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Sexy Urgestein

In der Schlacht um den Vorsitz der Labour-Party führt ein 66jähriger Linker weit vor den jungen Zentristen.

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Jeremy Corbyn trug schon einen Vollbart, bevor dies modern wurde. Fünf Mal gewann er bereits den Preis für den besten Parlaments-Bart des Jahres. Der 66jährige Labour-Politiker sitzt für den Londoner Bezirk Islington North seit 1983 im britischen Unterhaus.

Plötzlich ist aber nicht nur seine Gesichtsbewachsung der letzte Schrei in der britischen Metropole. Der gesamte Mann ist derzeit en vogue. Zumindest bei jenen, die bis zum 12. September einen neuen Vorsitzenden der britischen Labour-Partei wählen sollen. Nach jüngsten Umfragen liegt das politische Urgestein der Linksaußen-Szene mit 43 Prozent weit vor allen zentristischen Kandidaten in der Wählergunst.

Darüber ist der Friedensaktivist selbst am meisten erstaunt. Auf der Mütter-Plattform Mumsnet wurde der Grauhaarige als „sexy“ bezeichnet, was ihm nach eigener Aussage „ein verschämtes Kichern“ entlockte. Politisch scheint sein Gipfelsturm in den Umfragen noch unverständlicher. Hatte doch der letzte Labour-Chef Ed Miliband mit einem linken, von den Gewerkschaften unterstützten Programm bei den Unterhauswahlen am 7. Mai eine der größten Wahlschlappen der Geschichte erlitten.

Doch gerade bei den jungen Wählern punktet Corbyn mit seinem Ruf nach drastischen Maßnahmen für größere soziale Gerechtigkeit: Renationalisierung von Post und Bahn, höhere Steuern für Reiche, gratis Kinderbetreuung und ein Schattenkabinett mit 50 Prozent Frauen. Dass der Mann mit dem sozialen Gewissen so populär ist, kann als Folge des Tory-Triumphs gesehen werden. Den jetzt allein regierenden Konservativen wollen viele offenbar einen harten Oppositionsführer entgegensetzen. Da jeder wählen darf, der sich mit drei Pfund Sterling registriert hat, besteht allerdings auch die Gefahr, dass Corbyn nicht von Fans, sondern von Störenfrieden an der Spitze der Labour Party installiert wird.

Der stoppelige Aktivist wirkt im Vergleich mit der glatten jungen Konkurrentin Liz Kendall wie ein exzentrischer Retro-Ideologe. „Wir sollten Immigranten in unser Land lassen, die verzweifelt nach einem sicheren Ort suchen, an dem sie leben können“, sagt er etwa voller Empathie. Die Realität sieht anders aus. Vorigen Dienstag stürmten illegale Migranten den Eurotunnel auf der französischen Seite. Die britische Tory-Innenministerin Theresa May versprach daraufhin zehn Millionen Euro extra. Das Geld soll nicht den Immigranten helfen, sondern die Kontrollen am Eurotunnel in der französischen Stadt Calais verstärken.

Seit er seine eigene Kandidatur ernst nehmen muss, bezieht Jeremy Corbyn aber durchaus auch vernünftige Positionen. Zum Thema Brexit und EU-Referendum stellte er vorige Woche klar: „Wir müssen in der EU bleiben, um für ein besseres Europa zu kämpfen.“

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© 2018 Tessa Szyszkowitz