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So zerlegen sich die britischen Konservativen

The Three Brexiteers as photoshopped by The Sun

Das britische Referendum über den Verbleib in der EU spielt sich nicht so sehr zwischen links und rechts ab. Die große Schlacht tobt innerhalb der konservativen Partei: An dem Brexit-Entscheid könnten die Tories sogar zerbrechen, fürchten einige.

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„Ich will den Premierminister nicht hinterrücks erdolchen“, gestand ein konservativer Abgeordneter der „Sunday Times“, „ich will ihm das Messer von vorne in die Brust rammen und dabei seinen Gesichtsausdruck sehen.“ Seinen Namen wollte der rachsüchtige Verräter zwar nicht nennen, doch langsam dämmert es auch David Cameron: Die Briten haben zu viele Episoden der blutrünstigen Fernsehserie „Game of Thrones“ gesehen. Er selbst könnte wie TV-Held Jon Snow bald tot am Boden liegen. Ermordet von den eigenen Leuten.

Am 23. Juni stimmen die Briten in einem Referendum über ihren Verbleib in oder den Austritt aus der EU ab. „Remainers“ und „Brexiters“ liegen Kopf an Kopf. In einer Umfrage des „Telegraph“ führen die Pro-Europäer mit 5 Punkten, in jener des „Guardian“ haben die Anti-Europäer die Nase um vier Prozentpunkte vorn. Achtzehn Prozent Unentschlossene machen die Abstimmung zu einer Zitterpartie.

Drei Wochen vor dem Votum haben sich die beiden Lager polarisiert. Bedachte Diskussionen über Vor- und Nachteile einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union scheinen kaum mehr möglich. Fiktion ersetzt Fakten und Feindschaften jahrzehntelange Freundschaften. Im Zentrum des Sturms steht David Cameron, der das EU-Referendum auf die britische Tagesordnung gesetzt hatte in der Hoffnung, den EU-Skeptikern in den eigenen Reihen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Dies ist nicht passiert.

Für den Chef der konservativen Tory-Partei steht alles auf dem Spiel: die Zukunft Großbritanniens, seine eigene politische Karriere und letztlich auch sein Ruf. Er kämpft daher mit allen Mitteln. Sogar mit Sadiq Khan, dem frisch gewählten Bürgermeister von London, tritt er gemeinsam auf. Die neue Labour-Hoffnung ist für den Verbleib in der EU. So wie der Großteil der linken Opposition. Auch der linke EU-Kritiker und Labour-Chef Jeremy Corbyn hat sich aus Staatsräson entschlossen, das proeuropäische Lager zu unterstützen.

Die große Schlacht spielt sich innerhalb der konservativen Partei ab. „Blau gegen blau“ titeln die Tageszeitungen täglich und berichten von peinlichen Schreiduellen zwischen Tory-Abgeordneten im „Tea Room“ des Parlaments in Westminster. Londons Ex-Bürgermeister Boris Johnson, das schnellfeuernde Mundgewehr des „Brexit“-Lagers, griff Cameron in einem offenen Brief direkt an. Den Wählern sei versprochen worden, die Einwanderung drastisch zu kürzen: „Dieses Versprechen ist nicht einzuhalten, solange das Vereinigte Königreich in der EU ist. Dieses Versagen untergräbt das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Politik.“ Da wird heftig an Camerons Stuhl gesägt. Boris Johnson sucht derzeit einen neuen Job und es käme ihm nicht ungelegen, stürzte sein Parteifreund Cameron über die EU-Frage.

Immigration ist nicht zufällig das letzte große Thema, dass die „Vote-Leave“-Kampagne in den letzten Tagen vor dem Referendum ganz vorne auf die Tagesordnung schiebt. Die Briten fürchten mehr Zuwanderung aus der EU. Tatsächlich lässt sich die Immigration wie in allen entwickelten Ländern nicht einfach durch den Austritt aus der EU regeln. Im Jahr 2015 kamen 257.000 Immigranten aus der EU und 273.000 aus dem Rest der Welt, etwa aus den Commonwealth-Staaten Pakistan und Indien. Weder die einen noch die anderen werden so leicht zu stoppen sein: „Wenn Großbritannien nach einem Brexit über ein Handelsabkommen mit der EU verhandelt, um freien Zugang zum Gemeinsamen Markt zu erhalten, dann wird das mit weitgehender Freizügigkeit für EU-Bürger einhergehen“, sagt Simon Hix von der „London School of Economics“.

Doch um Analysen von Akademikern geht es auf dem blauen Schlachtfeld schon längst nicht mehr. Auch konservative Blätter wie Daily Telegraph und The Times können sich genauso wenig auf eine klare Linie einigen wie die obersten Tories auf der Regierungsbank. Fünf Minister in David Camerons Regierung sind offen für Brexit. Darunter die Staatsekretärin für Beschäftigung, Priti Patel. Diese verstieg sich in einem Interview mit dem „Telegraph“ dazu, ihrem Parteichef vorzuwerfen, er sei zu privilegiert, um die Sorgen der kleinen Leute zu verstehen: „Es ist schändlich, dass die Befürworter der EU sich so wenig um jene kümmern, die nicht ihre Vorteile genießen.“

Das mag zwar sogar stimmen, aber der parteiinterne Angriff auf „Posh Boy“ David Cameron muss ihn hart treffen, wo er doch gerade um die wichtigste Entscheidung seiner gesamten Amtszeit kämpft.

Oder ist das alles Kalkül? Die schmerzhaften persönlichen Angriffe, sagt Iain Duncan Smith, seien in Großbritannien Teil des politischen Spiels: „Die konservative Partei war immer eine „broad church“, eine undogmatische Organisation, meint der ehemalige Arbeitsminister im Hintergrundgespräch: „Unterschiedliche Meinungen haben bei uns immer Platz. Wir sind robuste Debatten gewöhnt.“ Duncan Smith geht noch weiter, er erklärt, dass in Britannien wie in Amerika die Zeit vor den Wahlen die eigentliche Streitphase sind. Da werden Positionen ausgehämmert und „Koalitionen für die Zeit danach geschlossen“.

Iain Duncan Smith trat im März als Arbeitsminister zurück und ist einer der führenden Brexit-Mitglieder. Er macht sich keine Hoffnungen auf den Chefposten mehr. Bei Schatzkanzler George Osborne denke er „an Pinocchio, dem eine lange Nase wächst“, meinte er unlängst frech, als jener wieder ein paar pro-europäische Zahlen an die Öffentlichkeit befördert hatte. Ob er glaubt, dass Osborne sich noch einmal mit ihm an den Tisch setzen wird? „Wir werden uns vielleicht keine Weihnachtskarte schreiben. Aber Politik sollte man nicht persönlich nehmen.“

Viele Beobachter zweifeln, dass die Tories nach erfolgtem Referendum so einfach wieder geeint werden können. Manche prophezeien, dass die Partei in zwei Teile brechen wird. Stimmt Britannien für einen Verbleib in der EU, bleibt der glatte Cameron bis zu den nächsten Wahlen 2018. Sollten die Briten Brexit wählen, hofft der wirrhaarige Exbürgermeister Boris Johnson seinem Konkurrenten nachzufolgen. In jedem Fall braucht es viel Versöhnungsarbeit.

Gewinnt Cameron aber das Referendum, dann hat er etwas geschafft, was bisher von vielen bezweifelt wurde: er hätte die EU-Debatte in der eigenen Partei durchgezogen und die rechtspopulistische UKIP-Partei weitgehend ausmanövriert. Der EU-Phobiker Nigel Farage kommt zwar bei den Leuten im Pub immer noch gut an, hat sich aber ob seines Alkoholismus und cholerischen Gemüts in der eigenen UKIP-Partei unmöglich gemacht. Boris Johnson, das hat die „Brexit“-Kampagne gezeigt, ist der bessere Rechtspopulist.

Stimmen die Briten am 23. Juni für ihren Verbleib in der EU, dann hat Cameron auf allen Ebenen gewonnen. Vor zwei Jahren hat er das schottische Referendum knapp aber doch überstanden und Großbritannien nicht zu Little Britain geschrumpft. Vor einem Jahr hat er die Regierungsmehrheit für die Tories erkämpft. Jetzt geht es um die EU-Mitgliedschaft.

Kann sein, dass es den Meuchelmördern in den eigenen Reihen ganz schön leid tun wird, dass sie ihrem Vorsitzenden beim Verrat in die Augen sehen wollten. Bei Game of Thrones, das sollten sie inzwischen wissen, stehen Totgesagte wie Jon Snow manchmal einfach wieder auf. Und dann kommt die Stunde der Abrechnung.

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© 2018 Tessa Szyszkowitz