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Fische halten sich nicht an Grenzen

Way out

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Bis Ende März will die britische Premierministerin Theresa May offiziell den Austritt aus der EU erklären. Doch die Mitglieder des Oberhauses machen ihr das Leben schwer. Langsam dämmert allen, welche Kosten und Mühen mit dem Brexit verbunden sind.

Die Meuterei gegen den Brexit hat begonnen. Und sie fordert erste Opfer. Der 83jährige konservative Politiker Michael Heseltine wurde am Dienstag von Premierministerin Theresa May als Regierungsberater gefeuert. Sein Verbrechen: Heseltine hatte im House of Lords, dem Oberhaus des britischen Parlaments, gegen Frau May rebelliert. Der europhile Konservative will nicht den Brexit stoppen, aber die Regierung zwingen, dem Parlament am Ende des Austrittsprozesses aus der EU ein “sinnhaftes Votum” über das ausgehandelte Scheidungsabkommen zu erteilen. 366 Lords und Ladies stimmten für die Gesetzesänderung, die jetzt wieder vom Unterhaus behandelt werden muss. “Frau May hat sich entschieden, mich zu feuern”, erzählt Lord Heseltine beim Frühstück zwei Tage später, “jetzt kann ich wenigstens frei reden. Vor einer Woche hätte ich Ihre Einladung nicht annehmen können.”

Die Rebellion der ehrwürdigen Lords löst einige Unruhe in der britischen Politszene aus. Doch die Premierministerin will sich nicht beirren lassen. Bis Ende März will Theresa May die Austrittserklärung der Briten in Brüssel einreichen. Das sieht sie als Auftrag des EU-Referendums vom 23. Juni, bei dem knapp 52 Prozent der Briten den Brexit forderten. Heseltine aber findet: “Das Parlament ist der Souverän. Dieser reflektiert den Willen des Volkes. Der Wille des Volkes kann sich ändern, wenn sich die Umstände ändern.” Die Welt 2016 war vielleicht eine andere als sie es 2018 sein wird. Deutschland, Frankreich und die Niederlande wählen 2017 neue Regierungen. Wer weiß, wie das die EU verändern wird? Deshalb soll das Parlament am Ende über das mit Brüssel ausgehandelte Abkommen diskutieren und abstimmen dürfen. May hat bisher nur zugestanden, dass das Parlament am Ende den Deal abnicken darf.

Trotz aufflackender Proteste unter Abgeordneten in beiden Häusern im Westminsterpalast hat die konservative Regierung im Unterhaus – der gewählten und entscheidenen Kammer - immer noch eine bequeme Mehrheit für den Austrittsantrag. Die Tories sind fast alle auf Regierungslinie - und viele Labour-Abgeordneten auch. Sie waren zwar persönlich für den Verbleib in der EU, wollen aber heute nicht gegen den Willen ihrer Wähler den Brexit hintertreiben.

Der Austritts-Prozess dürfte also noch Ende dieses Monats beginnen, aber wird er ein Erfolg? Richtig euphorisch klingt keiner mehr, der sich eingehend mit den Einzelheiten dieser “Mutter aller Scheidungen” beschäftigt, wie der britische EU-Parlamentarier Richard Corbett die Trennung zwischen Briten und EU nach einem knappen halben Jahrhundert nennt. Teuer wird es sowieso: Die EU beginnt die Verhandlungen mit der Forderung, die Briten müssten erst mal 60 Milliarden Euro an bestehenden Verpflichtungen für Pensionen und Haushalt zahlen. Corbett glaubt, dass es hinsichtlich der EU überhaupt nichts gibt, von dem sich Großbritannien sinnvoller Weise trennen könnte. Nicht mal die Fischerei: “Fische halten sich nun mal nicht an nationale Grenzen.”

Die Briten müssen mit Brüssel bis 2019 einen Scheidungsvertrag und ein Übergangsabkommen festlegen, das den Rahmen für die später auszuhandelnden Beziehungen vorgibt. Frau May und ihre Brexit-Minister haben angekündigt, dass das Vereinigte Königreich aus dem Binnenmarkt, der Zollunion, dem Europäischen Gerichtshof und dem Nuklearforschungsprogramm Euratom austreten will. Demnach könnte danach mit der EU nur ein Freihandelsabkommen ausgehandelt werden, wenn auch weiterhin mit möglichst niedrigen Zöllen gehandelt werden soll. Das kann Jahre dauern. Die Verhandlungen können auch schief gehen, weil alle EU-Partner zustimmen müssen. Vielen britischen Geschäftsleuten stehen deshalb die Haare zu Berge: Immerhin gehen fünfzig Prozent der britischen Exporte in die EU.

Nicht nur die Briten haben ein großes Interesse an geringen Handelsbarrieren, auch Deutschland hofft darauf. Vor allem die deutsche Autoindustrie mit etwa 40 Milliarden Euro Umsatz im Vereinigten Königreich könnte Einbußen erleiden. Deutsche Autos werden nicht nur auf den britischen Inseln verkauft. BMW baut seine Autos teilweise auch dort. Heute zu den Bedingungen des Binnenmarktes mit Waren- und Personenfreizügigkeit. Und morgen?

Diese Unsicherheit führt nicht nur in der Führungsetage der Autofirmen zur Entwicklung von alternativen Plänen. Investitionen ausländischer Firmen in Großbritannien werden vielerorts überdacht, weil die Zukunft post-Brexit vollkommen unklar ist. Viele internationale Banken und Versicherungen haben bisher die City of London als Finanzstandort nicht nur für Großbritannien, sondern für ganz Europa genützt. Gut 60.000 Menschen sind allein in deutschen Banken und Versicherungsfirmen in London beschäftigt. Nach dem Brexit wird der Zugang zur EU aber nicht mehr automatisch bestehen, das sogenannte Passport-Recht für Firmen, Dienste und Angestellte geht nach dem, was die Regierung bisher angekündigt hat, verloren.

Gerade für Deutschland bedeutet das auch Chancen: Banken und Jobs könnten nach Frankfurt abwandern. Vorteile sehen Brexit-Fans auch für Großbritannien. Wenn das Land den EU-Regeln nicht mehr unterliegt, könnte es Großkonzerne zu besseren steuerlichen Bedingungen anlocken. Dafür aber müssen Großbritannien und die EU erst einmal voneinander entwoben werden – juristisch ist das eine monströse Aufgabe, die laut Michael Heseltine etwa 1600 neue Verordnungen bedeutet.

Noch hat der Brexit nicht begonnen. Die britische Wirtschaft wächst mit 1,8 Prozent fast so schnell wie die deutsche mit 1,9 Prozent. Das britische Pfund hat allerdings nach dem Brexit-Votum gleich 15 Prozent an Wert verloren. Steigende Preise dürften in den kommenden Monaten in den britischen Haushalten spürbar werden. Die Unsicherheit über die Zukunft Großbritanniens aber auch der EU selbst werden die Verhandlungen erschweren. “Ich halte es für falsch, von Theresa May zu verlangen, dass sie jetzt ihre Karten auf den Tisch legen soll. Wenn sie das tut und dann in den Verhandlungen mit Brüssel Kompromisse macht, wird die britische Presse ihr vorwerfen, sie sei umgefallen”, meint Lord Heseltine. Er fügt fast mitleidig hinzu: “Ihr Job ist ein Albtraum.”

Jetzt, wo sie ihn gefeuert hat, wird der erfahrene Politiker, der schon Margaret Thatchers Aufstieg und Fall aus nächster Nähe beobachtet hat, die Eiserne Lady 2.0 nicht mehr beraten können.

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© 2018 Tessa Szyszkowitz