Die schottische Konservative Ruth Davidson gilt als Aufsteigerin der britischen Politik. Kann sie die angeschlagene Premierministerin Theresa May ablösen?
Früher gab es Politiker in Schottland. „Dann kam eine lesbische Kickboxerin.“ So drückt es Ruth Davidson selbst aus. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge erzählte die Chefin der schottischen Konservativen einmal auf einer LGBTI-Tagung in Edinburgh, wie lange es dauerte, bis sie nicht mehr über ihre sexuelle Neigung definiert wurde. Diese Zeiten scheinen vorerst einmal vorbei.
Mit der britischen Parlamentswahl im Juni mauserte sich die energetische Schottin mit dem Kurzhaarschnitt endgültig zum Shooting Star. Sie eroberte mit den Tories 13 schottische Abgeordnetenplätze in Westminster ¬– zwölf mehr als bisher, das beste Ergebnis der im Norden nicht so stark verankerten Konservativen seit 1983. So ein Erfolg bleibt nicht unbemerkt: Britische Buchhalter zählten sie zu den Favoriten für die Nachfolge der angeschlagenen britischen Premierministerin Theresa May. Die hatte die Neuwahlen vom Zaun gebrochen und war von den Briten dafür bestraft worden. Nun hängt ihre hauchdünne Mehrheit im Unterhaus des Parlaments unter anderem von den 13 schottischen Sitzen unter der Führung von Ruth Davidson ab.
Dabei passt die 38-Jährige derzeit nicht so richtig in ihre eigene Partei, die seit dem Brexit-Referendum einen harten Kurs fährt: Sie ist eine erklärte Gegnerin des britischen Austritts aus der EU – bei den proeuropäischen Schotten kommt das gut an. Im Gegensatz zur „Ersten Ministerin“ und Konkurrentin Nicola Sturgeon von der „Scottish National Party“ (SNP) spricht sie sich aber auch gegen ein zweites Referendum aus, mit dem sich die Schotten vom Vereinigten Königreich lossagen könnten. Das erste wurde im Jahr 2014 abgehalten und endete mit einem Votum für den Verbleib.
Damals war der Aufstieg der Ruth Davidson schon im Gange. Sie wurde am 10. November 1978 in der Hauptstadt Edinburgh geboren, ihr Vater war Profi-Fußballer und Werksleiter in einer Wollfabrik. Tochter Ruth studierte nach der Schule an der Universität von Edinburgh englische Literatur und später in Glasgow internationale Entwicklung. Bevor sie in die Politik ging, arbeitete sie als Journalistin und diente drei Jahre als Funkerin in der schottischen Armee. Nach dem sie sich schwer am Rücken verletzte, quittierte sie den Dienst. Auch aufgrund ihres Werdegang wirkt es authentisch, wie sich Davidson in Wahlkämpfen in Szene setzt: Sie spielt Dudelsack, posiert für Fotos auf einem Panzerrohr oder zeigt sich beim Kickboxen.
Zuerst beschränkte sich der Erfolg der schlagfertigen Schottin auf die regionale Politik: Sie stieg 2009 bei den Tories ein, zwei Jahre später gewann sie ihren ersten Parlamentssitz und übernahm nur sechs Monate später den schottischen Tories-Ableger. Es waren die Jahre, in denen sie ihre Zuneigung zu Frauen thematisierte. „Ich schnitt mir die Haare kürzer als sie es je waren, weil ich wollte, dass die Leute wissen, was sie bekommen“, sagte sie vor einem Jahr der britischen Daily Mail.
Auf der nationalen Bühne punktete Davidson erstmals in einer Fernsehdebatte vor dem Brexit-Votum im Juni 2016, als sie es schaffte, Boris Johnson die Show zu stehlen. Dies passiert dem ehemaligen Londoner Bürgermeister und redefreudigen Volksliebling selten. Der Brexit-Tribun polterte rhetorisch brilliant und unterhaltend jenseits von Fakten und Wahrheit durch seine Auftritte. Doch Davidson, obwohl in der gleichen Partei, stoppte seinen Redefluss, zeihte ihn öffentlich der Lüge und schloss, den Blick fest in die Kameras gerichtet: „Ihr verdient die Wahrheit.“ In der witzigen, charmanten Davidson hatte der „posh boy“ Johnson seine Meisterin gefunden. Sie kam auch so gut weg, weil sie gleichzeitig ernsthaft wirkt.
Dabei wird auch ein anderer Gegensatz deutlich: Das nach dem Brexit-Votum zum britischen Außenminister avancierte populistische Ausnahmetalent Johnson steht für die englische Politikerkarriere direkt aus dem elitären Ausbildungssystem. Der Sprung von Schulen wie Eton und den Akademikertempeln Oxford und Cambridge in die Downing Street 10 ist für einen Boris Johnson logisch und beabsichtigt. Nur in Ausnahmefällen schaffen es – wie im Falle von Theresa May – Politiker mit weniger betuchtem Hintergrund in die Spitzenpositionen der britischen Politik.
In Schottland dagegen werden Menschen angezogen, die Politik nicht einfach als akademische Übung verstehen. Dies gilt für die SNP-Regierungschefin Nicola Sturgeon, sie ist ein politisches Naturtalent. Es gilt aber auch für Davidson, die mitunter deshalb bereits für höhere Weihen südlich der schottischen Grenzen gehandelt wird. Seit Theresa May bei den britischen Parlamentswahlen ihre bequeme Mehrheit verloren hat, sägen viele an ihrem Sessel in der Downing Street. Noch gibt es keinen logischer Nachfolger. Ihr parteiintern gefährlichster Konkurrent Boris Johnson redet sich langsam aber sicher um Kopf und Kragen. Mays Innenministerin Amber Rudd verlor fast ihr Mandat. Daneben gibt es wenig ansprechende Alternativen wie den ältlichen Brexit-Minister David Davis. Deshalb ist Ruth Davidson im wahrsten Sinne des Wortes „good news“.
Wenn sie neben Helikoptern oder auf Bullen posiert, beim Kickboxen den nackten Fuß in die Kamera reckt oder Hand in Hand mit ihrer Verlobten an der Wahlurne erscheint – die Wähler schätzen ihre gekonnte Inszenierung genauso wie ihre moderate Politik. Ob das reicht, um eine lesbische Tory-Schottin bis in die Downing Street 10 zu bringen?
Sie lacht über die Idee. Noch.