kostete ihn seinen Job. Tagelang metzelten libanesische christliche Milizen unter den Augen der israelischen Besatzer mehr als 1000 Palästinenser nieder. In Israel demonstrierten Hunderttausende gegen den eigenen Verteidigungsminister, eine Untersuchungskommission kam zu dem Schluss, er sei indirekt verantwortlich gewesen. Obwohl er sich mit Händen und Füßen wehrte, musste Ariel Scharon zurücktreten.

Der alte Recke aber zog sich darob nicht etwa aufs Altenteil zurück. In den 1990er-Jahren diente er weiterhin als Minister in diversen Regierungen. Als Infrastrukturminister stand er einmal auf einem Westbankhügel und zeigte den Journalisten seine Vision: Große Straße hier, große Straße dort, am liebsten quer durchs Land und gern auch auf palästinensischem Westbank-Boden.

Für ihn, den strategisch denkenden Militär, war Sicherheitspolitik alles. Das war auch der Grund, weshalb er 2005 den einseitigen Rückzug Israels aus dem Gazastreifen beschloss. Seit 2001 war Scharon Regierungschef und ihm schien klar: Sicherheitspolitisch waren die 8500 Siedler zwischen eineinhalb Millionen Palästinensern in den 365 Quadratkilometern des Gazastreifens an der Grenze zu Ägypten eine reine Belastung.

Ohne mit den Palästinensern darüber zu verhandeln, zog er deshalb aus dem Millionenslum ab. Die Palästinenser hatte er weder am Verhandlungstisch noch am Schlachtfeld je ernst genommen – ihnen fehlten große Generäle. Seine Nichtachtung für die Palästinenser hatte er auch zur Jahrtausendwende bewiesen, als er mit einem provokativen Besuch auf dem Tempelberg alias Haram al-Sharif in Jerusalem die Zweite Intifada lostrat.

Feldherr
Hätte Scharon auch noch den Abzug aus der Westbank durchgezogen? Er war bereit, aus ein paar Siedlungen in der Westbank abzuziehen, um den Palästinensern ein durchgehendes Stück Land zu überlassen. Die für Israel wichtigen Teile der Westbank aber wollte der alte General behalten: das Jordantal, die Siedlungsblöcke, Großjerusalem und viele Teile der Westbank, die Israel als Pufferzone für das Kernland braucht. Israel in den Grenzen von 1967 wäre für den großen Feldherrn ein zu kleines Land geworden.

Es ist ihm vielleicht zufällig passiert, aber es könnte der wichtigste Aspekt seines politischen Erbes werden: Ariel Scharon hat bewiesen, dass man die israelischen Siedler und ihre ultranationalistische Lobby sehr wohl auch in die Schranken weisen kann, wenn man den politischen Willen und die nötige Autorität aufbringt. Darin liegt die Chance für die Friedensverhandlungen, um deren Wiederbelebung US-Außenminister John Kerry sich derzeit so unermüdlich bemüht.

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© 2018 Tessa Szyszkowitz