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Tod vom Himmel

Im August tötete die Regierung Camerons erstmals per Drohnenangriff einen britischen IS-Kämpfer in Syrien: Reyaad Khan in Cardiff. Ein Besuch in seiner alten Heimat.

Cardiff interview

Fotos: Alex Schlacher

Es war ein düsterer Novembernachmittag, als Khalid Rahman dämmerte, dass sein Kumpel verloren war. Khalid, ein Informatik-Student aus der walisischen Hauptstadt Cardiff zog mit Freunden durch Butetown, eines der ärmeren Viertel der Stadt, sie unterhielten sich und spielten mit ihren Mobiltelefonen, als irgendwann der Satz fiel: “Hast du gehört, Reyaad ist nach Syrien abgehauen.” Khalid erinnert sich, wie sich ihm bei der Nachricht die Haare im Nacken aufstellten, und er mit einem Mal auf sein Handy-Spiel vergaß.

Zwei Jahre später ist Khalids Freund tot: Reyaad Khan, 21 Jahre alt, der in Cardiff aufgewachsen war, wurde am 21. August 2015 von einer Drohne getötet. Getroffen wurde er in der selbsternannten Hauptstadt des “Islamischen Staates”, im syrischen Raqqa. Abgefeuert wurde sie von der britischen Royal Air Force, von einem Piloten, der im 5000 Kilometer entfernten englischen Lincolnshire auf einem Bildschirm verfolgte hatte, wie Reyaad Khan mit zwei weiteren ISIS-Kämpfern eine Straße entlang gefahren war, ehe er abdrückte.

Derzeit debattiert die britische Regierung gerade, wie sie Frankreich nach den jüngsten Anschlägen in Paris im Kampf gegen den IS militärisch zur Seite stehen soll. London fliegt bereits als Teil der von den USA angeführten militärischen Koalition Angriffe gegen IS-Stellungen, allerdings nur im Irak und nicht in Syrien, weil für ein entsprechendes Mandat bisher die notwendige Mehrheit im Unterhaus fehlte. In Syrien setzt die britische Regierung lediglich Drohnen für Aufklärungsflüge ein. Während die Amerikaner bereits seit zehn Jahren auf Luftangriffe durch unbemannte Flugkörper setzen, brachte die britische Royal Air Force Drohnen-Raketen bisher nur in Afghanistan zum Einsatz, und auch das nur in Fällen, in denen sich britische oder NATO-Truppen am Boden in Gefahr befanden.

Bis der britische Premierminister David Cameron im vergangenen September bestätigte, am 21. August die Tötung eines britischen IS-Kämpfers in Syrien genehmigt zu haben – die Rede war von Reyaad Khan.

Als „Selbstverteidigung“ bezeichnete Cameron das Vorgehen anschließend vor dem britischen Unterhaus. „Wir haben gehandelt, weil es keine Alternative gab. Wir haben in der Region keine Regierung, mit der wir arbeiten können und kein Militär am Boden, um jemanden zu verhaften.“ Reyaad Khan habe Anschläge in Großbritannien geplant, Ziel des Anschlags soll die Queen gewesen sein. Seit Jahren schon warnen Geheimdienste vor Attentaten durch sogenannte Syrien-Rückkehrer.

Etwa 700 Briten haben sich dem selbsternannten Kalifat angeschlossen. Einer der berüchtigtsten Kämpfer stammte aus Westlondon: „Jihadi John“, mit echtem Namen Mohammed Emwazi, gelangte zu Berühmtheit, weil er zahlreiche Geiseln des IS vor laufender Kamera ermordet hatte. Er wurde inzwischen laut Pentagon “mit hoher Wahrscheinlichkeit” durch eine US-Drohne ausgeschaltet.

Auf der Abschussliste der westlichen Mächte stand neben Jihadi John auch Rayeed Khan ganz oben. Khan hatte in einem im Juni 2014 ins Netz gestellten Video mit dem Titel „Es gibt kein Leben ohne Dschihad” mit einem Maschinengewehr in der Hand Gleichgesinnte dazu aufgerufen, ihm in den IS zu folgen: „Was hält euch vom Märtyrertod ab? Blickt euch um in eurem Komfort, wollt ihr wirklich so sterben?”

Daheim in Butetown schüttelt sein Freund Khalid bekümmert den Kopf. „Früher haben wir zusammen Fußball gespielt. Reyaad war sehr religiös. Er hat uns manchmal mitten im Spiel aufgerufen, die Hände waschen zu gehen und zu beten.” Das alleine aber, sagt er, war im Elendsviertel, in dem die Jungs aufgewachsen sind, nichts Besonderes. Hier leben viele Familien aus Bangladesch oder dem Jemen, strenggläubige Moslems, die keinen Alkohol trinken, kein Schweinefleisch anrühren, fasten und fünf Mal pro Tag beten.

Khalid trägt einen kurzen Mantel, er trägt nur einen leichten Bart, er hat an der Universität Cardiff Informatik inskribiert, weil er hofft, irgendwann aus Butetown herauszukommen. Er sagt, seine Studienkollegen würden sich oft wundern, wenn er sagt, dass er Muslim sei. Weil man es ihm nicht ansieht, dass er fünf Mal am Tag betet. “Deswegen muss man aber noch lange nicht Extremist werden.”

Cardiff, die Hauptstadt von Wales, zählt 324.000 Einwohner, an die 90 Prozent davon sind Weiße. In Butetown hingegen gehört ein Drittel der Menschen einer der zahlreichen Minderheiten an. Reyaad galt hier einmal als hoffnungsvoller Jugendaktivist. Es gibt ein Foto von ihm aus dem Jahr 2009, auf dem er neben dem damaligen Labour-Erziehungsminister Ed Balls zu sehen ist. Er posiert darauf wie der perfekte Vorzeigejunge für die gelungene Integration britischer Muslime in Cardiff. Aus der Zeit stammen Videos, in denen Reyaad, damals 15, betont, wie wichtig es ist, sich in der Gemeinde zu engagieren.

Cardiff beherbergt eine alte muslimische Gemeinde, die im 19. Jahrhundert durch jemenitische Matrosen entstanden ist. Die Al-Manar-Moschee wurde 1860 als erste Moschee des Landes gegründet. Heute gilt sie als eines der radikalsten islamischen Zentren des Vereinten Königreichs. Bis zu seiner Abreise nach Syrien hat Rayeed Khan dort gebetet.

Abdo Zane will Einfluss darauf nehmen, dass die jungen Männer in Cardiff sich für eine Ausbildung entscheiden anstatt für den bewaffneten Kampf in Syrien. Der lebhafte Imam des moderaten Südwalisischen Islamischen Zentrums in Cardiff kommt mit seinen kleinen Kindern zum Interview mit profil, weil er keinen Babysitter gefunden hat. Sohn und Tochter sitzen mucksmäuschenstill beim Interview, während er erzählt. Etwa von Nasser Mukhtana, der ebenfalls in dem berüchtigten Video neben Reyaad Khan zu sehen war. “Nasser habe ich etwa ein Jahr vor seiner Abreise zum letzten Mal gesehen”, sagt Scheich Zane. “Er schaute einfach militant aus, was soll ich sagen, es war sonnenklar, was da passierte: Er trug Militärhosen, der Bart wurde länger. Nasser sah aus wie der klassische IS-Kämpfer in seiner Höhle.” Irgendwann sei der Zeitpunkt gekommen, an dem niemand mehr zu ihm vorgedrungen sei. “Da hat der Vater versagt, es ist einfach die Verantwortung von Eltern, ihre Kinder auf dem rechten Weg zu halten.”

Nassers Vater möchte dazu nichts sagen. “Verzeihen Sie, aber ich kann nicht darüber sprechen”, entschuldigt er sich, nachdem er für einen kurzen Moment die Tür seine Wohnungstür geöffnet hat. Er steht orientierungslos, ja deplaziert im Eingang seines ärmlichen Reihenhauses in Butetown, im beigen Dischdascha, dem traditionellen bodenlangen Gewand, dazu eine rotweiße Kaffije auf dem Kopf und keine Schuhe.

Auch sein zweiter Sohn lebt heute in Syrien. Nasser Mukhtana hat den jüngeren Bruder Aseel überredet, ihm aus Butetown nach Raqqa zu folgen. “Nasser hat Aseel all diese Extremisten-Videos gezeigt, er erzählte ihm, was er in den radikalen Moscheen gehört hatte.”

“Ich konnte sehen, wie Aseel sich verändert hat”, erzählt Mohamed Ahmed, einer der gelehrtesten Schüler von Scheich Zane. Mohamed und Aseel waren enge Freunde. Also suchte Mohamed Rat bei Scheich Abdo Zane und bat ihn um Argumente gegen die Aufrufe zum Dschihad und all den Fanatismus, den Aseel und Nasser angenommen hatten: “Es ist schwer, tatenlos zuzusehen, wenn unsere Schwestern in Syrien vergewaltigt werden”, sagt der hochgewachsene junge Mann, ein britischer Muslim der dritten Generation, dessen Familie aus dem Jemen stammt. “Vielen jungen Männern hier kocht das Blut, sie wollen kämpfen.”

Auch dutzende junge Frauen sind aus Großbritannien als Jihadi-Bräute nach Syrien gegangen. Seit der heilige Krieg unter jungen Moslems in Europa explosive Mode geworden ist, hat die Regierung alle möglichen Maßnahmen ergriffen. Eltern können die Pässe ihrer unter 16-jährigen Kinder für ungültig erklären lassen, um deren Ausreise zu verhindern. Die Behörden dürfen Verdächtigen verbieten, das Land zu verlassen. In der im Moment zur Debatte stehenden “Snooper Charta”, der Schnüffler-Charta, sollen Browser-Informationen zwölf Monate lang aufbewahrt werden. In Großbritannien ist die Toleranz für Überwachung generell größer als am europäischen Kontinent.

Inzwischen hat unter den britischen Dschihadisten allerdings eine gewisse Desillusionierung eingesetzt. Von den 700 britischen Gotteskriegern kamen 46 im Kampf ums Leben, über 300 sind inzwischen zurückgekehrt.

Anfang Dezember will David Cameron ein weiteres Mal im Parlament um die Zustimmung für die Ausweitung der Luftschläge auf Syrien werben. Die konservative Regierung hofft, zumindest 15 rebellische Abgeordnete aus der oppositionellen Labour-Party für eine Militärintervention begeistern zu können. Die Chancen für das Vorhaben sind seit den Anschlägen von Paris gestiegen.

An Camerons Drohnen-Einsätzen gab es hingegen bereits zuvor wenig Kritik. Die brutalen Hinrichtungsvideos des IS haben die britische Öffentlichkeit entsetzt. “Ich habe kein Problem, Menschen per Drohne auszuschalten, wenn sie meine Wählergemeinde ermorden wollen”, sagt etwa der konservative Abgeordnete Chris Heaton-Harris.

Auch die moderaten Moslems von Butetown unterstützen eine militärische Intervention. Ebenso wie ferngesteuerte Raketen, die von England aus kommen. “Wer sich mit dem Feind einlässt, der hat sein Schicksal für sich entschieden”, sagt Scheich Zane. Sein Schüler Mohamed nickt zustimmend: “Ich habe so um meinen Freund Aseel gekämpft, solange er hier war”, sagt er traurig. “Doch wenn es hunderte Leben rettet, dann ist es richtig, einen einzelnen zu eliminieren.”

Sheikh Zane

“Eine Bombe kennt keinen Unterschied zwischen Muslim und Christ”

Scheich Zane Abdo vom Islamischen Zentrum in Cardiff über die doppelte Pein britischer Muslime.

Zane Abdo, 37, ist Imam des Südwalisischen Islamischen Zentrums in Butetown, einem Stadtteil von Cardiff. Scheich Zane wurde in Liverpool geboren, seine Familie stammt aus dem Jemen. Der englische Muslim kämpft in seinen Freitagsreden und Internetvideos für eine moderate Interpretation des Islam.

Profil: Soll Großbritannien gemeinsam mit Frankreich und den USA mit Bombenangriffen in Syrien gegen den IS eingreifen?

Scheich Zane: ISIS wird nicht verschwinden, wenn wir uns nicht darum kümmern. Bomben sind natürlich nicht die einzige Methode. Auch Bodentruppen sind eine Option, aber davor müssen wir alles andere probieren.

Profil: Wird dann nicht auch Großbritannien Ziel von Terroranschlägen?

Scheich Zane: Dieses Land ist sowieso ein Ziel. Leider kennen die Briten Anschläge terroristischer Natur schon lange. Jahrzehntelang terrorisierten uns Anschläge der Irish Republican Army. Dann kam 7/7 (Vier islamistische Terroristen brachten am 7. Juli 2005 Bomben im Morgenverkehr in London zur Explosion, 52 Menschen starben, Anmerkung). Der Premierminister hat soeben verkündet, dass die Geheimdienste sieben Anschläge in den vergangenen Monaten verhindert haben. Wir schlittern also ständig knapp an der Katastrophe vorbei.

Profil: Fürchten Sie, dass Sie und die muslimische Gemeinschaft hier in Großbritannien unter Generalverdacht stehen und immer starker überwacht werden?

Scheich: Mehr Polizei ist immer eine gute Sache. Bei uns war schon die Polizei und hat um jede Information gebeten, die ich geben kann. Dafür beschützen sie uns. Ich lasse mich lieber überwachen als töten.

Profil: Wie reagiert Ihre Gemeinde auf die Pariser Anschläge?

Scheich: Alle sind entsetzt. Und traurig. Wir Muslime in Europa leiden doppelt. Jeden Tag müssen wir zusehen, wie sie unsere Brüder und Schwestern in Syrien niedermetzeln. Und jetzt werden wir selbst auch in Europa angegriffen. Eine Bombe kennt keinen Unterscheid zwischen Muslim und Christ.

Profil: Nehmen die anti-muslimischen Ausschreitungen hier in Cardiff zu?

Scheich: Der Islam ist ein Teil der britischen Kulturlandschaft. Hier in Großbritannien fühlen wir uns akzeptierter als die Muslime in Frankreich. Die Gesellschaft ist toleranter, wir können unseren Glauben offen praktizieren. Ich glaube ISIS schlägt auch deshalb in Frankreich zu, um die extreme Rechte gegen den Islam in Frankreich zu mobilisieren. Sie benützen das Blut unschuldiger Menschen, um ihre politische Agenda zu befördern: Moslems sollen ausgegrenzt werden. Je mehr dies geschieht, umso leichter ist es, diese jungen Männer zu radikalisieren und in die Arme von ISIS zu treiben. Es ist ein Teufelskreis.

Profil: Was halten Sie davon, dass die britische Luftwaffe Drohnen einsetzt, um britische Islamisten wie Reyaad Khan zu töten?

Scheich: Ich war schockiert. Natürlich ist es ungemütlich, dass ein junger Mann, der von hier stammt und hier aufgewachsen ist, so getötet wird. Doch er hat diese Entscheidung für sich getroffen. Er ging nach Syrien, um zu kämpfen. Premierminister David Cameron hat gesagt, dass Reyaad Khan eine Gefahr für die nationale Sicherheit war. Wenn du mit dem falschen Team spielst, dann must du auch mit den Konsequenzen rechnen.

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© 2018 Tessa Szyszkowitz