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“Die würden mich gerne umbringen, wenn sie könnten”

©Alex Schlacher

 © Alex Schlacher

Bill Browder war der Erfinder der Sanktionen gegen Russland. In seiner Autobiografie beschreibt er sich als “Putins Staatsfeind Nr. 1”. Ein Besuch bei einem Jäger und Gejagten.

Gewohnheiten sind für Staatsfeinde gefährlich. Deshalb geht Bill Browder seit Jahren immer nur einmal in dasselbe Lokal essen. In sein Büro hinter dem Piccadilly Circus in London wird man nicht ohne Absprache und Sicherheitscheck vorgelassen. “Ich kann Ihnen nicht genau erläutern, welche Vorkehrungen ich sonst noch treffe, um mein Überleben zu sichern”, sagt der 50-Jährige, aus Chicago stammende Putin-Kritiker beim profil-Gespräch mit einem seltsamen Lächeln, aus dem Resignation aber auch das spitzbübische Vergnügen eines Abenteurers sprechen. “Die würden mich gerne umbringen, wenn sie könnten”, schiebt er nach.
In seiner am 23. Februar auf Deutsch erscheinenden Autobiographie “Red Notice – wie ich Putins Staatsfeind Nr. 1 wurde” (Hanser-Verlag) erzählt der amerikanisch-britische Geschäftsmann, wie es dazu kam, dass er vom größten Auslandsinvestor in Russland zum schärfsten Gegner des russischen Präsidenten mutierte. “Red Notice” steht zwei Wochen nach Erscheinen der amerikanischen Ausgabe bereits auf dem 11. Platz der Bestsellerliste der “New York Times”.

Browder beschreibt die korrupten Machenschaften der Geschäftselite und ihrer politischen Handlanger in Russland nach dem Ende der Sowjetunion. Der Geschäftsmann weiß, wovon er spricht. Immerhin verbrachte er seine Zeit bis 2005 damit, Anteile an russischen Betrieben billig zu kaufen und mit hohen Gewinnen zu verkaufen. Sein Großvater Earl Browder war in den 30er Jahren der Chef der amerikanischen Kommunistischen Partei gewesen. Um seine linke Familie zu ärgern, hatte Enkel Bill beschlossen, der größte Kapitalist in Russland zu werden. Das gelang. Sein Investment-Fonds Hermitage Capital Management kontrollierte im Jahr 2000 eine Milliarde Dollar an Vermögenswerten, 2005 waren es 4,5 Milliarden.
Doch dann kam der tiefe Fall mit allen Ingredienzien einer Shakespeare’schen Tragödie. Browder geriet in Konflikt mit Russlands Präsident Wladimir Putin. Der amerikanische Hyperkapitalist wollte nur in russische Firmen investieren, die sich um Transparenz bemühten. “Die Angestellten sollte keine Schmiergelder mehr annehmen oder an Beamte zahlen. Und zwar deshalb, weil die Korruption die Wirtschaft kaputt macht”, erklärt Browder. Unter Putin aber war Freunderlwirtschaft Staatsreligion geworden.

2005 wurde Browders Visum plötzlich nicht mehr erneuert. 2008 deckte ein für Browder arbeitender Anwalt, Sergei Magnitzky, einen Steuerbetrug in der Höhe von 230 Millionen Dollar auf. Statt die korrupten Beamten zu verhaften, wurde Magnitzky festgenommen. Der 39-Jährige starb ein Jahr später im Gefängnis.
Bill Browder nahm den Tod seines Advokaten persönlich. “Sergei war der mutigste Mensch, den ich je kennengelernt habe”, sagt der quirlige Mann und wird plötzlich still. Diese Worte hat er auch als Widmung an den Anfang von “Red Notice“ gestellt. Der zweite Teil des Buches ist ein beklemmender Bericht über Willkür und Rechtlosigkeit im putinistischen Russland.

Da es ausgeschlossen war, Magnitzkys Mörder angesichts der korrupten Justiz in Moskau vor Gericht zu bekommen, reiste Browder jahrelang unermüdlich durch die westlichen Hauptstädte, um Gerechtigkeit für den getöteten Anwalt zu erkämpfen. Der US-Kongress erstellte 2012 die sogenannte “Magnitzky-Liste”, auf der die Namen von 18 Russen standen, die direkt für den Tod des Anwalts verantwortlich waren. Sie kamen auf eine Watchlist, ihre Vermögen wurden eingefroren, und sie konnten nicht mehr in die USA einreisen.

Die Europäer aber zögerten. “Die europäischen Parlamente wollten in einigen Fällen sehr wohl aktiv werden und Sanktionen gegen Magnitzkys Mörder verhängen”, meint Browder. “Die europäischen Staatskanzleien aber waren nicht sehr von der Idee angetan, die Geschäftsinteressen ihrer Länder wegen eines toten Anwalts aufs Spiel zu setzen.”
Die Wiener Regierung lud Putin sogar noch im Juni 2014 zu einem Staatsbesuch ein. Browder kann ein Lächeln nicht unterdrücken: “Österreich scheint Putin wohlwollender gegenüber zu stehen als andere EU-Mitglieder. Gut, dass Österreich nicht das mächtigste Land Europas ist. Seit die MH-17 (das Passagierflugzeug der Malyasia Airlines, das am 17. Juli 2014 mutmaßlich von einer Flugabwehrrakete zum Absturz gebracht wurde, Anm.) von den von Russland unterstützten Rebellen aus dem Himmel über der Ukraine geschossen wurde, sind die Stimmen der Putin-Freunde praktisch verstummt.”

Im März 2014 erließ das EU-Parlament eine Resolution. Die europäischen Regierungen wurden darin aufgefordert, die Magnitzky-Liste ebenfalls zu beschließen. Geschehen ist dies noch nicht. Doch Europa hat im Zuge der Ukraine-Krise weit schwerwiegendere Sanktionen gegen Russland verhängt.

Die Magnitzky-Kampagne trägt inzwischen neue Früchte, freut sich Initiator Browder: “Der US-Kongress hat Anfang Februar 2015 den ‘Global Magnitzky Act’ erlassen. Das heißt, dass die Kriterien, die für die Mörder von Sergej Magnitzky gelten, jetzt auf Verbrecher auf der ganzen Welt angewandt werden können. Diese Art von personengebundenen Sanktionen halte ich für besser, als wenn der Westen ganz Russland mit Sanktionen straft. Die oberste Oligarchie unter der Führung von Wladimir Putin hat Russland praktisch besetzt und macht das Leben der Bevölkerung unmöglich.”

Sein Widersacher Wladimir Putin habe seinen Landsleuten schon rund 200 Milliarden Dollar geklaut, hat Bill Browder unlängst im Interview mit “CNN” behauptet. Ist dieser Vorwurf nicht ungeheuerlich? Browder sagt, er kenne das System Putin in- und auswendig: “Putin hält das Geld, das er stiehlt, nicht in seinem eigenen Namen. Er weiß, dass ihn das auf Dauer kompromittieren würde. Er verwendet seine Oligarchen als Treuhänder. Ich nehme an, dass etwa die Hälfte des Reichtums der russischen Oligarchen ihm gehört.” Offiziell verdient Putin ein eher schmales Präsidentengehalt von etwa 100.000 Euro.

Manche mögen Browder für lebensmüde halten – immer wieder wurden Kritiker des russischen Präsidenten umgebracht. Der Erfinder der Sanktionen gegen Russland aber sitzt recht gelassen in seinem Londoner Büro. “Der Westen hat Putin klar gemacht, dass er nicht ungestraft die Ukraine überfallen kann. Die Sanktionen wirken. Die Kapitalflucht aus Russland ist größer denn je. Der Rubel saust in den Abgrund. Das bringt Putin auf Dauer unter Druck”, sagt Browder.

Umgeben von Zeitungsartikeln über den Fall Magnitzky, die gerahmt an den Wänden hängen, wirkt Russlands Staatsfeind nicht wie ein Gejagter, sondern wie ein Jäger, der schon lange auf der Lauer liegt.

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© 2018 Tessa Szyszkowitz