Angela Merkel wirkte bei der Syria-Geberkonferenz in London wie befreit. Von der internationalen Gemeinschaft wird die deutsche Kanzlerin für ihren vielseitigen Einsatz geschätzt.
für Cicero online
Es war ein guter Tag für die Mutter aller Flüchtlinge. Der Kanzlerinnenblazer im hoffnungsfrohem Himbeerton vertrug sich gut mit Angela Merkels aufgeräumter Stimmung: "Es ist ein wichtiges Signal, dass wir heute sechs Milliarden Dollar (5,3 Milliarden Euro) gesammelt haben, elf Milliarden (9.8 Milliarden Euro) insgesamt für die nächsten Jahre”, sagte sie am Ende der Syrien-Geberkonferenz am Donnerstag in London. Den Flüchtlingen aus Syrien, "die so schrecklich leiden" müssten, könne damit in der Region selbst geholfen werden.
Die Botschaft war klar. Die internationale Gemeinschaft hat erkannt, dass die Nachbarländer Syriens viel mehr Unterstützung brauchen, will man den Strom der Flüchtlinge Richtung Europa eindämmen. Nach fünf Jahren Krieg ist die Hälfte der syrischen Bevölkerung von 21 Millionen auf der Flucht. Viereinhalb Millionen Syrer sind außerhalb der Grenzen geflüchtet. Die “Supporting-Syria”-Konferenz setzte sich speziell dafür ein, Jobs und Schulen für die Flüchtlinge zu schaffen.
Angela Merkel wirkte auf der Bühne neben den anderen Organisatoren aus Europa und dem Nahen Osten geradezu befreit. Im Ausland wird ihr jener Respekt entgegengebracht, der ihrer Bedeutung in der europäischen Politik entspricht.
In London wurde das diesmal aus verschiedenen Gründen besonders deutlich. Der Parcours der Geldgeber im Plenum der Konferenz brachte unterschiedliche Talente zum Vorschein. Der französische Aussenminister Laurent Fabius etwa versprach der Flüchtlingshilfe eine Milliarde Euro, machte sich aber wenig Mühe, seinen Zorn über die russische Führung zu verbergen: "Wir können keine friedliche Lösung aushandeln, wenn gleichzeitig Aleppo bombardiert wird." Die Friedensgespräche in Genf zwischen den Kriegsparteien und ihren Alliierten waren am Vorabend geplatzt, weil die russische Luftwaffe Aleppo im Visier hat. Die syrische Stadt war bisher von Rebellen kontrolliert gewesen - nicht nur von der islamistischen Al-Nusra-Gruppe, sondern auch von demokratischen Rebellen, mit denen die westlichen Mächte zusammenarbeiten wollen.
Angela Merkel aber ließ sich im Unterschied zu Fabius ihren Ärger über den russischen Alleingang nicht anmerken. Schließlich wird am Ende nicht der französische Außenminister versuchen müssen, den russischen Präsidenten Wladimir Putin zur Vernunft zu bringen, sondern sie selbst. Die deutsche Kanzlerin kann noch am ehesten zum russischen Autokraten durchdringen.
Da Deutschland der größte europäische Mitgliedsstaat ist, schien es Frau Merkel außerdem selbstverständlich, die größte Geberin auf dem Supporting-Syria-Gipfels zu spielen. Die kleinen Staaten bemühten sich dagegen redlich, ihren Beitrag ins rechte Licht zu rücken. Dänemark etwa versprach stolze 100 Millionen Euro, was für ein Land mit knapp sechs Millionen Einwohnern viel ist. Einen deutschen Teilnehmer veranlasste dies allerdings auch zu dem Kommentar: "Zweigen die das von den Geldern ab, die die dänische Regierung den Flüchtlingen abnimmt?"
Den Vogel schoss der österreichische Regierungschef ab. Werner Faymann verkündete, dass Österreich in den nächsten Jahren ganze 60 Millionen Euro spendieren würde. Darüber hinaus drückte er auch noch die Hoffnung aus, dass diese Summe "wohl investiert" wäre, da sie Flüchtlinge davon abhalten könnte, "den gefährlichen Weg nach Europa anzutreten". Das klang in jeder Hinsicht klein gedacht.
Britenpremier David Cameron dagegen griff tief in die Tasche und versprach 1,5 Milliarden Euro bis 2020 extra. Diese Großzügigkeit hängt auch damit zusammen, dass Großbritannien bis 2020 nur 20.000 syrische Flüchtlinge ins Land lassen will. Um jedes zusätzliche unbegleitete Kind wird im Vereinigten Königreich zwischen Regierung und Hilfsorganisationen wochenlang gerungen.
Angela Merkel sah dagegen auf der Londoner Bühne gut aus. Dank der Kanzlerin hat Deutschland die meisten Flüchtlinge in Europa aufgenommen. Und ohne die deutsche Spritze von 2,3 Milliarden Euro für die nächsten drei Jahre könnte die Londoner Konferenz kaum als Beginn eines Marshallplans für die syrischen Kriegsflüchtlinge gefeiert werden. Als knausrige Nationalistin wird Frau Merkel nicht in die Geschichte eingehen.
Die Anstrengung der letzten Monate sind ihr anzusehen. Dunkle Ringe sitzen unter ihren Augen und tiefe Furchen um den Mund. Doch die Bundeskanzlerin war eindeutig das ruhende Zentrum der Kongresses. Neben dem jugendlich rosigen 49jährigen David Cameron, der als Gastgeber unruhig auf seinem Stuhl zappelte, strahlte die 61jährige Merkel gelassene Autorität aus.
Am Rande der Syrienkonferenz ging es zwischen den beiden Regierungchefs auch um das britische Thema Nummer eins: den Brexit und wie es ihn zu verhindern gilt. Der Brite hat, um die EU-Feinde in seinem Land und in der eigenen konservativen Tory-Partei zu besänftigen, dem Volk ein Referendum über einen möglichen Austritt aus der EU versprochen. Vor der Abstimmung, die Cameron gerne noch vor den Sommerferien am 23. Juni abhalten möchte, hat er von Brüssel die Zustimmung zu einigen Reformvorschlägen verlangt, die im Interesse Londons wären.
Ursprünglich hatte Cameron eine Vertragsänderung verlangt und auch eine Beschränkung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Ein Anruf bei Angela Merkel in Berlin reichte, dann war das Thema erledigt. Die deutsche Kanzlerin ist Camerons Korrektiv. Gleichzeitig ist seine beste Verbündete, die das Vereinigte Königreich nicht als EU-Mitglied verlieren will. Schließlich hat die konservative britische Regierung hinsichtlich Budgetdisziplin ähnliche politische Vorstellungen. Und Großbritannien ist jene militärische Macht, die Deutschland aus historischen Gründen nicht mehr sein will. Die EU braucht aber eine paar Kriegsnationen, die ihrer Diplomatie Nachdruck verleihen können. Ohne das Vereinigte Königreich bleibe da nur Frankreich.
Seit Dienstag liegt nun eine abgemilderte Version von Camerons Reformideen auf dem Tisch, die zumindest mit Brüssel schon ausgehandelt ist. Beim nächsten Treffen der Staatschefs am 18. Februar soll der Deal abgesegnet werden. Die Briten dürfen dann eine “Notbremse” ziehen, wenn ihr Sozialsystem von zu vielen EU-Migranten
überlastet werden sollte. Die EU-Kommission müsste dies vorher genehmigen. Cameron wird noch die neue polnische Regierung überzeugen müssen, dass diese Notbremse sich nicht vornehmlich gegen Polen richtet, die in Großbritannien arbeiten wollen. Und wer wird ihm vermutlich dabei beistehen?
Wenn der britische Premier der deutschen Bundeskanzlerin am Ende der Syrienkonferenz "Thank you, Angela" zufrief, dann galt das nicht nur ihrer Flüchtlingshilfe.
http://www.cicero.de/weltbuehne/syrienkonferenz-mutter-aller-fluechtlinge/60461