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In der Nacht zum vergangenen Mittwoch brach im Grenfell Tower, einem Hochhaus im Londoner Bezirk North Kensington, ein vernichtender Großbrand aus. Bei dem Feuer, das einen Großteil der 27 Stockwerke erfasste, kamen mindestens 79 Menschen ums Leben. Eine Bewohnerin, die 20 Jahre in dem Gebäude gelebt hat, erzählt:
Dort oben im sechsten Stock ist meine Wohnung, in der ich mit einer Freundin zusammenlebe. Aber eigentlich sollte ich sagen: Dort war meine Wohnung.
In jeder Etage gibt es sechs Apartments. Insgesamt wohnen ungefähr 300 Menschen im Grenfell Tower. In unserem Stockwerk haben die Feuerwehrleute fast alle rausgeholt. Obwohl: Die Nachbarn von zwei Wohnungen habe ich hier draußen noch nicht gesehen. Ich fürchte auch, dass viele Menschen in den Etagen über uns nicht rechtzeitig informiert wurden. Eine Freundin aus dem siebten Stock habe ich bisher auch noch nicht gefunden. Ich kann sie auch nicht anrufen, viele von uns haben die Telefone oben vergessen, manche sind verbrannt. Und die Mobilfunknetze sind überlastet, man kommt nicht durch.
Als ich das Feuer bemerkte, habe ich mich noch aus dem Fenster gebeugt, um zu sehen, was los ist. Überall waren Flammen. Das war etwa um halb zwei Uhr früh. Ich dachte, vielleicht bleiben wir besser in der Wohnung, die werden das gleich löschen. Außerdem hatte ich Angst, die Wohnung zu verlassen. Ich bin den Feuerwehrmännern so dankbar, sie haben mir das Leben gerettet. Sie haben an die Türen geklopft und gesagt: “Ihr müsst sofort hier weg!” Weil ich weiße Haare habe, hat einer von ihnen meine Hand genommen, mich den Gang runtergezogen und die Stiegen hinuntergebracht.
Als ich jung war, gab es einen Film mit dem Titel “The Towering Inferno”. Ich sah ihn 1974. Das Gleiche ist uns heute passiert. Das Feuer hat sich viel zu schnell ausgebreitet -das sollte eigentlich gar nicht möglich sein. Und jetzt, nach acht Stunden, ist es immer noch nicht unter Kontrolle. Die Schläuche reichen nicht bis in die oberen Stockwerke. Wir brauchen eine Untersuchung darüber, was hier passiert ist.
Ich bin Pensionistin. Ursprünglich stamme ich aus Thailand. Schon bevor diese Katastrophe passiert ist, hatte ich vor, in mein Heimatland zurückzuziehen. Jetzt werde ich das vielleicht schneller machen, als ich es geplant hatte. Eine Bekannte von dort hat mich schon angerufen und gesagt: “Setz dich in das nächste Flugzeug und komm lieber gleich zurück.”
In der Nacht hat man uns in ein Sammelzentrum gebracht, aber ich bin hierher zurückgekommen. Meine Freundin hat gesagt, ich solle das lieber nicht tun, weil vielleicht das ganze Gebäude zusammenbricht. Aber alle meine Sachen sind noch oben in der Wohnung -auch meine Brillen, und ohne die kann ich nicht gut sehen. Außerdem stehe ich hier, weil ich so gerne im Grenfell Tower gelebt habe, viele Jahre lang – und weil ich dem Haus goodbye sagen möchte.
Aus der Asche
Wir wollen Antworten! Wir wollen Gerechtigkeit”, skandierten protestierende Bürger vergangenen Freitag im Rathaus des Londoner Stadtteils Kensington. Allzu viel deutet darauf hin, dass die Dimension des Großfeuers auch eine Folge von laxen Sicherheitsbestimmungen, falscher Sparsamkeit bei der Auswahl der Fassadenverkleidung und dem Ignorieren der Warnungen von Mietern gewesen ist. Scotland Yard untersucht den Fall, doch auch die Frage nach der politischen Verantwortlichkeit wird gestellt. Der Grenfell Tower ist zum Symbol der Missachtung der Unterschicht geworden.