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Regierungschefin Theresa May appelliert an ihre Landsleute, die eigenen Werte nicht aufzugeben. Einen Tag nach dem Anschlag in London kämpft die Stadt um einen besonnenen Umgang mit dem islamistischem Terrorismus
Die Terrorgefahr in London wurde trotz des Anschlags vor dem britischen Parlament am Mittwoch nicht von „akut“ auf „kritisch“ angehoben. Die höchste Stufe der Gefahr ist Atombomben vorbehalten. Das schien den Briten dann doch nicht gerechtfertigt. Sie bleiben, dem Klischee getreu, „gelassen und machen weiter“. Donnerstagvormittag war die Zuschauergalerie im Parlament bereits wieder für Besucher geöffnet. Regierungschefin Theresa May sprach am Vormittag zu den versammelten Abgeordneten: „Die Besonnenheit und die Professionalität unserer Sicherheitsdienste ist bemerkenswert. Die beste Antwort für unsere Feinde ist zu zeigen, dass wir unsere Werte nicht aufgeben.“
Neuer islamistischer Terror
Hinter den Kulissen aber arbeiten Scotland Yard und die Sicherheitsdienste fieberhaft an der Aufklärung der Tat. Was hatte den schwarz gekleideten Bartträger, der am Mittwochnachmittag mit einem Auto zwei Menschen getötet und viele verletzt hat, zu seiner Tat bewogen? Der 52jährige Khalid Masood, ein Kleinkrimineller und Schläger, war mit dem Wagen über die Westminster-Brücke gefahren, hatte dabei zwei Menschen überfahren und etwa zwei Dutzend zum Teil schwer verletzt. Er rammte den Zaun des Parlaments, sprang aus dem Auto und lief an den Sicherheitsleuten vorbei in den Vorgarten vor dem Big Ben. Dort erstach er einen Polizisten, bevor er von Sicherheitsleuten vor Ort erschossen wurde.
Schnell schien klar, dass London wie Berlin und Nizza Opfer eines Anschlags der neuen islamistischen Art geworden ist: Einzeltäter, Fahrzeug, Menschenansammlung, Raserei mit tödlichem Ausgang. Der Islamische Staat übernahm die Verantwortung für den Anschlag. Der Täter wurde in Britannien geboren und bereits früher vom Geheimdienst observiert.
Britische Zurückhaltung
In Frankreich sprachen im vorigen Sommer nach dem Anschlag in Nizza sehr viele sehr schnell von einem Krieg innerhalb der Republik. In Großbritannien ist dies ganz anders. Donnerstagmorgen klangen britische Politiker fast beschwörend: „Es ist kein Wunder, dass dieser Anschlag vor dem Parlament stattfand“, sagte Verteidigungsminister Michael Fallon. „Hier ist der Ort, wo wir diskutieren, wo unterschiedliche Meinungen gehört werden. Genau das ist es, was die Islamisten nicht aushalten können.“
London hat zudem seit einem Jahr einen muslimischen Bürgermeister. Sadiq Khan betont stets die Offenheit der Stadt, er hat sich einen Namen als Vermittler zwischen den verschiedenen ethnischen und religiösen Minderheiten gemacht. „Als Bürgermeister bringe ich meine Erfahrungen mit, auch meinen Glauben“, sagte er am Donnerstag in einem Interview: „Wir verurteilen den radikalen Islam, wir glauben nicht an Verschwörungstheorien. Wir können den Terroristen nicht erlauben, uns von unserem Weg abzubringen: Wir tolerieren einander trotz aller Unterschiede.“
Terror ist keine Neuheit
Die Briten sind vielleicht auch deshalb weniger aufgeregt, weil sie schon länger mit Terroranschlägen vertraut sind. In vielen Londoner Straßen sucht man oft vergeblich nach Abfalleimern, dort hat die Irische Republikanische Armee (IRA) bis Anfang der neunziger Jahre gerne ihre Bomben versteckt. Deshalb wird auch die Diskussion darüber, wie man Terrorgesetze verstärken könnte, nicht so heftig geführt wie in Kontinentaleuropa. Denn Großbritannien hat bereits vor Jahrzehnten vieles getan, um die Zivilbevölkerung vor Anschlägen im öffentlichen Raum zu schützen: An jeder Straßenkreuzung sind Überwachungskameras angebracht. Die Sicherheitsdienste haben ein engmaschiges Netz über radikalisierte Jugendliche gespannt. Der Fokus hat sich von den republikanischen Nordiren verschoben, da die IRA mit dem Karfreitagsabkommen im Jahr 1997 offiziell Frieden mit den Unionisten geschlossen hat.
Seit dem 9. September 2001 stehen radikalisierte Muslime im Zentrum der Aufmerksamkeit. Noch Mittwochnacht verhafteten Scotland Yard und die Polizei mehrere Personen in einer Wohnung in der nordenglischen Stadt Birmingham, in der der Attentäter gewohnt haben soll. „Der Geschmack Persiens“ nebenan und andere nahöstliche und asiatische Restaurants zeugen von der multikulturellen Atmosphäre des Bezirks. Das Tatfahrzeug, ein Hyundai 4x4, soll in derselben Straße angemietet worden sein. Birmingham gilt schon lange als ein Hort radikaler Prediger und ihrer Gefolgschaft.
Einzeltäter schwer zu stoppen
Der schlimmste Anschlag der Dschihadisten ist bereits zwölf Jahre her. Am 7. Juli 2005 hatten vier Selbstmordattentäter in einer koordinierten Anschlagsserie 52 Menschen in Zügen und Bussen im Londoner Morgenverkehr umgebracht. Davor und danach gab es immer wieder Attentate von Islamisten, aber auch von nordirischen Tätern wie im März 2016 in Belfast, als ein Gefängniswärter von einer Autobombe schwer verletzt wurde. Der letzte politische Mord geschah im Juni 2016. Die proeuropäische Labour-Abgeordnete Jo Cox wurde in Yorkshire von einem weißen, rechtsextremen Rassisten erschossen.
Einzeltäter, ob rechtsextrem oder islamistisch, sind schwer zu stoppen. Seit den Anschlägen von 2005 hat sich der Geheimdienst MI5 dezentralisiert. Gerade in Städten wie Birmingham sind die Agenten permanent im Einsatz, um die radikalisierte Szene zu überwachen. Insbesondere seit des Schrumpfens des sogenannten Islamischen Staates in Syrien und im Irak, befürchteten Geheimdienste Verzweiflungsanschläge von IS-Anhängern in Großbritannien.
Während die Geheimdienste das Netzwerk des Attentäters ausforschen und die Briten versuchen, sich trotz der Terrorangst nicht vom Alltag abhalten zu lassen, schweben sieben Verletzte, die auf der Brücke vor dem Big Ben mutwillig überfahren wurden, weiterhin in Lebensgefahr.