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The Return of the Brexicuted

The Return of the Brexicuted

Es wird ein heißer politischer Herbst in London. Zuerst aber gibt es noch einen warmen Spätsommer inklusive Revolution am Ladies Pond im Hampstead Heath.

Der Tag begann mit einem Knalleffekt. Nein, nicht in politischer Hinsicht. Stimmt, Queen Theresa trug bei der ersten Kabinettssitzung nach den Sommerferien ihren drei Brexitieren auf, sich jetzt mal ernsthaft an den Brexit zu machen. Und dass sie mit “Brexit wirklich Brexit meint”. Doch das wussten wir schon.

Niemand denkt auch nur im Traum daran, sich noch über diese neue Regierung zu empören. Alle sind schon froh, wenn die Regierung nicht aussieht wie die Opposition unter Jeremy Corbyn. Deshalb weist auch kaum jemand darauf hin, dass die neue konservative Regierungschefin drei Männer zu ihren Brexit-Verhandlern bestellt hat, die sich nicht ausstehen können und die nur mit Mühe gemeinsam am Tisch sitzen, geschweige denn zusammenarbeiten können. Außenminister Boris Johnson ist damit beschäftigt, alle Beleidigungen internationaler PolitikerInnen wegzuschmeicheln, die er in seiner Zeit als Hofnarr ohne Portfolio ausgeteilt hat. Brexit-Minister David Davis engagiert McKinsey-Experten, die ihm helfen sollen, EU-Gesetz zu verstehen. Und Handelsminister Liam Fox will zwar neue Handelsabkommen mit Weltmächten aushandeln, kann aber noch lange Ferienreisen planen. Bevor Britannien aus der EU ausgetreten ist, wird kein Land einen bilateralen Vertrag abschließen.

Nein, die Überraschung erwischte mich zehn Kilometer nördlich von 10 Downing Street. Ich kam mit dem Fahrrad beim Ladies Pond in Hampstead Heath an und was mussten meine Augen sehen? Die alte, schäbige Badehütte ist durch eine schnittige, hölzerne Struktur ersetzt worden, die an ein architektonisches und infrastrukturelles Wunder grenzt. Es katapultiert den Schwimmteich fast gewaltsam ins 21. Jahrhundert. Damit Sie meine gemischten Gefühle richtig verstehen: Seit knapp hundert Jahren baden hier schon offiziell nur Frauen. Ausschließlich Frauen. Die Autorin Esther Freud – Tochter des Malers Lucian und Urenkelin von Sigmund – schrieb jüngst über diesen Teich: “Katharine Hepburn soll einst vorbeigekommen sein und den Badewärterinnen eine Dose Kekse zum Tee mitgebracht haben.”

Am Eingang hängt ein Schild: “Nur für Frauen. Männer dürfen nur bis hierher.” Ich bin wirklich kein Fan von getrenntem Schwimmen. Nach diesem Sommer, in dem in Europa eine geradezu hysterische Burkini-Debatte entbrannte, ist es lustig, hier in London in einen Frauenschwimmteich zu springen, um den es absolut kein Theater gibt. Nur in Britannien können altmodisch und modern ohne jede Spannung ko-existieren. Es gibt nicht nur einen Teich für Frauen, weiter unten in der Hampsteader Heide sind die Männer unter sich. Und einen gemischten Teich kann man auch ansteuern. Beim Männer-Teich fühlen sich manche, wie ich höre, etwas zu aufmerksam beobachtet. Anders bei den Frauen: Ob im Teich oder auf der Wiese wird oft eng zusammengerückt. Jede macht und trägt, was sie will. Oben nichts, Bikinis oder interessante Variationen von Badeanzügen, die so aussehen, als seien sie Anfang des 20. Jahrhunderts entworfen worden. Manche der Trägerinnen wirken auch so. “Normalerweise gehe ich mit meinem Mann zum gemischten Teich”, informiert mich eine grauhaarige Dame, während wir uns im neuen Umkleideraum wieder anziehen, “aber dort ist es mir eigentlich zu schlammig. Hier ist es besser.”

Das ist sehr lieb von ihr, muss ich sagen, so eine Unterscheidung zu treffen. Ich ging bisher immer geradewegs vom Schwimmen zur chemischen Reinigung bei mir um die Ecke auf der Abbey Road. Keiner der Hampstead-Teiche ist meiner Ansicht nach wirklich sauber, man klettert immer mit einer dünnen Schicht Schlamm wieder raus. Seit neuestem aber gibt es drei Duschen. Aus denen auch Wasser kommt. “Sogar heisses!”, kreischt eine Frau neben mir entzückt im Duschraum. Sie hat mehr Glück als ich, meine ist kalt. Trotzdem ein großer Fortschritt. Bisher verschenkte ein rostiger Hahn nur hie und da einen Tropfen.

Glücklicherweise hat mein Blog keine LeserInnen. Sonst würden wir Gefahr laufen, dass wildwütig romantische Schwimmerinnen diesen versteckten Londoner Schatz überfluteten. Es ist ja jetzt schon recht bevölkert. Zur Zeit paddeln zwischen Wasserlilien und uns ein paar Babyenten. Die meisten Schwimmerinnen schauen übrigens wie Theresa May aus. Auch die Badewärterinnen sehen ihr ähnlich. Obwohl sie Badekappen tragen.

Die Stimmung am Teich ist unglaublich beruhigend. Liegt das daran, dass hier im Unterschied zum Rest von London kein kompetitives Verhalten zu beobachten ist? Man kann Runden schwimmen, aber die meisten paddeln eher zu den Schwimmreifen, die in der Mitte fixiert sind und an denen man sich anhalten kann, während man über Leben, Männer und Politik spricht. Nicht jede kann das natürlich. Das Wasser ist schließlich ziemlich kalt. Aber britische Ladies schaffen das locker.

Beim Rausgehen sehe ich unter den schattigen Bäumen eine Frau, die – raten Sie mal – nein, keinen Burkini trägt. Das wäre wirklich viel zu modern für uns hier. Aber sie ist in ein weites, schwarzes Gewand gewickelt, am Kopf hängt ein türkises Kopftuch. Ich widerstehe dem Reflex, auf Speed dial den Bürgermeister von Cannes anzurufen, um seine spezielle Einsatztruppe anzufordern und schaue lieber noch ein zweites Mal hin. Es könnte sich auch um einen alten Männerbademantel handeln, den diese Frau da trägt. Vielleicht ist sie einfach aus dem Bett geklettert und von ihrem Haus in Highgate zum Teich rübergeschlurft. Als sie an mir vorbeigeht, lächelt sie mich freundlich an: “Ist das nicht ein Paradies?”

“Das ist es wirklich”, sage ich. Sogar den Brexit kann man hier für einen Moment vergessen.

 

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© 2018 Tessa Szyszkowitz