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Forget Frieze

Kiefers Aschenblumen

Dieses Jahr war nicht die Frieze das eigentliche Kunstereignis des Londoner Herbstes. Wirklich beeindruckend sind all die Ausstellungen, die rund um den Regent's Park in den großen Museen und Galerien eröffnet wurden. Hier sind meine Top 5, die man in den nächsten Wochen nicht versäumen sollte:

1) Anselm Kiefers riesige Gemälde, Inszenierungen von Celan-Gedichten, in der Royal Academy of Arts sind Seelenlandschaften der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Vielleicht ist es meine Herkunft, es mag Briten anders gehen, doch die Aschenblumen in Schneelandschaften auf überdimensionierten Leinwänden in den eleganten großen Sälen der Akademie ließen mich - mitten im Rummel der Frieze - lange sprachlos verharren.

http://www.independent.co.uk/arts-entertainment/art/reviews/anselm-kiefer-royal-academy-preview-is-he-our-greatest-living-artist-9729789.html
https://www.royalacademy.org.uk/.../anselm-kiefer

2) Einhelliger Spitzenreiter aller Nationalitäten des Frieze-Mop sind Rembrandts späte Selbstporträts in „Rembrandt: The Late Works“ in der National Gallery. Der erste Raum der Ausstellung im Keller der National Gallery ist klein und düster - es ist aber unbedingt notwendig, der Versuchung zu widerstehen, gleich weiter in den nächsten Raum zu eilen. Egal, wie viele Menschen sich um die späten Betrachtungen seiner selbst drängen: Verweilen Sie. Rembrandt malte sich selbst in Stunden größter Verzweiflung. Alt, krank und bankrott. Den Blick aus seinen weisen Augen habe ich mitgenommen, hinaus in die schnelle, schillernde Stadt.

Simon Shama hat den alten Meister gebührend in der Weekend-FT gewürdigt:

http://www.ft.com/cms/s/2/a4230272-552e-11e4-b616-00144feab7de.html#slide0
http://www.nationalgallery.org.uk/whats-on/exhibitions/rembrandt-the-late-works

3) Ab zu den Jungen. Und zu den Frauen. Lindsay Seers Video in der Hayward Gallery ist Teil der soeben eröffneten Gruppenschau „Mirrorcity“, in denen auch anderer Wahl-Londoner wie Laure Prouvost, Susan Hiller oder Ursula Mayer vertreten sind. Seers Video aber ist der ultimative Höhepunkt dieser Sammlung digitaler Kunst. Es basiert auf ihrem Projekt „Nowhere less now“ für meine liebste Londoner Kunstorganisation „Artangel“ im Jahr 2012. Seers projiziert ihren Film auf einen riesigen Augapfel, der in konvexer und konkaver Form in einer Art Schiffsbau aufgestellt ist. Sie erzählt ihre Familiengeschichte von der tanzenden Leni Riefenstahl bis zu den Würmern, die alles zerfressen. Seltsamerweise will man keinen einzigen Moment dieser vielschichtigen Arbeit verpassen.

http://www.southbankcentre.co.uk/whatson/mirrorcity-23-london-artists-86590?dt=2014-10-20
http://www.artangel.org.uk/projects/2012/nowhere_less_now/about_the_project/nowhere_less_now

4) Eine kleine, feine Überraschung der Frieze-Ausstellungsextravaganza ist die Sammlung von Theo Danjuma in einem angemieteten Townhouse am Fitzroy-Square 33. Der Sohn eines nigerianischen Generals zeigt eine erlesene Auswahl zeitgenössischer Kunst. Der Titel der Ausstellung ist bezeichnend: “One Man’s Trash (Is Another Man’s Treasure)“. Gezeigt werden Künstler wie Danh Vō oder Gedi Sibony, deren Werke von weniger aufmerksamen Betrachtern für Ramsch gehalten werden könnten. Der Reichtum des 28jährigen Sammlers stammt aus den guten Kontakten seines Papas zu Exdiktator Sani Abacha. Insofern zeigt die Show nicht nur exquisiten Kunstgeschmack, sondern auch, wovon Londons Glamour-Szene gespeist wird.

http://news.artnet.com/art-world/mega-rich-nigerian-ex-generals-son-makes-art-world-splash-117847

5) Zum Schluss aber wieder zurück zu den Deutschen. Denn auffällig ist, das diese Londoner Saison drei große Ausstellungen deutscher Künstler der Nachkriegsgeneration bringt: Neben Kiefer sind das Gerhard Richter in der neuen Londoner Galerie von Marian Goodman am Golden Square. Und die große Schau des witzigen Sigmar Polke in der Tate Modern. Die Kiffervideos aus Afghanistan, Punkt-Gemälde wie das Polizeischwein und seine Auseinandersetzung mit dem deutschen Urgrundnahrungsmittel, der Wurst, sind einen Besuch der Tate Modern auf jeden Fall wert und überdecken den leisen Schmerz, dass die herrliche Malevich-Ausstellung am 26. Oktober abgehängt wird.

http://www.tate.org.uk/whats-on/tate-modern/exhibition/alibis-sigmar-polke-1963-2010

Minus 1) Zum Schluss noch eine Anti-Empfehlung: Viel Lärm um Nichts gab's um die Ausstellung „Germany - memories of a nation“ im Britischen Museum. Die Schau zeigt zwar schöne Details wie das Mauerfall-Video oder Nazi-Papiersoldaten zum Ausschneiden. Doch wird man das Gefühl nicht los, dass die Abgründe der deutschen Geschichte mit Freundschafts-Sand zugeschüttet wurden. Das ist irgendwie ganz nett. Es zeigt, dass Deutsche auf den britischen Inseln heute nicht mehr als Nazi-Bedrohung, sondern als führende Demokraten Kontinentaleuropas gesehen werden. Aber ohne Blitz fehlt den Mosaiksteinen dieses Deutschbildes irgendwie die interpretative Fassung. Interessanter als die Ausstellung ist die Radioserie von Museumsdirektor Neil MacGregor zum Thema Deutschland:

 

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© 2018 Tessa Szyszkowitz