Der Hanser-Verlag wird den neuen Roman von Martin Amis nicht drucken. Dass die Deutschen seine Holocaust-Satire nicht schätzen, verstimmt den britischen Schriftstellerstar.
Hinter dem ergrauten Autor haben die Veranstalter von der “Financal Times” ein übergroßes Foto des Schriftstellers an die Wand projiziert. Martin Amis sieht darauf wesentlich jünger aus. Der 65jährige Brite verbringt den Abend gleichsam im Schatten eines jüngeren Selbst.
Einst war das enfant terrible unter den Schriftstellern Großbritanniens mit Büchern wie „Gierig“ oder „London Fields“ raketengleich in den literarischen Olymp aufgestiegen. In den Achtzigerjahren reüssierte Amis als meisterhafter Überzeichner und beißender Karikaturist gesellschaftlicher Zustände. Und worüber schreibt der Dichter rund dreißig Jahre später? Sein vierzehnter Roman, über den er an diesem Montagabend vor gut gefülltem Saal des “Kings Place” in London spricht, heißt „The Zone of Interest“ und ist eine lüsterne Liebesgeschichte aus Auschwitz.
Amis’ Auftritt ist ein Heimspiel. Im Publikum sitzen die Jünger des exaltierten Humors. Der Autor ist ihr Sprachrohr. Der Moderator ist ein britischer Jurist, der sich ebenfalls gern mit dem deutschen Faschismus beschäftigt. Professor Philippe Sands dreht gerade einen Film über Nazisöhne. Amis beschreibt im Lauf des geselligen Abends eine Sexszene zwischen Adolf Hitler und Eva Braun – wie er sie sich halt vorstellt: “Hitler sitzt, weiße Servietten in die Unterhose gestopft, in sicherer Entfernung von Eva Braun und kommt, die Phase der Versteifung überspringend, als sie kurz ihren Rock lüftet und ihre Beine zeigt.” Die Zuhörer amüsieren sich köstlich.
Und wer verdirbt den Spaß? Die Deutschen. Der Münchner Hanser Verlag hat Amis kürzlich mitgeteilt, dass der neue Roman nicht auf Deutsch publizieren werden soll. “The Zone of Interest” habe, so heißt es auch gegenüber profil, “inhaltlich nicht überzeugt”.
Als “Interessensgebiet” bezeichneten die Nazis das Gebiet um das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau, in dem sich unter anderen auch die Häuser der SS-Familien befanden. Martin Amis beschreibt im Roman die industrielle Vernichtung der Juden und das sexuelle Alltagsleben der Nazis aus verschiedenen Perspektiven: Paul Doll, der KZ-Kommandant bezeichnet die Opfer bloß als “Stücke”; SS-Schönling Golo Thomsen, Martin Bormanns Neffe, driftet in den Widerstand ab und beginnt zuvor noch ein Techtelmechtel mit Dolls Frau Hannah; Häftling Szmuel vom Sonderkommando darf schließlich sich selbst als den “traurigsten aller Menschen” beschreiben.
“Ich verbeuge mich vor den Deutschen”, erzählt Marin Amis auf der Londoner Bühne. “Sie haben sich mit ihrer Vergangenheit auseinandergesetzt. Anders als die Österreicher. Die waren immer antisemitischer.“ Der Austro-Analyse setzt der höfliche Moderator Sands eilig hinzu: „Ich hoffe, es sind keine Österreicher hier.“
Später am Abend taucht die Frage auf: „Mister Amis, haben die Deutschen einfach keinen Humor?“ Prompt antwortet der: „Das wird schon so sein.“ Mit den Fingerspitzen der linken Hand berührt er seinen Hinterkopf. Als wolle er testen, ob die Frisur noch sitzt. „Viele haben mich gewarnt, das Thema Holocaust satirisch anzugehen. Doch Fiktion ist Freiheit. Gibt es etwas, das die Literatur nicht beschreiben kann oder darf? Und wenn ja, wer bestimmt die Grenzen?“
Der deutsche Verlag aber hat nicht gesagt, man dürfe nicht über den Holocaust schreiben. Hanser findet nur: eben nicht so. Ein wiederkehrendes Ärgernis des englischen Originals sind auch die vielen falsch geschriebenen deutschen Wörter. Der Roman hat etwas von deutschen Übersetzungen italienischer Speisekarten in Touristenlokalen an der Adria.
Gegenüber Amis’ neuem Interessensgebiet offenbaren nicht nur die Deutschen vermeintliche Humorlosigkeit. Auch Gallimard in Paris hat die französische Übersetzung abgelehnt. „Ich hab schon einen neuen Verlag in Paris. In Deutschland wird sich wohl auch einer finden“, meint Amis. Man hört dem Erfolgsautor die Kränkung an.
Richtig euphorisch über das Auschwitz-Buch zeigt sich auch die britische Kritik nicht. Doch man bleibt dem Starautor gewogen. Der „Guardian“ hält “The Zone of Interest” für eine “meisterhafte schwarze Komödie”, die “Financial Times” nennt den Roman schlicht “besiegend”. Die Amerikanerin Lauren Young, die an der „London School of Economics“ Internationale Geschichte unterrichtet, hält den Roman für problematisch, hält aber die Diskussion über den deutschen Nationalsozialismus in Großbritannien für interessant: “Die Briten ringen offenbar selbst mit den Altlasten des Zweiten Weltkriegs.“ Dass auch hierzulande viele mit den Nazis offen sympathisiert hätten, wird bis heute nur am Rande diskutiert – und gerne auf Wallis Simpson, die US- Geliebte von Kurzeitkönig Edward VIII. und ihren fatalen Hang für Hitler geschoben.
Martin Amis ist ein Autor von klassischer Erziehung: Vater Kingsley Amis war ein beliebter, erfinderischer Autor. Sohn Martin studierte in Oxford und fand bald Anschluss an die wichtigsten intellektuellen Autoren seiner Generation. Gemeinsam mit dem inzwischen verstorbenen Christopher Hitchens und Salman Rushdie bestimmte Amis in den 1980er-Jahren die großen Londoner Debatten.
Inzwischen ist es stiller um ihn geworden. Er lebt mit seiner zweiten Frau Isabel Fonseca seit 2011 in New York. In seinem Werk landet Amis nicht zum ersten Mal bei der Monstrosität des Totalitären. Schon im Roman “Pfeil der Zeit” entwarf er 1991 die fiktive Autobiografie eines Nazi-Doktors im KZ chronologisch von hinten. 2002 publizierte er mit “Koba der Schreckliche, das Gelächter und die zwanzig Millionen” eine Studie über Stalins Schreckensherrschaft.
Am Ende von “The Zone of Interest” steht eine lange Literaturliste. Damit will Amis wohl allen zeigen, dass er nicht einfach unfundiert Holocaust-Satiren produziert. Im Buch wie auch auf der Londoner Bühne bekundet er mehrfach seinen Respekt für Paul Celan und Primo Levi. In “The Zone of Interest” sucht man deren literarische Feinheiten und historische Glaubwürdigkeit vergebens. Die Anhäufung von Klischees, Geschmacklosigkeiten und sinnfreiem Sprachmischmasch (“Biggish Titten”) erschöpft am Ende auch die willigste Leserschaft. Der Roman mag weder literarisch noch als aufklärerisches Werk beeindrucken. Amis scheitert am Anspruch, aus der exorbitanten Spannung zwischen der Monstrosität der Judenvernichtung und der Banalität sexgeiler SS-Männer eine Satire zu ziehen.
Da nützt es wenig, dass Amis als Rahmenhandlung eine zarte Liebesgeschichte zwischen der Frau des Kommandanten und dem Neffen von Martin Bormann erfindet. Vielleicht ist es für Amis immer noch “überraschend”, wie er auf der Bühne sitzend erzählt, “dass die SS-Leute ihre Frauen und Kinder mit nach Auschwitz brachten”. Für viele Deutsche und Österreicher ist dies keine Neuigkeit, sondern Teil der Familiengeschichte. Vielleicht macht das den kleinen, aber feinen Unterschied, weshalb im deutschprachigen Raum immer noch nicht leichten Herzens über den Holocaust gelacht wird.
An einer Stelle des Romans flirtet Lagerleiter Paul Doll mit einer Gefangenen, deutet auf die Häftlingsnummer an ihrem Unterarm und fragt: “Und das ist wohl deine Telefonnummer?” Für die Art von Altmännerwitz dürften hierzulande tatsächlich nicht wenige Leserinnen und Leser zu gewinnen sein.