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Auf Europas Schlachtfeld

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Großbritannien ist nur noch dann eine siegreiche europäische Macht, wenn Jude Law die  Hauptrolle spielt.

Henry V. ist nicht Shakespeares bestes Stück, aber die Briten lieben es trotzdem. Mit Jude Law in der Titelrolle läuft es seit Wochen vor ausverkauftem Saal im Londoner Westend. (http://www.bbc.co.uk/news/entertainment-arts-25200156) Die Rolle selbst ist ein moralischer König – nicht gerade vielschichtig und Shakespeare hat ihn gewissermaßen der Gefahr ausgesetzt, das Publikum bald zu langweilen. Henry V. besiegt Frankreich im Hundertjährigen Krieg 1415 und erobert gleichzeitig Herz und Hand der französischen Königstochter Catherine. Ein schlichter Plot, Jude Law aber füllt die Bühne mit solch selbstbewusstem Charme und spielerischer Lust, da bricht das Stück auch in seinen plattesten patriotischen Momenten nicht ein.

Solche Gedanken quälen natürlich nur subversive Einwanderer. Für den britischen Zuschauer ist die Sache denkbar einfach: Bei Shakespeare siegt England über Frankreich, das Gute über das Böse, die erdigen Insulaner über die dekadenten Kontinentler. Die Welt ist in Ordnung, Britannien ist europäische Supermacht. Bitte sehr, der Trailer: http://www.youtube.com/watch?v=boEeG9Edwmk.

So hätte es die konservative Regierung auch gern in Wirklichkeit. Schatzkanzler George Osborne eröffnete vorige Woche in Londons Regierungsbezirk Westminster eine EU-Reform-Konferenz, die von der Tory-nahen Euroskeptiker-Gruppe „Fresh Start“ gemeinsam mit dem europäischen, euroskeptischen Reform-Think-Tank „Open Europe“  organisiert worden war. Dort verkündete Osborne, dass Britannien einen neuen EU-Vertrag aushandeln werde und nur dann werde das Land in der EU bleiben, wenn Brüssel verschiedene nationale Rechte zurückerstatte. Sehr konkret wurde er in dieser Hinsicht wieder nicht, aber es ist ja auch einigermaßen schwierig, noch mehr Extras zu bekommen, als die Briten schon haben: Der „Rebate“, also eine Teilrückerstattung der britischen EU-Zahlungen, wurde erst letztes Jahr wieder für die nächsten sieben Jahre ausgehandelt. Opt-outs wie aus Schengen und dem Euro sind für die zunehmend europakritischen Briten schon ein alter Hut. In Zeiten populistischer Höhenflüge der europafeindlichen UKIP-Partei lechzt die Öffentlichkeit nach mehr. Bloß, wonach?

Premierminister David Cameron hat genau vor einem Jahr ein Referendum versprochen, das den Briten bis 2017 die Option auf Austritt aus der EU geben soll: "Brexit or no Brexit" – das ist die Devise. Damit wollte er die EU-Kritiker in den eigenen Reihen beruhigen. Dies ging schief, wie FT-Kolumnist Janan Ganesh feststellt: http://www.ft.com/cms/s/0/4f459e84-7bc4-11e3-84af-00144feabdc0.html#axzz2qqhZuvkb. Die Europafeinde gehen auf die Barrikaden. 95 konservative Hinterbänkler forderten von Cameron letzte Woche ein Vetorecht des britischen Parlaments gegen jede EU-Verordnung. Die EU würde innerhalb von fünf Sekunden zum Stillstand kommen, hätten die nationalen Parlamente das Recht, die auf EU-Ebene beschlossenen Gesetze zu blockieren. Cameron hat dieses Ansinnen bereits zurückgewiesen.

Doch im Außenministerium in London erklärte mir diese Woche ein hoher Beamter, dass es zwar noch nicht klar ist, was genau seine Regierung fordern wird, dass man aber in genau diese Richtung denkt: „Wir wollen mehr Rechte für das nationale Parlament zurückholen.“ Aha. Dieses hehre Vorhaben wird die Antieuropäer weder in der eigenen Partei noch bei UKIP beruhigen. Sie planen längst den Austritt.

Im Vergleich zu Henrys Zeiten ist die Europa-Politik unter David Camerons Herrschaft noch eine milde Form von antieuropäischer Aggression. Wenigstens planen die Tory-Hinterbänkler keinen militärischen Überfall auf Frankreich.

Alle Welt erinnert sich derzeit an den Beginn des großen Schlachtens im Ersten Weltkrieg 1914. Dennoch scheint das historische Gedächtnis weiter Kreise in Großbritannien sehr beschränkt zu sein. Schließlich ist es die große Errungenschaft der Europäischen Union, dass Briten und Franzosen und Deutsche sich eben nicht mehr gegenseitig niedermetzeln. Dafür könnte man schon die eine oder andere EU-weite Kondomnormierung in Kauf nehmen. Solange der englische Stromstecker immer noch dicker und schwerer bleiben darf als sein Pendant am Kontinent, sollte doch alles in Ordnung sein. Zumal es der britischen Wirtschaft enorme Vorteile schafft, freien Zugang zum europäischen Markt zu haben. Der Zugang Britanniens zu europäischer Entscheidungsfindung würde sich enorm verringern, sollte die Insel die EU verlassen.

Die anderen EU-Granden haben bisher eher rücksichtsvoll auf die britischen Starallüren reagiert. Grobe populistische Vorstöße wie Camerons jüngste Idee, das Recht auf Freizügigkeit und Sozialleistungen von Bürgern neuer Mitgliedstaaten einzuschränken,  werden von den anderen EU-Granden kühl abgeblockt. „Das bedroht Deutschlands Interessen“, meinte Frank-Walter Steinmeier knapp. Generell aber wissen alle von William Shakespeare bis Angela Merkel, dass es in der Außenpolitik meist bloß um  Ablenkung geht.

„Die Engländer wollen sich den Magen vollschlagen, trauen sich aber nicht für die Beute zu kämpfen“, höhnen die Franzosen bei Shakespeares "Henry V." noch, um sich selbst Mut zu machen. Vor der großen Schlacht von Agincourt peitscht Henry seine Soldaten in Kampfeslust: „Je weniger wir sind, umso größer ist am Ende die Ehre für jeden von uns.“ So gewinnen die Engländer gegen die große Übermacht der Franzosen. Doch am Ende sind auf beiden Seiten fast alle tot. Und wozu das Ganze? Henry ist von seinen eigenen Beratern in einen Krieg mit Frankreich getrieben worden, um von internen Machtkämpfen auf der Insel abzulenken.

Es steht zu hoffen, dass George Osborne und David Cameron noch bei Jude Law im Westend vorbeischauen, bevor der letzte Vorhang Anfang Februar fällt.

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© 2018 Tessa Szyszkowitz