Nigel Farage fühlt sich „unbehaglich“, wenn in der Ubahn in London keiner mehr Englisch spricht.
Nigel Farage sagte unlängst, er fühle sich „unbehaglich“, wenn in der Londoner Ubahn keiner mehr Englisch spricht. Der Chef der EU-feindlichen, populistischen Partei UKIP hält es offenbar für einen Nachteil, dass Touristen und Einwohner untereinander andere Sprachen sprechen. London ist eben ein Sprachenbabel. Aber macht das was?
Vorigen Samstag spazierten wir am frühen Abend zu einer Bar-Mitsvah-Party im Hyde Park. Direkt vor uns eilten zwei Frauen in schwarzer Abaya den Weg entlang. Ein eher ungewöhnlicher Anblick. Nicht so sehr Frauen in den traditionellen schwarzen Ganzkörpertüchern der ultrareligiösen Moslems, die gibt es in London seit der Ankunft der Golfaraber in den Siebzigerjahren häufig. Seltsam war eher, dass die beiden Frauen sich so schnell bewegten. Wir schlossen daraus: Die Ladies absolvierten einen abendlichen Powerwalk durch den Park.
Sie waren bei weitem nicht die einzigen gläubigen Musliminnen im Hyde Park. Wir sahen einige Männer in Lederjacken durch die grüne Oase flanieren, hinter ihnen jeweils mehrere dieser theatralischen Figuren in flatternden Tüchern, einige auch mit Niqab, dem Schleier, der nur die Augen freilässt. Manche saßen in Gruppen auf dem Rasen wie schwarze Löcher in der Landschaft.
Der milde Maiabend zog aber bei weitem nicht nur gläubige Moslems in den Park. Wir trafen auf unserem Weg auch eine Gruppe von jungen Männern in ärmellosen T-Shirts, mit kurzrasierten Haaren und Flaschen in der Hand, deren Konversation von weitem zu hören war. Nicht aber zu verstehen, zumindest für uns. Sie sprachen eine slawische Sprache – nicht Russisch oder Polnisch, was wir identifizieren hätten können.
Gleich danach lief eine bürgerlich aussehende Jungfamilie an uns vorbei, Mutter und Vater mit Picknicktaschen, offenbar hatten sie hier den Nachmittag verbracht und waren auf dem Weg nach Hause. Eltern und Kinder unterhielten sich angeregt – ich tippte auf Türkisch, den anderen war das Sprache-Erraten zu dem Zeitpunkt schon langweilig geworden.
Ich musste an poor old Nigel denken, der jetzt wieder traurig gewesen wäre, weil er auf dem Weg durch den von den Londonern so geliebten Hyde Park gar kein Englisch gehört hätte. Er fürchtet wohl, dass die Briten nicht mehr Herren im eigenen Haus seien. In London ist die Einwanderungswut aus zwei Gründen besonders krass. Erstens, weil superreiche Golfscheichs, osteuropäische Oligarchen oder neokapitalistische chinesische Milliardäre die seit Jahrhunderten gewachsene und hierzulande gepflogene höfliche Behandlung von globaler Steuerhinterziehung ausnützen, um Immobilien zu kaufen, die sich Engländer oft nicht mehr leisten können. Außer sie gehören zur königlichen Familie und haben ihre Paläste ererbt. Zweitens, weil die EU allen Bürgern erlaubt, sich frei niederzulassen und zu arbeiten. Vertikal, horizontal und historisch gesehen ist London daher eine Einwandererstadt. Das war der Plan von Anfang an und es ist scheinheilig, so zu tun, als lebte Großbritannien nicht zu einem guten Teil von seinen Einwandern.
Farage ist mit seinen Ängsten vor der Entenglischung Britanniens nicht allein, seine UKIP hat bei den EU-Wahlen am 22. Mai gute Chancen, stärkste Partei zu werden. Als Gegenrezept hat er bloß altmodische und wenig effiziente Lösungen anzubieten: die Einwanderung erschweren und aus der EU austreten. Nach allen Prognosen verlören die Briten enorm viel Geld, tausende Jobs und den Zugang zum größten Markt der Nachbarschaft, deren Regeln sie heute mitbestimmen. Immigranten, vor allem jene aus der EU, zahlen mehr in die Steuerkasse ein als sie an Beihilfen bekommen. Doch rationale Argumente gehen völlig an den Farage-Fans vorbei. “Es ist verlorene Zeit, UKIP-Wählern mit Logik zu kommen”, meint UKIP-Experte Mathew Goodwin von Chatham House: “Ein guter Teil der Bevölkerung ist eben höchst unzufrieden mit der Einwanderungspolitik.”
Verändert es die Stadt zum Schlechten, wenn statt auf Englisch zum Bier auf Slowakisch gegrölt wird? Oder wenn die powerwalkenden Frauen Arabisch sprechen? Wenn die neue Sprache mit undemokratischen und sexistischen Traditionen ankommt, dann ist das ein Problem. Großbritannien ist allerdings nicht das einzige Einwandererland, das sich um die Integration seiner Immigranten kümmern muss. Viele Sprachen in einer Stadt sind an sich ein Zeichen von Vielfalt und Wachstum und nicht von Verfall.
Als wir auf der Bar-Mitsvah-Party ankamen, sprachen um uns herum alle plötzlich die allgemein gebräuchliche Landessprache. Bei den Festen der britischen Juden ist die lingua franca eindeutig Englisch. Wir fielen ein bisschen aus der Reihe, weil ich mit meinem Sohn Deutsch spreche. Bei der Schnitzeljagd durch den dunkelnden Park mussten wir im Kräutergarten Grünzeug erriechen und benennen: “Das ist doch nicht Rosmarin, das ist Lavendel!”, rief ich. Vor lauter Aufregung dachte keiner mehr über Nigel Farage und seine bedauerliche Sprachenphobie nach.
Ob der UKIP-Chef eigentlich glaubt, was er sagt? Dass es ihn unangenehm berührt, wenn er in London kein Englisch mehr hört? In meinen Ohren klingt es wie reiner populistischer Blödsinn. In Wharheit hat UKIP osteuropäsche Immigranten als Flugblattverteiler eingesetzt: http://www.huffingtonpost.co.uk/2014/05/07/ukip-eastern-european-leaflet-distribution-_n_5279567.html?utm_hp_ref=tw
Und Nigel Farage ist mit einer Deutschen verheiratet. Kirstin Mehr ist auf EU-Kosten bei ihm angestellt.