Martin Kušej am neuen Arbeitsplatz
Der österreichische Regiestar Martin Kušej wirft im Londoner Covent Garden die Götter aus Mozarts Oper „Idomeneo“ hinaus.
Martin Kušej steht in der Herbstsonne vor dem Royal Opera House (ROH) in Covent Garden und freut sich über sein Londoner Debüt: „Ich werde mich nicht beklagen, es ist ein schönes, großes Haus!“ Der aus Kärnten stammende Regisseur nimmt in Kauf, dass er sich mit der Einladung nach London durch den dänischen ROH-Chef Kasper Holten auch die angelsächsischen Arbeitsbedingungen mit eingehandelt hat: Viel Spielraum gebe es bei den Proben nicht, „da ist alles knapp berechnet”.
Der Intendant des Münchner Residenztheaters, wo Mozarts Oper 1781 übrigens uraufgeführt wurde, ist ein unkomplizierter Gast: Kušej inszeniert die Mozart-Oper „Idomeneo“, ohne das Haus auf den Kopf zu stellen. Er rüttelt nur ein bisschen am Gerüst. Anders als Regiekollege Hans Neuenfels 2006 in Berlin. Der präsentierte in seiner Inszenierung an der Deutschen Oper die abgeschlagenen Köpfe von allerlei Propheten, darunter das Haupt Mohammeds. Neuenfels’ „Idomeneo“ wurde frühzeitig abgesetzt.
Seit ein paar Jahren erfreut sich diese Oper neuer Beliebtheit. Nach der Uraufführung verschwand das Vater-Sohn-Drama für etwa 100 Jahre von den Spielplänen. Nun aber hat Anfang Oktober Opern-Direktor Holten selbst „Idomeneo“ an der Staatsoper in Wien inszeniert. Jetzt ist Martin Kušej dran. Am 3. November ist in Covent Garden Premiere. Während der Probenarbeit sitzt der Regisseur in den roten Samtstühlen im Parkett und überlässt Dirigent Marc Minkowski den letzten musikalischen Schliff. Der Franzose stoppt Gaststars wie die Schwedin Malin Byström, die eine leidenschaftliche Elektra singt, mitten in der Arie und bittet sie, auf ihren Knien etwa 50 Zentimeter näher ans Orchester zu rutschen. Byström lässt spüren, dass sie das für absolut unnötig hält. Kušej dagegen reagiert auf Minkowskis Einfälle stets kulant: Ja ja, das gehe schon, ruft er, als der Dirigent sich hilfesuchend nach ihm umdreht.
Einmal wehrt sich Kušej aber doch, als Minkowski weniger geschwungene rote Fahnen auf der Bühne haben möchte, weil dies die Musik störe. Kušej will auf die Demonstration des Volkstriumphs nicht verzichten: „Es entscheidet am Ende nicht der Wille Gottes, ob Idomeneo seinen Sohn Idamante verschont.” Der Regisseur lässt sich auf die biblische Frage, ob der Vater den Sohn opfern soll, um den Göttern zu dienen, gar nicht erst ein, er streicht die Götter lieber ganz. Nicht mit Poseidon verhandelt Idomeneo daher im ersten Akt, sondern mit dem Oberpriester. Der warnt ihn vor dem eigenen Sohn, der in der kriegsbedingten Abwesenheit des Vaters das Volk zu revolutionärem Eifer angestachelt habe. So bestimmt bei diesem Londoner „Idomeneo“ nicht der Zorn Gottes über Leben und Tod: Kušej inszeniert einen politisch aufgeladenen Generationenkonflikt, macht das Volk zum Souverän über das Schicksal. Die Kreter wählen Idamante zu ihrem neuen Herrscher und schreiten über den alten Tyrannen Idomeneo hinweg.
Am Ende steht das Brautpaar – der neue König mit seiner Ilia – sprachlos auf einem Haufen aus blutigen Fetzen, den Überresten des Bürgerkriegs. Der gespenstische Hügel verschwindet unter dem gigantischen schneeweißen Schleier der Braut. Langsam sickert Blut durch. So leicht lassen sich die Wunden der Vergangenheit eben nicht zudecken.