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How I became a Cumberbitch

How I became a Cumberbitch

In London gibt Sherlock-Star Benedict Cumberbatch den Hamlet vor ausverkauftem Haus.

Vorne rechts neben der Bühne sitzt ein Wächter und passt auf wie ein Haftelmacher, dass ja keiner im Publikum sein Handy andreht. Benedict Cumberbatch, der Star der Hamlet-Inszenierung im Londoner Barbican, flehte bereits während der öffentlichen Proben seine Fans an, ihn nicht beim “To be or not to be” zu filmen. Die Direktion des Barbican-Theaters hat nicht auf die Rücksichtnahme der Fans vertraut. Die Aufpasser setzen das Telefonverbot durch. Drei Stunden lang hebt keiner ein iPhone.

Von ganz oben lässt sich die Cyberstille besonders gut beobachten. Direkt neben der Bühne unterm Dach auf der Galerie ist B62. Nichts für Leute mit Höhenangst. Dafür hat die Karte nur 10 Pfund gekostet. Aber es geht ja nicht um den besten Platz im Theater. Es geht darum, überhaupt einen zu haben. Die Karten für Benedict Cumberbatch als Hamlet kamen vor einem Jahr auf den Markt, innerhalb weniger Stunden waren die Vorstellungen von August bis Oktober restlos ausverkauft. Der 39jährige britische Schauspieler, im deutschsprachigen Raum als Darsteller der Fernsehserie Sherlock bekannt, hat damit dem Barbican einen der größten Hits der britischen Theatergeschichte verschafft. Die Cumberbitches, wie sich die weiblichen Fans nennen, campieren für jeweils eine der 30 Tageskarten vor dem Theater.

Mein Ticket ergatterte ich über die Webseite, auf der ab und an noch zurückgegebene Karten gekauft werden können. Wer Geduld hat und soundso mit ihrem Computer verheiratet ist, kann Glück haben. (http://hamlet-barbican.com/) Wer aber auf einem der begehrten Sitze im Zuschauerraum landet, kämpft erst mal hart gegen den Antiklimax. So muss es Michael Billington vom “Guardian” ergangen sein, der der Produktion bei der Premiere am 25. August nur zwei von fünf Sterne gegeben hat. (http://www.theguardian.com/stage/2015/aug/25/hamlet-barbican-review-benedict-cumberbatch-imprisoned-prince) (2010 gab Billington einem Hamlet mit Rory Kinnear im National Theater vier Sterne, es liegt also nicht daran, dass man in London keinen Hamlet mehr auf die Bühne bringen kann.) Cumberbatch bekommt vom Kritikerpapst zwar lobende Worte als “echter Schauspieler”, die Regisseurin Lyndsey Turner wird allerdings wegen “Gigantismus” abgestraft. Auch Gina Thomas von der FAZ verließ das Theater missgestimmt: “Sein Schicksal geht einem nicht zu Herzen.” (http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buehne-und-konzert/benedict-cumberbatch-als-hamlet-im-barbican-centre-13768572.html)

Die Produktion ist aber in Wahrheit gar nicht so schlecht. Die Inszenierung eilt kurzweilig dahin. Benedicts Hamlet läuft im ersten Akt mit seinen langen Beinen so leichtfüßig – quer – über die Festtafel, als trete er bloß über eine niedrige Schwelle nach Elsinore, ins Königsschloß, in dem gerade sein Onkel den Vater ermordet hat. Dann heiratet der Brudermörder auch noch Hamlets Mutter. Der Prinz sitzt beim Hochzeitsmahl und versteht die Welt nicht mehr. Ist er verrückt oder tut Hamlet nur so? Das ist hier die Frage. Hätten wir so ein arges Shakespearsches Leben, würden wir auch durchdrehen. Benedict Cumberbatch jedenfalls, Experte für überintelligente Soziopathen wie Sherlock Holmes oder Alan Turing im “Imitation Game”, weiß genau, wie man einen spielt, der daran irre wird, dass er als einziger in einer verkehrten Welt gerade steht.

Vielleicht hätte sich Frau Turner noch radikaler für die Verlegung dieses Hamlet ins 21. Jahrhundert entscheiden können. Jetzt weiß man nicht genau, wann das Drama seinen Lauf nimmt. Im Ersten Weltkrieg? Im Zweiten? Warum nicht gleich 2015 in einem Krieg zwischen Nord- und Südeuropa über Sparpolitik? Das Bühnenbild von Es Devlin ist auch nicht ganz stilsicher. Devlin hat die Schlusszeremonie der Olympischen Spiele 2012 in London choreographiert, sie räumt gerne große Bühnen mit zu viel Zeug voll. Doch sie schafft auch visuell eindrucksvolle Momente. Der erste Teil des Abends etwa endet mit einem Sturm, der den ersten Kriegsstaub durch die Tore des Palastes wirbelt. Im zweiten Teil nach der Pause ist das Königshaus bereits mit Schutt gefüllt. Die Zerstörung ist vollzogen. Die hinsinkenden Körper der Königsfamilie sind nur noch Epilog.

Was man der Regisseurin vorwerfen könnte, ist wohl, dass das Ensemble aneinander vorbeispielt. Zwischen den Liebespaaren Hamlet und Ophelia und Claudius und Gertrude herrscht so viel sexuelle Spannung wie zwischen Benedict Cumberbatch und Keira Knightley in “The Imitation Game”. Dort spielte er allerdings einen schwulen Wissenschafter und das erotische Nullsummenspiel war Programm. Im dänischen Herrscherhaus, in dem Kabale und Liebe durchaus bestimmender Teil des Schauspiels sind, sollte schon ein bisschen mehr sexuelle Spannung in der Luft liegen. Ein bisschen liegt das auch an Cumberbatch.

Doch sonst meistert er den Hamlet mit britischer Präzision, Eleganz und einer gehörigen Portion Exaltiertheit, die gerade recht erscheint. Wenn er mit einer Blechtrommel auf die Bühne marschiert und auf dem Tisch knieend “Sein oder nicht sein” deklamiert, fürchtet man um das Wohlbefinden des kleinen Zinnsoldaten. Wenn er seine Mutter zur Rede stellt, kommt ebenfalls Gefühl auf. Cumberbatch hält die Inszenierung zusammen und das ist gut so, denn manche seiner Kollegen schwächeln ein bisschen.

Am Ende erhebt sich für den Star des Abends ein wahrer – wenn auch wie in London üblich kurzer – Sturm an Applaus. Zwischen all den schwarzen Gestalten in Begräbniskleidung sticht Hamlet in seiner weißen Jacke heraus. Der TV-Mime Benedict Cumberbatch schafft es, jeden Abend 1000 Menschen ins Theater zu holen, um die 500 Jahre alte Geschichte vom Königsjungen zu sehen, der an seiner korrupten, grausamen Umwelt verzweifelt. Drei Stunden Shakespeare und kein Selfie vor der Bühne. Das ist im Jahr 2015 ein Theatertriumph. Dafür konnte sogar ich für einen Abend zur Cumberbitch werden.

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© 2018 Tessa Szyszkowitz